No sweets for my sweet!

Hier werden Rechtsfragen aus der Pädagogik verhandelt. Diesmal geht es um die Rechtmäßigkeit des Verbots von Süßigkeiten, das Eltern und Fachkräfte beschlossen.

Hier gibt es den Rechthaber als PDF: Rechthaber_1_2025

 

Foto: Jason Rost. unsplash

„Haste was für mich?“ Zwei geduckte Gestalten scheinen in der dunkelsten Ecke irgendetwas auszutauschen: kurzer Blick, ob einer zuschaut, wühlende Finger in der hinter­en Hosentasche, Übergabe in verschlossener Hand – und schwuppdiwupp verschwindet die heiße Ware im besten Versteck der Welt, im Mund. Schnell eine Unschuldsmiene aufsetzen und sich wieder in das unüberschaubare Getümmel der anderen Menschen mischen. War da was?

„Hast du das mitgekriegt?“ So souverän auch die Übergabe der Waren vonstattenging — wachsamen Augen wie denen von Willi und Leonie bleibt fast nichts verborgen. „Da hinten haben die beiden irgendwas Verbotenes ausgetauscht“, sagt Willi.

„Zugriff, Kollege?“ fragt Leonie, aber Willi beschwichtigt: „Auf keinen Fall. Wir tun so, als hätten wir nix gesehen. Eindämmen kann man sowas eh nicht. Und wenn wir das jetzt an die große Glocke hängen, macht es die Runde. Den Stress, der dadurch entsteht, kannst du dir gar nicht ausmalen.“

Leonie, noch nicht lange im Geschäft, ist schockiert. „Hier werden Regeln gebrochen, und ich soll wegschauen? Vergiss es!“ Schon steuert die Kollegin die Verdächtigen an. „Laima und Leandro“, ruft sie, „ich weiß genau, was ihr da hinten in der Kuschelecke tut! Süßigkeiten essen trotz Keine-Süßigkeiten-Regel!“

„Hatte ich’s gesagt oder nicht?“ Recht hatte Willi mit seiner Stress-Warnung, merkt Leonie, denn seit Beginn der Abholzeit liegen die Ermittlungen in der Hand von Torbens Mutter, der Staatsanwältin Gnadenlos. Die will knallharte Ergebnisse über Hinter-Männer – „Mädchen tun so was nicht!“ – und Vertriebsrouten des Schmuggelgutes. Wie ist das Zeug in die Kita gelangt? Etwa über eine absichtsvoll von gewissenlosen Eltern bestückte Brotbox?

Das Gesicht Laimas zeigt klare Spuren bräunlicher Schokoladenanhaftung. „Komm mal her, Laima“, schnarrt Torbens Mutter, „ich weiß, dass du es warst!“ Sofort stellt sich Laimas Vater Holger dazwischen. „Lass mein Kind in Frieden!“ schnauzt er. „Erstens gilt euer Süßigkeiten-Verbot nicht für meine Tochter, denn wir haben auf dem Elternabend dagegen gestimmt. Zweitens darf jedes Kind nach der Kinderrechtskonvention über sein Essen selber bestimmen. Auch im Fall von Schokobonbons! Und drittens: Gesichtskontrolle als Ermittlungsmethode lehne ich ab, denn das ist ja…“, Holger erhebt den Zeigefinger, „…facial profiling!“

„Wir sehen uns wieder. Beim Sonder-Elternabend“, zischt Thorbens Mutter eiskalt.

____ Lars Ihlenfeld — Kitarechtler, antwortet:

 

Gegen ein Verbot von Süßigkeiten in der Kita die UN-Kinderrechtskonvention ins Spiel zu bringen, das klingt hanebüchen – aber man weiß ja nie, was sich in so großen Gesetzes- beziehungsweise Vertragswerken an Klauseln versteckt. Immer lohnend ist ein Blick in dieses Werk, das sicherlich einen der Höhepunkte menschlicher Zusammenarbeit auf globaler Ebene manifestiert. 1989 verabschiedet, 1992 in Deutschland ratifiziert und seit 2010 mit dem Status eines Bundesgesetzes versehen, hat es weltweit für zahllose Verbesserungen der Umstände gesorgt, unter denen Kinder aufwachsen, auch wenn es nach wie vor noch viel zu tun gibt. Dabei soll unter anderem die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für Bildung zur Nachhaltigen Entwicklung helfen. So viel zum großen Ganzen.

Zum Thema Süßigkeiten findet sich zwar kein Eintrag im Vertragstext. Das Thema Ernährung wird jedoch in zwei Artikeln der Konvention erwähnt: Artikel 24 „Gesundheitsvorsorge“ und Artikel 27 „Angemessene Lebensbedingungen“. Danach ist Deutschland wie alle 196 Länder, in denen die Konvention gilt, verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, Unter- und Fehlernährung zu bekämpfen und „sicherzustellen, dass allen Teilen der Gesellschaft, insbesondere Eltern und Kindern, Grundkenntnisse über die Gesundheit und Ernährung des Kindes (…) vermittelt werden.“ Außerdem soll der Staat sicherstellen, dass Kinder bei Bedürftigkeit von materiellen Hilfs- und Unterstützungsprogrammen insbesondere im Hinblick auf Ernährung, Bekleidung und Wohnung profitieren.

Es ist wohl allgemein anerkannt, wenn auch nicht allgemein bekannt, dass Süßigkeiten nicht zur Gesundheit von Kindern beitragen. Und ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen darf man vermuten, dass die staat­lichen Unterstützungsprogramme für bedürftige Kinder vorrangig die Versorgung mit Gemüse und Vollkorngetreiden vorsehen, also nicht mit industriellem Zucker, dem Hauptbestandteil der meisten Süßigkeiten.

Der Artikel 12 der Konvention jedoch könnte Laima und Holger helfen. Er betont das Recht auf Partizipation und stellt sicher, dass Kinder ihre Meinung in allen sie betreffenden Angelegenheiten frei äußern können und dass diese Meinung angemessen, entsprechend ihres Alters und ihrer Reife, berücksichtigt wird. Zwar geht es hier vorrangig um die Beteiligung von Kindern an Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, die sie betreffen, aber das auch im SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) verankerte allgemeine Recht auf Beteiligung wird dadurch noch einmal unterstrichen. Doch Beteiligung bedeutet nicht, dass Kinder alles bekommen, was sie wollen.

Laima und ihr väterlicher Anwalt könnten jedoch mit Blick auf dieses Kinderrecht einen Verfahrensfehler rügen, da die Kinder bei dieser Angelegenheit, die sie betrifft, offenbar nicht einbezogen worden waren. War das tatsächlich der Fall, wäre die Abstimmung im Zweifel zu wiederholen.

Im nächsten Schritt stellt sich allerdings die Frage, ob die Elternversammlung einer Gruppe überhaupt zuständig und entscheidungsbefugt für eine solch elementare und weitreichende Angelegenheit ist. Nach Hamburger Kitarecht (Paragraf 24 Kibeg) und ähnlich auch in vielen anderen Kitagesetzen der Länder können konzeptionelle Änderungen allein von der Leitung oder dem Träger entschieden werden. Zuvor muss jedoch der Elternausschuss, also die Versammlung der Elternvertreter aller Gruppen, rechtzeitig informiert und angehört werden.

Fazit: Auf einem Elternabend kann so ein Verbot beschlossen werden. Ob es rechtlich durchsetzbar ist, bleibt aber höchst zweifelhaft.

Wie so oft lohnt sich der Aufwand, eine breite Beteiligung an der Umsetzung solcher Veränderungen zu ermöglichen. Die Akzeptanz und Nachhaltigkeit der Entscheidungen ist dann in aller Regel deutlich höher.

Text: Michael Fink & Lars Ihlenfeld

 

Ärger mit Sie wissen schon – Rechtsfragen aus der Pädagogik ∫ Lars Ihlenfeld, Michael Fink ∫ 128 Seiten, mit Fotos ∫ ISBN 978-3-96791-006-3 ∫17,90 Euro, zzgl. Versand

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ist Jurist, dreifacher Vater, Wald­kindergarten-Gründer und Mitglied des Leitungsteams der Kita Sandvika in ­Hamburg-Altona

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