Ja, Deutschland ist kein easy-peasy-Land, sondern eines, dessen sperrigen Charakter die Eingewöhnung erschwert.
Gut, dass der deutsche Kindergarten seinen Auftrag ernst nimmt und die jüngsten Landeskinder darauf vorbereitet, was es heißt, deutsch zu sein.
Die folgenden pädagogischen Instrumente erleichtern es, das Lernziel Deutschness zu erreichen.
Hier gibt es alles auch als PDF: Deutschness_#4_2024
Deutschland ist das Land der Formulare.
Alle, die nach Deutschland kommen und hier arbeiten wollen, kennen das: Erst einmal muss man ein Formblatt „Ausbildungsanerkennungsbeantragungsformblatt IIa Strich 37“ ausfüllen. Wegen nicht vorgenommener Angaben im Formularfeld 23 c-f wird man nach kurzer Bearbeitungszeit streng gemustert und erhält das Blatt mit der Auskunft zurück: „So kann das nicht bearbeitet werden!“ Eine wichtige Erfahrung, die keinem jungen Deutschen vorenthalten werden sollte.
Um den Vorgang dennoch zu beschleunigen, üben wir im deutschen Kindergarten das Formularausfüllen, lange bevor die Kinder schreiben können. Mittel der Wahl sind unsere typisch deutschen Ausmal-Mandalas in DIN A4 mit ganz vielen Ausmalfeldern.
Deutschland ist ein Land, in dem klare Regeln gelten.
Dazugehören darf nur, wer sich an Regeln hält. Ob jemand dazu bereit ist, erkennt man weniger bei der Einhaltung von Regeln, die der oder die Betreffende sowieso gut findet, sondern vor allem daran, wie er oder sie sich verhält, wenn Regeln keinen Sinn ergeben. Stichwort: leere Straße – rote Fußgängerampel.
Im deutschen Kindergarten tun wir alles dafür, dass Kindern Regeln begegnen, die kritische Fragen hervorbringen. Regeln wie „Wir singen nicht beim Essen“, „Wir rennen nicht im Flur“, „Nur Nachtisch, wer Brokkoli wenigstens probiert“ und „Niemals klettern wir die Rutschbahn rauf“ lassen Kinder erleben: Das macht zwar keinen Sinn – aber genau deshalb halten wir uns dran.
Deutschland ist das Land, in dem Geduld eine Tugend ist.
Wir sind kein Hoppla-hier-komm-ich-Land, in das man einfach so reinplatzen und sofort arbeiten oder gar mitwählen kann. Wer neu dazukommt, muss schon ein bisschen warten können. Wenigstens zwei, drei oder fünf Generationen lang.
Wie kann man das den Kindern besser vermitteln als durch das Ritual des Morgenkreiswartens? Auf der harten Garderobenbank merkt jedes Kind: Wer schon länger bei uns ist, darf die große Morgenkreisglocke schwingen, und wer erst angekommen ist, muss draußen sitzen und warten, warten, warten…
Deutschland ist ein Land, in dem Werte gelten.
Und zwar in Form wertvoller Autos. Um zu verstehen, was Liebe ist, muss man das erlebt haben: großzügige Doppel- und Triplegaragen, die selbst Bewohner winziger Butzen ihren Fahrzeugen gewähren, empathische Anfeuerungsrufe, um den eigenen Sportwagen auf der Überholspur zu Höchstleistungen anzutreiben, und tiefe Trauer, wenn wir kleinste Lackschäden auf der Karosserie unseres vierrädrigen Freundes entdecken.
Im Kindergarten sorgen wir dafür, dass die Kinder zu empathischen Deutschen werden: durch großzügige Verkehrsteppiche, die einladen, dem eigenen Fahrzeug genügend Auslauf zu geben, durch Spielzeug-Parkgaragen, die jedem Vierrädrer seinen warmen, sicheren Platz garantieren, und durch Bobbycar-Rennstrecken im Garten, auf denen die Kinder spielerisch lernen können, schnellen und dominanten Fahrzeugbenutzern Rücksicht entgegenzubringen – im ureigensten Interesse.
Deutschland ist ein Land mit Sinn für Traditionen.
Bei uns ist Vereinbarkeit von Beruf und Familie kein hohles Schlagwort, sondern ein ehrlicher, harter Fight mit ChefIn, Jugendamt und ErziehungsparterIn.
Im Kindergarten versuchen wir, Kindern die Vorzüge einer klar geregelten familiären Rollenverteilung sensibel und offen zu vermitteln. Zum Beispiel mit geeignetem Liedgut: „Erst kommt der Sonnenkäferpapa! Dann kommt die Sonnenkäfermama! Und hintendrein, ganz klitzeklein, kommen die Sonnenkäferkinderlein…“
Deutschland ist das beliebteste Land der Welt.
Laut sachkundiger Aussagen namhafter Rechtspopulisten läuft unser Land jederzeit Gefahr, von all seinen Fans überrannt und okkupiert zu werden. Jawoll, das wird man jetzt endlich so sagen dürfen! Dagegen hilft nur, sich nach außen abzuschotten und einen abschreckenden Eindruck zu vermitteln: So toll ist es bei uns auch nicht!
Ein probates pädagogisches Mittel sind unsere typisch deutschen Fensterbilder. Sie wehren Sonnenstrahlen ab, die nur darauf warten, in die Kita einzudringen, sie zu überfluten und völlig zu verändern. Außerdem verhindern die Bilder Pull-Faktoren, denn sie wirken abschreckend auf interessierte Fremde: Willst du wirklich hier rein, wo überall die gleichen hässlichen Schneemänner kleben?