Mehr Männer in den Kitas – mehr Geschlechter­gerechtigkeit?

Überwiegend ist der Beruf Erzieher*in, aber auch die unbezahlte erzieherische Arbeit, ein Tätigkeitsfeld, in dem Frauen zahlenmäßig stark überwiegen. Das verändert sich, seitdem explizit versucht wird, mehr Männer für den Beruf und auch für private Fürsorgerollen zu begeistern. Doch mir geht es nicht allein um Quantität (mehr Männer), sondern auch um Qualität, denn ich halte eine vielfältige und paritätisch durch alle Geschlechter besetzte Erzieher*innenschaft für erstrebenswert.

 

Vielfalt in Bezug auf Geschlecht betrachte ich zum einen auf der körperlichen Ebene, aber auch auf der sozialen Ebene – Wie praktiziere ich meine Geschlechterrolle in Hinblick auf Kleidung, Frisur, Verhalten oder Interesse? – und der psychologischen Ebene: Welches ist mein gefühltes Geschlecht, welche Geschlechtsidentität wird mir zugeschrieben? Alle drei Ebenen sind nicht notwendig, also nicht natürlich, miteinander verknüpft, werden aber in einer gesellschaftlichen Norm miteinander in Beziehung gesetzt: Es gibt zwei Geschlechter, Männer haben männliche biologische Merkmale, verhalten und präsentieren sich maskulin und sollen sich männlich fühlen. Frauen haben demzufolge dem Bild von Weiblichkeit zu entsprechen. Diese Normvorstellung ist nach Judith Butler Bestandteil des Konzepts der Heteronormativität. Verstehen wir Geschlecht jenseits dieser sozialen Norm, müssen wir die seit frühester Kindheit gelernten Definitionen dessen vergessen, was männlich und was weiblich ist, um Vielfalt erkennen und wertschätzen zu können.

Warum gibt es das Bestreben überhaupt, mehr Vielfalt in Bezug auf Männer und Frauen als Erzieher*innen herzustellen? Und warum wird nicht konsequenter nach Vielfalt verlangt, nicht aktiv um Menschen aller Geschlechter geworben? Mit Menschen aller Geschlechter meine ich diejenigen, die sich innerhalb der Normvorstellungen bewegen, und diejenigen, die selten mitgemeint werden: trans*- und inter*geschlechtliche Menschen sowie Personen, die sich nicht eindeutig in die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ einordnen können oder wollen und sich zum Beispiel als nicht-binär bezeichnen.

Geht es um Geschlechtergerechtigkeit, finde ich die Frage nach der Vielfalt sehr wichtig, weil sie ein pädagogisches Ziel benennt. Deshalb könnte ich „Die gute Frage“ in aller Kürze so beantworten: Nein, allein mehr Männer reicht nicht aus! Aber es kann ein Anfang sein.

Vielfalt ist immer da, müsste nur stärker sichtbar gemacht und wertgeschätzt werden. Lernen Kinder bereits in sehr jungen Jahren von Erwachsenen, dass die Kategorie „Geschlecht“ und eine klare Zuordnung von außen sehr wichtig sind – wir nehmen Menschen meist auf Anhieb auch in ihrer Geschlechtlichkeit wahr –, werden sie sich vermutlich auch mehrheitlich mit der Einhaltung dieser Norm auseinandersetzen. Die Frage ist dann: Wie gehen wir mit Normabweichungen um? „Guck mal, der sitzt da wie ein Mädchen.“ „Jungen klettern nun mal auf Bäume und sind mutiger.“ „Nein, das ist doch Mädchenspielzeug!“ – solche Aussagen wirken wie Sanktionen und können Ablehnung, Abwertung oder Aufwertung gegenüber einem Geschlecht erzeugen und die Norm wiederum bestärken.

Um mehr Geschlechtergerechtigkeit zu ermöglichen, dürfen wir nicht nur auf die äußere und normative „Vielfalt“ achten, sondern müssen echte Vielfalt auch innerhalb der drei Ebenen ermöglichen: Ein Kita-Team, das ausschließlich aus Frauen besteht, ist auch vielfältig, zum Beispiel in Hinblick auf Vorlieben: Wer kocht, baut, tanzt, klettert oder verkleidet sich gern, liest vor und rennt mit Kindern um die Wette? Dabei lernen Kinder, dass Frauen sehr unterschiedlich und vielfältig sind. Können sie mehr Geschlechtervielfalt innerhalb der Norm und nur auf psychischer und körperlicher Ebene wahrnehmen, besteht das Risiko, dass Frauen sich auf typisch weibliche Tätigkeiten zurückziehen: „Ich spiele nicht mehr Fußball mit den Kindern, denn der Kollege kann das besser.“ Und Männer verlegen sich auf typisch männliche Tätigkeiten: „Das Verkleiden und Tanzen übernehmen die Kolleginnen.“ Geschlechtergerechtigkeit erzeugt das nicht, sondern die Kinder lernen die in der Heteronormativität beschriebenen sozialen Erwartungen an Geschlecht kennen und werden in der Freiheit für eigene Identitätsfindung eingeschränkt.

Wünschenswert in Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit wäre das Gegenteil: Nicht nur Männer und Frauen, sondern mehr Menschen aller Geschlechter bilden qualitativ eine größere Vielfalt. Das kann zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen, wenn

• das Erzieher*innenteam bewusst und reflektiert
mit untypischem Rollenverhalten umgeht,

• Geschlechterstereotype konstruktiv hinterfragt werden,

• Erzieher*innen gleichen und unterschiedlichen Geschlechts ein gleichwertiges, kollegiales und
zwischenmenschliches Miteinander leben,

sodass sie als Erwachsene für Kinder – und vielleicht auch für sich selbst – gute Vorbilder dafür sein können, dass Körper, Gefühl, Verhalten und Interessen nicht notwendig miteinander verknüpft werden müssen, sondern frei kombiniert werden können.

 

Text: Sandra Moßner, Erziehungswissenschaftlerin

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