Das Wesen der Demokratie –

Eine Wort- und Bildklauberei

Hier gibt es den Wortklauber als PDF: Wortklauber_Gedicht_#3_2024

Vom „Wesen der Demokratie“ liest man oft.
Aber wie sieht es eigentlich aus, das „Wesen der Demokratie“?

Ein Blick auf die Google-Bildersuche zu Begriffen wie „Demokratie + Kita“ oder „+ Schule“ liefert interessante Hinweise. Die Fotos zeigen meist Pädagog*innenhände, die kreidestaubig das Wort „Demokratie“ an die Tafel schreiben, oder Schüler­hände, die sich mit ausgestrecktem Zeigefinger in die Höhe recken. Demokratie scheint also zu bedeuten: vor der Tafel stehen, etwas sagen wollen – und darauf warten müssen, bis man dran ist. Wer quatscht, ohne aufgerufen zu sein, hat in dieser „Demokratie“ offenbar schlechte Karten. Demokratie heißt: Es gibt Regeln – und wenn du dich nicht daran hältst, Pech gehabt!

Auch die Cover von Büchern oder PDFs zum Thema Demokratie sprechen Bände. Auf den Titelseiten sieht man Kinder, die mit Modera­tionskarten oder überdimensionalen Puzzleteilen hantieren. Die Farben sind matt – als wolle man betonen: Demokratie ist wichtig, aber auch so spannend wie die Lektüre der GEW-Zeitung oder von Frank-Walter Steinmeiers neuestem Buch im Urlaub.

Sprachlich ist Demokratie oft eine Zumutung. Sie produziert endlose Phrasen. Geh mal in eine Buchhandlung und schau dir die Titel zu „Demokratie & Bildung“ an: „Partizipation in Praxisprojekten“. Das Spannendste daran ist, sich nicht beim Aussprechen dieses Zungenbrechers zu verhaspeln – Praxitipation in Partyprojekten?

In Teamsitzungen versuchen Kita- und Schulteams oft, das nebulöse Thema „Demokratie“ in Wortwolken zu packen. Dann steht das „T“ vom waagerecht geschriebenen „Partizipation“ gerne für „Teilhabe“ – was leider nur die wortwörtliche Übersetzung ist. In Texten reiht man möglichst viele „Mitbestimmungs“-Wörter aneinander, um bedeutungsschwer zu wirken: „Wir sind für Mitwirkung UND Mitbestimmung“, „Wir setzen auf Beteiligung, Mitgestaltung und Partizipation“. Klingt wichtig, aber bleibt bedeutungsleer.

Foto: David-W-, photocase

Apropos Partizipation: Ist unstrittig, dass es ein Nomen ist? Ja. Umso erstaunlicher, dass unzählige Kitas auf ihren Homepages stolz verkünden: „Bei uns wird Partizipation großgeschrieben!“ Kein Bäcker würde sagen: „Brot wird bei uns großgeschrieben.“ Aber in der Pädagogik lieben wir es, alltägliche Handlungen in bedeutungsvolle Akte zu verwandeln.

Und wann erlebt man nun das „Wesen der Demokratie“? Blättert man durch Partizipations-PDFs, fällt auf, dass Kinder oft nur dann befragt werden, wenn es um Verhaltensprobleme geht. Kinderkonferenzen scheinen vor allem dafür da zu sein, dass Kinder ihre Konflikte selbst klären. Immer wieder werden „Regeln gemeinsam festgelegt“ – und dennoch kommen in fast allen Kindergärten dieselben Sätze heraus: „Nicht schubsen.“ Bei Erwachsenen regeln solche Fragen eher Gerichte, nicht Parlamente.

Das „Wesen der Demokratie“ hat offenbar ein Imageproblem: staubig, blass und langwierig zu erreichen. Täglich, so heißt es in den Handreichungen, müsse man Demokratie üben, üben, üben – wie das Geigenspiel. In Sesamstraßen-Kategorien gedacht, ist Demokratie zu 100% Bert. Kein Wunder, dass sich manche dann nach den chaotischen Ernies oder dem Krümelmonster sehnen, die fröhlich ihren eigenen Vorteil im Blick haben.

Gibt es Alternativen? Oh ja! Man muss Demokratie so leben, wie sie eigentlich ist: als das Zusammen­treffen völlig unterschiedlicher Bedürfnisse, verrückter Ideen und sowohl laut geäußerter als auch schüchterner Vorschläge. Was viele der trockenen Bücher über­sehen: Demokratie kann lustig, utopisch und regelrecht spannend sein. Während das Gegenmodell – Autokratie oder „Pädagogokratie“ (Ich bestimme für euch) – sich verdammt langweilig anfühlt, wenn man nicht gerade die Person ist, deren Ideen umgesetzt werden.

„Ich habe eine verrückte Idee, du auch, und du bist total dagegen … Lass uns ausprobieren, was draus wird!“ Demokratie kann richtig spannend sein, wenn man sie nicht nur übt, weil man muss.

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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