Auf diesen Seiten geht es um eine Situation, die man aus verschiedenen Perspektiven betrachten kann. Was ist Deine Perspektive? Und was sagt Dein Team?
Hier gibt es die Dilemmata auch als PDF: Dilemmata_#2_2025
Geahnt hat man es eh: Die Eltern des kleinen Kurt meckern schon lange über zu viele Migrantenkinder, das Lichterfest und „diesen ganzen Genderwahn“. Nun kommt heraus: Hinter dem Gemecker steckt eine klare Überzeugung. Kurts Eltern sind in einer als rechtsextrem geltenden Organisation aktiv.
Wie geht man denn jetzt damit um?
„Deutschländer raus“,
fordert Vera.
Endlich merkt ihr, dass Rechtsextremismus nicht nur theoretisch ein Thema ist, sondern immer näherkommt? Begreift ihr endlich, dass wir was tun müssen gegen Leute, die andere Menschen verachten? Ich war schon damals schockiert, Claudi, dass du beim Elternabend nach diesem Ausbruch von Kurtis Vater versucht hast, mit „darüber kann man geteilter Meinung sein“ zu beschwichtigen. Über das, was der gesagt hat, kann man nämlich nicht geteilter Meinung sein, sondern muss klarmachen, dass das faschistisches Gedankengut ist. So was will ich in dieser Kindertagesstätte nicht hören oder durch Weghören salonfähig machen. Deswegen gibt’s für mich nur eins: Kurts Eltern muss der Platz gekündigt werden. Nur dann merken solche Leute, dass sich unsere Gesellschaft wehrt, statt ihren Feinden auch noch die Kinderbetreuung abzunehmen.
„Kurt ist kein Mini-Nazi“,
sagt Nesrin.
Der Vater von Kurt ist wirklich ein abscheulicher Typ mit krassen Sprüchen. Und dann die Mutter – örks! Aber Kurti ist ein netter, freundlicher Junge, der nix für die Familie kann, in die er hineingeboren wurde. Warum sollen wir den dafür bestrafen, was seine Nazieltern sagen?
Abgesehen davon: Kurti würde, wenn wir ihn jetzt rausschmeißen, wahrscheinlich in irgendeinem rechten Geheimzirkel erzogen und bestimmt zu einem strammen Supernazi werden. In 20 Jahren denken wir dann: Warum haben wir ihn nicht gebremst? Bleibt er dagegen bei uns und erlebt hier die Vielfalt, dann kriegt er jeden Tag mit, dass Hautfarbe und Geschlecht nichts damit zu tun haben, wie wertvoll ein Mensch ist. Wir wissen ja alle, wie gern Kurt gerade mit Murat und Önder spielt. Allein schon deswegen, weil seine Eltern das überhaupt nicht abkönnen, ist es cool, den Jungen bei uns zu lassen. Gebt Kurti die Chance, nazifrei aufzuwachsen!
„Und was ist mit den Opfern?“
fragt Ophelia.
Du könntest Recht haben, wenn du findest, dass es für Kurt gut ist, in unsere Kita zu gehen. Aber ich stelle mir gerade vor, dass er mit fünf vielleicht anfängt, die Sprüche seiner Eltern hier rauszulassen, und sagt: „Murat, Önder, Djamila, ihr gehört remigriert!“
Und was ist eigentlich mit den anderen Eltern? Als Kurts Vater auf dem Elternabend loslegte und wir nichts dagegen unternahmen – habt ihr gesehen, wie die Mutter von Ayla geguckt hat? Die hatte wahrscheinlich Angst, bald ausgewiesen zu werden.
Also, mal ehrlich: Familien, die anderen Familien das Recht absprechen, zur Gemeinschaft zu gehören – das geht gar nicht. Das verstößt auch gegen unsere Konzeption. Wir müssen die loswerden, so leid es mir für Kurt tut.
„Ich dachte, wir sind für Vielfalt“, wendet Reginald ein.
Apropos Konzeption. Schauen wir doch mal rein, was wir da propagieren. Nämlich: Wir akzeptieren alle Kinder so, wie sie sind, unabhängig von ihrem familiären oder religiösen Hintergrund. Tja…
Es ist gut und fair, dass wir zum Beispiel Kinder von Eltern akzeptieren, die Fans einer aus meiner Sicht extrem rückständigen Religion sind, Homosexualität ablehnen und ein Problem mit jüdischen Mitmenschen haben. Ja, guckt nicht so erschrocken! Ich find’s superwichtig, solche Leute zu akzeptieren, um ihnen zu zeigen, dass sie dazugehören und eingeladen sind, über unsere Werte nachzudenken. Und das soll für Nazis nicht gelten? Schwierig! Wie soll man sie dann von ihren Gedanken abbringen?
Ganz ehrlich: Ich hab genauso wenig Bock, mit Kurts Vater über Umvolkung zu reden wie mit Igors Vater über angebliche Zwangshomosexualität oder mit Catherines Mutter darüber, dass Darwin angeblich Quatsch erzählt hat. Aber das macht gerade unsere Stärke aus: Dass wir auch mit Menschen sprechen, die bescheuerte Ansichten haben.
Wie seht Ihr die Sache?