Handy- Montessori- Schach

Hier gibt es den Beitrag als PDF: Schach_#2_2025

Vorgeschichte

Alan, der als Schulpraktikant zu uns kam, hatte in seiner Bewerbung geschrieben, dass er Erfahrungen im Umgang mit Kindern hat, denn er leitet einen Schach-Kurs für jüngere Grundschulkinder. Ich hatte ein kleines Schach-Spiel mit hölzernen Figuren in die Kita mitgebracht. Zu Hause spiele ich nie, hätte gegen meinen Mann sowieso nur verloren, weiß aber, wie man die Figuren zieht. Wenn Alan mit den Kindern spielte, freute ich mich, begleitete und beschützte die Runde ein bisschen, aber mehr Anteil nahm ich nicht.

Das ist inzwischen zwei Jahre her. Die Kinder, die mitspielten, sind schon in der Schule. Ein paar Jüngere erinnern sich noch an Alan.

Als ich kürzlich im Urlaub war, kam Alan uns besuchen. Sichtlich hatte es ihm in der Kita gefallen, und durch seinen Besuch wurde Schach wieder modern. Das Spiel stand immer noch auf dem Schrank, später holte ich es runter und bekam da erst mit, dass es ein Kind bei uns gibt, das tatsächlich ein paar Schachregeln kennt: Hamdi, dessen Eltern aus dem Libanon stammen. Ich wunderte mich. Der Junge konnte doch nicht an dem einen Tag, an dem Alan in der Kita war, diese Regeln aufgeschnappt haben. Noch mehr wunderte ich mich, als er mir – ich wusste nicht mehr, wo die Dame aufgestellt wird – erklärte: „Sie steht da, wo dieser Buchstabe ist.“ Nämlich das D. Und das stimmte. Wir spielten ein bisschen, und dabei erzählte Hamdi, dass er das Schach-Spielen auf dem Handy gelernt hatte.

Ich finde, viele unserer Kinder haben viel zu früh unbeobachteten Zugang zu Handys oder Tablets und machen da bestimmt oft blöde Spiele. Aber Hamdi hatte dabei Schach entdeckt. Als ich ihn fragte, wie das kam, sagte er: „Hab ich allein gelernt.“

Ich stelle mir das so vor: Er hat das Handy angemacht, das Spiel gefunden und gemerkt, dass nur Züge möglich sind, die den Regeln entsprechen. Bei falschen Zügen springen die Figuren wahrscheinlich wieder zurück. Er hat sich also – Handy-Montessori: Hilf mir, es selbst zu tun! – allein Schach beigebracht. Manche Regeln hatte er sich ausgedacht. Zum Beispiel: Nur Figuren auf schwarzen Feldern dürfen Schwarz schlagen. Das stimmt so nicht, stellten wir fest.

Hamdis Leidenschaft war ansteckend. Seine Schwester Hadia wollte mitspielen, Steven und einige andere Kinder auch. Steven sagte dann immer: „Ich möchte ­Schachtel spielen.“ Logisch, das Schach-Spiel steckt ja in einer Schachtel. Die Bauern wurden Bauarbeiter genannt. Überhaupt – wie die Figuren heißen und aussehen, das fasziniert die Kinder.

Ich schaffte mir extra ein Schach-Buch für Kinder an und wollte ganz pädagogisch Schritt für Schritt vorgehen. Aber nein, die Kinder wollen immer mit allen Figuren spielen, nicht nur mit den Bauarbeitern. Sie merkten sich schnell, dass die Bauern anfangs zwei Schritte vorgehen dürfen, dann aber nur noch einen, und nach beiden Seiten schlagen können.

Weil ich danach fix und fertig bin, mache ich nur ein Schach-Spiel am Tag mit, wissen die Kinder. Immer fällt irgendeine Figur runter, jemand macht einen Zug, der nicht geht, das Spiel dauert ewig… Deshalb kamen wir auf die Idee, ein Foto vom letzten Spielstand zu machen, um am nächsten Tag weiterspielen zu können.

Inzwischen bin ich meist Schiedsrichterin. Aber wenn ein Kind nicht durchhält, darf ich nachrücken. Oft gewinne ich, eher aus Versehen. Plötzlich merke ich: Oh, der andere König ist schachmatt! Als ich die Dame mal mit dem König verwechselte und das erst nach drei Zügen merkte, war Hamdi Sieger und freute sich wie verrückt. Einmal schafften Hadia und ich es, dass unser Bauer sich in die geschlagene Dame verwandelte, denn wenn ein Bauer bis an die gegnerische Grundlinie kommt, wird er zur Dame. Trotzdem verloren wir gegen Hamdi! Da war Hamdi so aufgeregt, dass er seinen Sieg ausagieren musste. Im Bewegungsraum – Hamdi und Hadia waren nachmittags die letzten Kinder –, rannten wir wild herum und riefen dabei: „Ich bin jetzt die Dame! Ich schlage dich! Ich bin ein Pferd und galoppiere über Eck! Ich bin ein Bauarbeiter und kann nur einen Schritt gehen…“

Nachbemerkung

Hamdis Begeisterung für das Schach beeindruckte uns so, dass wir ihm folgen und ich jetzt Schach lerne, weil er das möchte. Er kommt dieses Jahr in die Nachbar-Grundschule, die wir informieren werden. Vielleicht wird er es in der Schule nicht leicht haben, aber wenn er seine Begeisterung für Schach dort weiterleben kann, das wäre toll.

 

Foto: Team Menschenskinder / wamiki

Marie Sander ist Erzieherin in der St.-Thomas-Kita in Berlin-Kreuzberg.

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