Kinderbilder

Liebes pädagogisches Tagebuch, wenn mir langweilig ist, google ich. Heute gab ich das Suchwort „Kind“ ein.

Hey, wie warm wurde mir da ums Herz: Lauter süße, kleine Fratze mit feinen Frisuren und flotten Klamotten. Aber fast alle hatten den gleichen Gesichtsausdruck: dieses „Affenscheiße“-Lächeln, das man nur hinkriegt, wenn man „Käsekuchen“ oder „Chewing-Gum“ sagt. Erst das achte Bildkind blickte irgendwie negativ, nämlich sauer, aber süß-sauer, so niedlich trotzig, und bestimmt hatte der Fotograf gesagt: „Jetzt guck mal richtig böse, so doll du kannst. Ja, prima! Und jetzt sag mal: Affenscheiße!“ Klick – Bild im Kasten, ab ins Netz!

Früher waren die Bilder schwarzweiß. Wenn man nun bei den Suchoptionen „SW-Foto“ eingibt, kommen vor allem alte Bilder und haben einen merkwürdigen Effekt: Die Kinder sehen nicht nur grau aus – damit hatte ich gerechnet –, sondern ernst, streng, manchmal auch oberlehrerhaft. Gibt man ein bestimmtes Jahrzehnt als Suchwort ein, differenziert sich das Gesamtbild: „70er Jahre“ – schmutzig-freche Kinder, „50er Jahre“ – schüchtern und mit Seitenscheitel oder Zöpfen. Bei „20er“ gucken die Kleinen unglücklich-zerknittert, bei „1900“ wirken sie trotz Matrosenanzug genervt, bei „1890“ irgendwie aggressiv, aber das ist eh nur Baby-Hitlerchen.

War das Kinderleben früher so traurig und bitter? Heute sieht man diesen genervt-angestrengten Gesichtsausdruck auf Internet-Fotos jedenfalls kaum noch. Einziges Indiz dafür, dass es ihn trotzdem gibt, ist das Kind, das in meiner Wohnung lebt. Es guckt manchmal auch so böse, verbittert, fies und original-trotzig wie die Bilderkinder aus den 70er Jahren. Eigentlich wäre es perfekt für die Cover von Erziehungsratgebern geeignet, die den Markt überschwemmen. Als kleiner Tyrann würde es bestimmt hohe Auflagen garantieren. Aber diese Marketingstrategen in den Verlagen, die so auf niedlich-trotzige Kinder stehen, haben eh keine Ahnung vom wirklichen Leben.

Immerhin: Zumindest im Text dürfen Kinder in Jesper Juuls Klassikern „Dein kompetentes Kind“ oder „Aggression“ frech sein. Was zeigen die Cover? Während die deutsche Ausgabe von „Aggression“ statt kindlicher Monster sympathische, rote-orange Balken zieren, dreht sich das „kompetente Kind“ im langen Kleid froh auf einer Blumenwiese: Kompetenz, die niemandem wehtut.

Anders in den dänischen Originalausgaben: Bei Eingabe von „Aggression – en naturligt del af livet“ wird aus den beiden Balken plötzlich ein schemenhaftes, gruseliges Kinderwesen mit Riesenmaul, das auf den Betrachter einschreit. Darf der Däne das? Gibt man hingegen „Dit kompetente barn“ ein, erscheint ein Cover, das nach neuester Gesetzgebung in Deutschland vermutlich bald verboten wird. Probieren Sie es mal aus, aber lassen Sie sich nicht dabei erwischen. Wem das zu heikel ist: Die Bekleidung entspricht der, die Kinder zumindest früher in der Badewanne trugen.

Unsere Google-Kinder haben alle was Schönes an: sauber, modisch oder sexy-verspielt. Gottlob, es sind meist nur Stock-Fotos, die auf ihren Einsatz in der Werbung warten.

Was die echten Kinder anbelangt, da kann dich beruhigen, liebes Tagebuch, denn im Grunde meines Herzens weiß ich: Sie sind wie immer, auch wenn sie dieses „Affenscheiße“-Grinsen aufsetzen, sobald ein Kameraauge naht. Aber im Stillen denken sie: Was für eine Affenscheiße!

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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