Kleine Kinder wollen eigenständig Erfahrungen sammeln und sich ihre Gedanken machen. Sie wollen selbst herausfinden, welche Bedeutungen ihre Wahrnehmungen und Erlebnisse haben, und wie es mit dem zusammen passt, was sie schon alles wissen. Wie das zu verstehen ist, was wir ihnen sagen, und wie sie alles das, was sie bewegt so ausdrücken können, dass wir es verstehen. Die Freude eines möglichen Gelingens durchströmt sie förmlich bis in die Zehenspitzen. Freude am eigenen Denken ist ihnen allen anzusehen.
Um aber solche Erfahrungen in einer Gemeinschaft mit anderen machen zu können, bedarf es eines achtsamen Umgangs. Damit Kinder Vertrauen entwickeln können, müssen sie die Erfahrung machen: Ich bin wichtig. Kleine Kinder suchen deshalb ständig nach Bestätigung, dass es gut ist, was sie tun. Jede neue Entdeckung, jede neue Erkenntnis und jede neue Fähigkeit löst im Gehirn die Begeisterung über sich selbst und über all das, was es noch zu entdecken gibt aus. Es ist der „Treibstoff“ für ihre weitere Hirnentwicklung.
Heide Breitels Dokumentarfilm PINA SCHAUKELT zeigt in ruhigen, beobachtenden Szenen, was Kinder zu ihrer Entwicklung wirklich brauchen. Es sind die vielfältigen Erfahrungen bei der Steuerung des eigenen Körpers, beim Krabbeln, Lautieren, Laufen, Sprechen und sich als aktiver Gestalter zu erleben. Ihre Beobachtung von Kleinkindern aus Berlin über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren macht deutlich, dass das sogar schon in einer Kinderkrippe gelingen kann. Zum Ausdruck kommt diese innere Einstellung als Zugewandtheit und die Fähigkeit, Kinder zu trösten und zu ermutigen. Das innere Bild, das eine solche Haltung ermöglicht, ist nicht das eines Erziehers oder einer Erzieherin, sondern eines Schatzsuchers.
Sicher gebundene Kinder erleben jeden Tag ganze Serien von Begeisterungsstürmen. Bei jeder Entdeckung, die ihnen unter die Haut geht, werden die emotionalen Zentren in ihrem Mittelhirn aktiviert. Dann setzen diese Zellgruppen vermehrt sogenannte neuroplastische Botenstoffe frei. Sie lösen in nachgeschalteten Netzwerken eine Aktivierung der Expression bestimmter genetischer Sequenzen aus, die sie in die Lage versetzt, all jene Eiweiße vermehrt herzustellen, die für das Auswachsen neuer Fortsätze und für die Neubildung und Stabilität von Nervenzellkontakten gebraucht werden. Deshalb lernt jedes Kind all das besonders gut, wofür es sich begeistert.
Es ist für Kinder ein Glück, im Tun mit anderen sich selbst zu entdecken. Wem diese Erfahrung verwehrt bleibt, der wird es später schwer haben. Ihr tiefes Bedürfnis nach Verbundenheit können solche Kinder dann nur in einer engen personalen Beziehung mit den ihnen wichtigen Bezugspersonen stillen. Sie folgen ihren Eltern auf Schritt und Tritt und suchen ständig ihre Nähe. Wenn sie älter werden, spüren sie aber, dass diese allzu enge Beziehung sie an der Entfaltung ihrer eigenen Möglichkeiten hindert. Auf diese Weise eingeengt, können sie ihr zweites angeborenes Grundbedürfnis nach Wachstum, Autonomie und Freiheit nicht stillen.
Für das Gehirn eines Kindes haben solche Erfahrungen nachhaltige Folgen. Die Verknüpfungen der Nervenzellen in ihrem Frontalhirn müssen ja erst noch ausgebildet und stabilisiert werden. Das kann aber nur gelingen, wenn ein Kind findet, was es braucht. Es ist nicht leicht, Kinder zu begleiten, ohne sie zu Objekten von Erwartungen, Bewertungen, Belehrungen oder irgendwelcher Fördermaßnahmen zu machen. Dazu bedarf es eben der besonderen inneren Einstellung oder Haltung der jeweiligen Bezugspersonen, mit der Voraussetzung, dass ein Kind kein Objekt ist, sondern als gestaltendes, lernfähiges und erkennendes Subjekt wahrzunehmen ist.
Der Film von Heide Breitel erzählt nicht, mit welchen Methoden das möglich wird, sondern lässt erleben, dass es geht und wie diese Haltung zum Ausdruck kommt und wie diese Entwicklungen möglich werden. Unspektakulär und dennoch ungeheuer spannend und im guten Sinne unterhaltsam. Und er zeigt, wie die Kinder unter diesen Bedingungen aufblühen. Es ist wie mit den Pflanzen: die wachsen auch nicht schneller, indem man daran zieht, sondern indem sie gedüngt und von Unkraut ferngehalten werden.
Prof. Dr. Gerald Hüther – Neurobiologe, Georg-August-Universität Göttingen, Vorstand Akademie für Potentialentfaltung www.gerald-huether.de