Pädagogik aufräumen
Hier gibt es das Allerletzte als PDF: Das Allerletzte_#3_2024
Pädagogik lebt von Ritualen, heißt es. Erzieher, Lehrer und *innen machen alles Mögliche, weil es nun mal derzeit üblich oder sogar vorgeschrieben ist. Egal, ob es Sinn hat oder nicht. Sinnvoll ist es aber auf jeden Fall, ab und zu auszumisten. Deswegen stellt diese Rubrik pädagogische Gewohnheiten aufs Tapet und fragt ganz ergebnisoffen: Ist das pädagogische Kunst, oder kann das weg?
Chef Hans-Werner findet, die blutjunge Kollegin sieht einfach lecker aus – frisches Lächeln, straffe Haut und außerdem ein knackiger Po. Und dann dieser hinreißende Schmollmund! Klar, dass der vollbärtige, etwas füllig gewordene Endfünfziger sie einfach in den Arm nimmt und ganz eng umfasst, oder? Nein, zum Glück werden solche Verhaltensweisen heute nicht mehr toleriert und waren selbst vor einem halben Jahrhundert schon eine Grenzüberschreitung, auch wenn man damals darüber lieber hinweggesehen hat.
Erzieherin Nora findet, die kleine Sara sieht einfach soooo niedlich aus – ein frisches Lächeln, diese glatte Babyhaut, und dieser Schmollmund, wenn das Mädchen mal nicht kriegt, was sie will! Klar, dass Nora das wütende Mädchen zur Beruhigung ganz fest in den Arm nimmt und mit einem Finger-Tipp-Spiel versucht abzulenken, oder?
Nein. Gute Erzieherinnen haben genauso wenig das Recht wie Lust-Greise, schwächere Mitmenschen irgendwo zu berühren, weil sie diesen Mitmenschen süß oder lecker finden. Ausnahme: Erzieherin oder Chef fragen nach. Falls Sprechen altersgemäß oder situativ schwierig ist, kann mit Gesten angekündigt werden, was man plant, um auf klare Signale für Go oder NoGo zu antworten.
Und falls Kollegin beziehungsweise Sara keine Lust auf Umarmung haben, muss der oder die Mächtigere darauf verzichten, durch Beleidigtsein oder Drängeln Druck auszuüben.
Eigentlich ganz einfach.
Foto: napri/photocase.de