VORSICHT IM ALLTAG MIT KINDERN

Fehler und Fehlverhalten gehören wie in allen Berufsgruppen auch in der pädagogischen Arbeit zu den Risiken des Alltags.

In diesem Beitrag findet ihr exemplarisch eine Auswahl von Fehlverhalten bzw. zu vermeidenden Interaktionen aus dem Alltag mit Kindern in zentralen Autonomie-Situationen, in Situationen, in denen Themen der Kinder im Mittelpunkt stehen und in organisatorischen Situationen.

Hier gibt es den Beitrag als PDF:

 

Diese, weitere zu vermeidende Interaktionen und wie stattdessen der gesamte Alltag kinderrechtsbasiert, inklusiv, feinfühlig und partizipativ gestaltet werden kann, könnt ihr u. a. im Brandenburger Bildungsplan nachlesen sowie in vertiefenden Fortbildungen diskutieren.

Mit Fehlverhalten umgehen – aber wie?

Sprecht im Team offen über Formen, Ursachen und Folgen von Fehlverhalten im pädagogischen Handeln und legt in eurem institutionellen Kinderschutz- bzw. Gewaltschutzkonzept schriftlich fest, wie ihr mit Fehlverhalten in der pädagogischen Arbeit umgehen wollt. In Situationen, in denen ihr beobachtet, dass Kolleginnen und Kollegen die Rechte von Kindern verletzen, ihre Macht als verantwortungstragende Erwachsene gegenüber Kindern missbrauchen oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung verletzen, ist es eure Pflicht, das anzusprechen und möglichst direkt zu intervenieren.

Kinder nehmen Grenzverletzungen durch Erwachsene ebenfalls wahr. Deshalb ist es wichtig, dass ihr Grenzverletzungen benennt, damit die Kinder erleben: Fehler und Fehlverhalten gehören zum Alltag jedes Menschen, aber in solchen Situationen wird sofort interveniert. Man gesteht Fehler ein, bittet um Entschuldigung, korrigiert Fehler und verhindert jede Form von Machtmissbrauch unmittelbar. Unterstützt einander in Überforderungssituationen und bemüht euch, konfrontative Situationen zu deeskalieren. Einigt euch im Team darüber, wie ihr von Kolleginnen und Kollegen in solchen Situationen angesprochen und auf Fehlverhalten hingewiesen werden möchtet.

Nicht gestattet ist es, Fehlverhalten oder Machtmissbrauch im pädagogischen Alltag zu ignorieren, eine Intervention zu unterlassen oder Ereignisse beziehungsweise Entwicklungen, die geeignet sind, das Wohl der Kinder zu beeinträchtigen, durch passives Schweigen oder aktives Mittun negativ zu verstärken. Beobachtet ihr, dass jemand sich fehlerhaft verhält, dann vermeidet es, dieser Fachkraft gegenüber selbst grenzverletzend, herabsetzend oder beschämend zu agieren.

Welche Ereignisse oder Entwicklungen meldepflichtig nach § 47 SGB VIII sind, wird in den Hinweisen der die Betriebserlaubnis erteilenden Behörde geregelt; die Verfahrensabläufe hierzu sollten im Institutionellen Kinderschutz- bzw. Gewaltschutzkonzept eures Trägers beschrieben sein. Euer Träger hat einen gesetzlichen Anspruch auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher Handlungsleitlinien zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Gewalt, zu Verfahren der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an strukturellen Entscheidungen in der Einrichtung sowie zu Beschwerdeverfahren in persönlichen Angelegenheiten (§8b SGB VIII). Nutzt Supervisionen und Fortbildungen und holt euch Unterstützung für euer Team. Setzt eure gesetzliche Verpflichtung um, Kindern Partizipation und Beschwerde zu ermöglichen und überprüft die Beschwerdeverfahren in eurer Einrichtung.

Fehlverhalten im Alltag – Einige Beispiele

Nachfolgend findet ihr Beispiele aus dem Alltag mit Kindern in zentralen Autonomie-Situationen, in Situationen, in denen Themen der Kinder im Mittelpunkt stehen und in organisatorischen Situationen.

Die Listen sind jeweils unvollständig, ihr könnt sie gern weiterführen.

WICKELN

• Stellt Schutz- und Förderrechte nicht automatisch vor die Selbst- und Mitbestimmungsrechte eines Kindes.

• Drängt Kinder nicht, auf den Topf oder die Toilette zu gehen, und verbietet es ihnen nie. Betretet eine Toilettenkabine nicht ohne die Zustimmung der Kinder.

• Beschämt Kinder nicht, zum Beispiel durch Vergleiche oder Bloßstellen – „Hu, hier müffelt’s, da hat einer von euch wohl volle Hosen!“ –, durch Unterstellungen oder Bestrafungen. Vermeidet es, abwertend oder mit Ekel über Ausscheidungen zu sprechen.

• Verzichtet auf unangekündigte oder grobe Berührungen und fasst Kinder nicht gegen ihren Willen an. Fixiert beim Naseputzen oder Mundabwischen nicht ihre Nacken oder Köpfe und haltet Körperteile von Kindern nicht fest.

• Vermeidet es, Kindern an ihrer Stelle die Zähne zu putzen oder nachzuputzen, sie ungefragt oder gegen ihren Widerstand zu waschen, sie mit einem Lappen abzuwischen oder einzucremen.

DIALOGISCH LESEN

• Problematisch wird Dialogisches Lesen, wenn ihr die Situation dominiert, zu zielgerichtet agiert und die Kinder dadurch unter Druck setzt.

• Wendet keinen Druck oder Zwang an, um Kinder zum gemeinsamen Buchbetrachten zu bewegen.

• Unterbindet die Äußerungen eines Kindes nie zugunsten des Vorlesens mit Worten wie: „Sei still und hör jetzt zu!“

• Fragt Kinder nicht ab: „Was ist das? Was macht der da? Wie heißt das? Welche Farbe ist das?“

• Korrigiert Kinder nie direkt: „Das heißt Katze und nicht Tatze!“ Nutzt stattdessen korrektives Feedback: „Ah, die Katze ist gestreift!“

• Bewertet die Äußerungen der Kinder nicht: „Das kannst du aber besser! Das ist doch Quatsch! Das hast du jetzt aber gut gesagt!” Bestimmt nicht darüber, welche Redebeiträge „richtig” oder „falsch” sind.

PÄDAGOGISCHE ANGEBOTE GESTALTEN

• Plant die Angebote nicht an den eigentlichen Themen der Kinder vorbei.

• Nehmt euch nicht zu viel vor.

• Zwingt Kinder nicht, an einem Angebot oder Projekt teilzunehmen, sondern spiegelt ihnen ohne Bewertung, wenn ihr den Eindruck habt, dass sie keinen Spaß mehr an dem Thema haben.

• Seid nicht enttäuscht, wenn Kinder euer Angebot nicht interessant finden, und beendet eine Aktivität, an der Kinder keine Freude haben, auch wenn ihr euch viel Arbeit gemacht habt.

• Tabuisiert Themen nicht, die für die Kinder relevant sind, zum Beispiel Kämpfen oder Serienfiguren.

• Wenn ihr merkt, dass ein Kind nie länger an einem Thema arbeitet und sich häufig aus gemeinsamen Aktivitäten zurückzieht, dann drängt es nicht, dabeizubleiben, sondern findet durch Gespräche mit ihm, seiner Familie und durch Beobachtung heraus, an welchem Thema dieses Kind vielleicht länger arbeiten möchte.

• Verlangt von den Kindern weder, dass sie alle dasselbe tun, zum Beispiel dasselbe Motiv gestalten, noch, dass sie euch nachmachen, was ihr tut. Verzichtet auf Schablonen und lasst die Kinder selbstständig kreativ mit dem Material umgehen.

KINDERKREISE MODERIEREN

• Drängt die Kinder nicht zur Teilnahme oder dazu, etwas zu sagen oder zu tun, wenn sie das nicht wollen.

• Gebt den Kindern nicht vor, dass sie beim Kinderkreis sitzen müssen, sondern lasst sie ihre Körperhaltung und Position wählen, also wo, wie und neben wem sie hocken, stehen, sitzen oder liegen wollen.

• Haltet nicht starr an euren Planungen und Strukturen fest.

• Vermeidet, dass Kinder lange warten müssen, bevor sie etwas sagen dürfen, sondern gebt Impulse, auf die sich alle beziehen und sofort darüber nachdenken können.

• Übergeht die Gefühls- oder Bedürfnisäußerungen von Kindern nicht, wertet sie nicht als Störung und lasst Kinder nicht warten, wenn sie ein Bedürfnis erfüllen wollen, zum Beispiel zur Toilette gehen, etwas trinken, körperliche Nähe oder Trost suchen.

• Übt keinen Druck auf Kinder aus, verbietet ihnen nicht den Mund und fordert sie nicht ohne Begründung auf, leise zu sein.

• Verzichtet auf Bewertungen, wenn Kinder etwas geäußert haben.

• Achtet darauf, einzelne Kinder nicht zu bevorzugen oder zu benachteiligen, zum Beispiel bei der räumlichen Nähe zu euch, bei der Ansprache, bei der Moderation von Redebeiträgen oder der Übertragung von Verantwortung.

Tipps zur Gesprächsführung mit Kindern

• Fragt nach: „Was heißt das denn genau?“ Lasst Kinder Beschreibungen und Bewertungen präzisieren: „Was genau war schlecht daran?“. Stellt Eigentlich-Fragen: „Warum muss man eigentlich aufräumen?“

• Schärft die Wahrnehmung der Kinder: „Ist euch schon einmal aufgefallen, dass…“ Sucht nach möglichen Einwänden gegen feste Meinungen: „Könnte es nicht sein, dass die Dinge deshalb nach unten fallen, weil sie farbig sind?“

• Stellt vermeintliche Selbstverständlichkeiten in Frage und werft ungewöhnliche Fragen auf: „Woher wissen wir eigentlich, dass das Leben kein Traum ist?“

• Sagt, dass ihr etwas nicht wisst, aber stellt auch klar, dass ihr etwas genau wisst. Korrigiert euch ruhig selbst mit „besser gesagt“ und lasst euch so beim Denken „zuschauen“.

• Bezieht das Thema eures Gesprächs auch auf Dinge, die im unmittelbaren Blickfeld der Kinder sind: „Ist das Sandkorn hier eigentlich auch aus Stein?“

• Stellt Analogien her, indem ihr nach Vergleichen fragt: „Und wie ist das bei Tieren?“Bringt eigene Hypothesen ins Gespräch, sagt, was ihr selbst denkt, und stellt auch mal eine Gegenposition zu dem her, was ein Kind sagt: „Bei mir war das aber so…“

• Signalisiert bei Widersprüchen, dass sich euch eine neue Frage stellt: „Wenn du sagst, der Mond ist da, damit wir nachts besser sehen können, frage ich mich, warum er dann manchmal gar nicht scheint oder warum er manchmal auch am Tage zu sehen ist.“

• Seid vorsichtig mit Warum-Fragen, nutzt sie für das Erfragen von Begründungen und ergänzt dies immer mit „Was meinst du, warum…?“ oder „Was denkst denn du, warum…?“ Ein Beispiel: „Was denkst du, warum das Wasser in der Pfütze heute nicht durchsichtig ist?“

• Nutzt das Warum nicht für rhetorische Fragen: „Warum hast du den Schuh von Marie weggenommen? Was hast du dir dabei gedacht?“

• Statt „oder?“ am Ende einer Aussage zu ­verwenden, das leicht suggestiv wirken kann, fragt lieber: „Und was denkst du?“ Vermeidet Antworten mit „Ja, aber…“

• Besteht nicht auf einer Frage, die die Kinder nicht aufgreifen, und bleibt nicht starr am Thema, wenn es die Kinder nicht mehr interessiert.

• Bereitet für einen Kinderkreis nicht zu viel vor, sondern seid offen für die Gedanken, die die Kinder im Moment ausdrücken.

 

MIT KINDERN PLANEN

• Geht nicht davon aus, dass Pädagoginnen, Pädagogen und Kinder aus dem Stand heraus umsetzbare Ideen entwickeln.

• Bewertet die Ideen und Gedanken von Kindern nicht und tut sie nicht als unrealistisch oder unerwünscht ab. Sprecht stattdessen mit ihnen darüber, was hinter einer zunächst ausgefallen erscheinenden Idee stecken könnte.

• Wenn die Kinder (scheinbar) keine Ideen haben oder der Planungsprozess stockt, übernehmt die Umgestaltung nicht einfach selbst, sondern wartet ab, bis die Kinder Lust haben, sich etwas auszudenken.

• Fangt mit Planungs- und Umgestaltungsprozessen nicht zu spät an, denn Beteiligung braucht Zeit. Drängt Kinder nicht, schnell fertig zu werden. Lasst ihnen die Zeit, die sie brauchen, um ihre Ideen zu formulieren.

DRAUSSEN UNTERWEGS SEIN

• Zwingt die Kinder nicht, in Reih und Glied oder in einer Reihenfolge zu laufen, die sie nicht mitbestimmen können.

• Drängt die Kinder nicht, andere Kinder oder euch anzufassen, wenn sie das nicht wollen.

• Wenn ihr Kinder zählt, tippt sie dabei nicht mit dem Finger an.

 

AUSZIEHEN, ANZIEHEN, UMZIEHEN

Kommt es in der Garderobe zu Enge, Unordnung, Lärm, Zeitdruck oder Stress, dann bleibt gelassen und gebt euren eigenen Druck nicht an die Kinder weiter.

• Zerrt die Kinder nicht am Arm, schiebt sie nicht hin und her und setzt oder drückt sie nicht auf Bänke.

• Verzichtet auf ungefragten Körperkontakt.

• Assistiert nicht ohne verbale Ankündigung.

• Brecht Handlungen von Kindern nicht ab, indem ihr ihnen Kleidungsstücke aus der Hand nehmt und damit verhindert, dass sie sich selbst an- oder ausziehen.

• Treibt Kinder nicht an, sich zu beeilen.

• Sprecht nicht wertend über Eltern, zum Beispiel wenn Kleidungsstücke nicht gewaschen sind oder fehlen.

• Verzichtet auf Abwertungen und Etikettierungen wie trödeln, Schnecke, unordentlich oder Chaot und vermeidet geschlechtsstereotype Etikettierungen: „Hübsches Kleid, Mia!“

• Vergleicht Kinder nicht mit Sätzen wie: „Liam und die anderen sind schon fertig, nur du noch nicht.“

Passiert euch das doch, dann sagt den Kindern, dass ihr euch eigentlich anders verhalten wolltet und selbst nicht gut findet, was ihr gesagt habt. Überlegt, was ihr braucht, um beim nächsten Mal gelassen zu reagieren.

 

BRINGEN UND ABHOLEN

• Vermeidet es, die Bring- und Abholsituation als Check-In bzw. Check Out-Schalter zu organisieren, sondern gestaltet jede Begrüßung und Verabschiedung individuell.

• Vergesst nicht, ankommende oder nach Hause gehende Kinder und ihre Familienmitglieder zu begrüßen oder zu verabschieden. Nehmt dabei zu den Kindern und ihren Bezugspersonen Blickkontakt auf und sprecht sie freundlich an.

• Zwingt Kinder nicht zu Begrüßungsritualen, die sie nicht mögen. Drängt die Kinder nicht, euch in die Augen zu schauen, euch die Hand zu geben oder euch zu umarmen.

• Macht Eltern und/oder Kindern keine Vorwürfe, wenn sie zu spät kommen, sanktioniert sie nicht und macht keine abwertenden Bemerkungen, zum Beispiel: „Da war deine Mama schon wieder zu spät dran, ist ja typisch.”

• Sprecht in Übergabesituationen nicht über den Kopf eines Kindes hinweg in der dritten Person über das Kind, wenn es danebensteht.

• Sprecht den Kindern nicht ihre Gefühle ab, wenn ihnen ein Abschied schwerfällt, indem ihr zum Beispiel sagt: „Ach, ist doch nicht so schlimm, wenn der Papa jetzt geht.”

• Treibt die Kinder und Bezugspersonen nicht zur Eile an.

• Überladet die Wände des Foyers und der Garderobe nicht mit Informationen.

RAUMWECHSEL UND ÜBERGABEN GESTALTEN

• Vermeidet plötzliche, für die Kinder unerwartete Situationswechsel und unangekündigte Handlungsabbrüche. Lasst Kinder nie im Ungewissen darüber, was als nächstes passieren wird.

• Verlasst nicht den Raum oder die Einrichtung, ohne euch von den Kindern zu verabschieden und ohne anzukündigen, wer nun Ansprechperson ist.

• Vermeidet Wartezeiten für die Kinder und gebt keine stark direktiven oder unbegründeten Handlungsanweisungen, zum Beispiel: „Hör auf, herumzuzappeln!”

• Bedroht und belegt Kinder nicht mit Sanktionen, wenn sie Übergänge nicht schnell genug bewältigen: „Weil du vorhin so getrödelt hast und ich warten musste, wirst du jetzt warten.“

 

AUFRÄUMEN

• Räumt nicht alles selbst auf, um Konflikten mit den Kindern aus dem Weg zu gehen.

• Initiiert beim Aufräumen keine Wettbewerbssituationen, vergleicht die Kinder nicht mit Sätzen wie: „So kannst du das nicht stehen lassen. Schau mal, wie ordentlich Natalie das gemacht hat.” Vermeidet es, „ordentliche“ Kinder zu loben und „unordentliche“ Kinder zu bestrafen oder mit Strafen zu drohen.

• Vermeidet es, Kinder mit unangekündigten Aufräumaktionen aus dem vertieften Spiel zu reißen. Räumt die Materialien der Kinder nicht ungefragt weg und wischt zum Beispiel in Essenssituationen nicht ständig um die Kinder herum.

• Übertragt eure persönlichen Vorstellungen von Sauberkeit und Ordnung nicht unreflektiert auf die Einrichtung – pädagogische Umgebungen für Kinder haben Werkstattcharakter.

 

Fotos: Sebastian Treynar

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