Wege zur Harmonie

Hier gibt es den Artikel als PDF: Wortklauber_#2_2023

Immer noch Krieg, dauernd hass­erfüllte Auseinandersetzungen statt Einigkeit im Klimaschutz, verbaute Landschaften und hässliche Städte, schlechte Stimmung im Team: Es gibt viele Gründe, sich mehr Harmonie auf der Welt zu wünschen.

Harmonie bedeutet Einklang, Eben­maß, Gleichklang der Gefühle und stammt von dem griechischen Wort „zusammenpassen“ ab. Welche Wege schlug die Menschheit vor, um zu mehr Harmonie zu gelangen? Und was wird heute empfohlen?

Die Sache mit dem Apfel klären

Religionen wie Judentum, Christentum und Islam teilen den Glauben an die Erlösung, die uns zu einem verlorenen Urzustand der Harmonie zurückführt. Demnach verspielten wir die Harmonie, als das erste Pärchen vom Baum der Erkenntnis naschte. Doch durch bestes menschliches Streben könnten wir die Harmonie vielleicht wieder zurückgewinnen.

Bis heute prägt dieser Erlösungsgedanke viele Vorstellungen von „besseren Gesellschaften“. In großen Utopien wie dem Sozialismus und in individuellen Projekten wie dem Zusammenleben in Landkommunen steckt die Idee von einer besseren, harmonischen, konfliktfreien Welt.

Den universellen Zahlen­code finden

„Schläft ein Lied in allen Dingen…“ Was Eichendorff einst dichtete, erinnert an das Harmonie-Verständnis der alten Griechen. Sie gingen davon aus, dass sich eine vollendete Harmonie hinter allen Erscheinungen der Welt verbirgt, die man nur finden muss. Hinter Symmetrie oder besonders angenehmen Klängen und Maßverhältnissen vermuteten sie mathematische Zusammenhänge, die quasi universelle Harmonie herstellen. Auch die Gestirne bewegen sich nach der Theorie klassischer Denker auf mathematisch perfekten Bahnen, wobei sie die leider unhörbare Sphärenmusik erzeugen.

Einklang mit der Natur finden

Lebt die Natur mit sich im Einklang? Die Vorstellung, man müsse nur zu den Gesetzmäßigkeiten der Natur zurückfinden, prägt uns schon seit Urzeiten. Auch die Vertreibung aus dem Paradies kann man so verstehen: Apfel gegessen, schlauer als die Tiere sein, aber den Garten Eden dadurch verloren haben.

Auch der Garten im Wort Kindergarten passt zu dem Bild von wahrer Harmonie in der Natur. Für Friedrich Fröbel war das Ziel der Erziehung, den Einklang der Gegensätze von Natur (dem Inneren) und Geist (dem Äußeren) herzustellen, also die Harmonie des Menschen mit der Welt, der Natur, den anderen Menschen und Gott.

Das optimale Gesellschaftssystem entwickeln

„Der Edle strebt nach Harmonie, nicht nach Gleichheit.“ Für den chinesischen Philosophen Kong Fuzi, bei uns Konfuzius genannt, war Harmonie ein herausgehobener Wert. Das greift die chinesische KP gerne auf, um ihre Vorstellung eines optimalen Gesellschaftssystems zu propagieren. Harmonie entsteht, wenn solch ein System alle Bedürfnisse der Menschen optimal in Einklang bringt – auf der Grundlage einer stabilen politischen Ordnung. Mit anderen Worten: Harmonie und echte Demokratie schließen sich irgendwie aus, denn letztere lebt ja vom Streit.

Alle Entwicklungs­bedürfnisse erkennen

Von Harmonie durch ein perfektes Gesellschaftssystem träumten viele Menschen, auch Maria Montessori: „Der wahre Friede bedeutet Sieg der Gerechtigkeit und der Liebe unter den Menschen, bedeutet eine bessere Welt, in der Harmonie herrscht“, postulierte sie. Ihr Weg zur Harmonie: die Entwicklungsbedürfnisse von Kindern erfüllen.

Im Inneren suchen

Findet man echte Harmonie nur in sich selbst? Je weniger die Menschen an bessere Gesellschaftssysteme glauben, desto mehr scheinen sie die Sache mit der Harmonie bei sich selbst zu verorten. Unter dem Kofferwort „Achtsamkeit“ werden unterschiedlichste Wege empfohlen, um Harmonie zu finden – beim Yoga, mit Atemtechniken oder beim Ausmalen von Mandalas. Inzwischen sehen auch die Kultusminister darin Potenzial: In Bildungsempfehlungen werden Achtsamkeitskurse gegen Lehrermangel angepriesen. Ist ja auch kostengünstig.

Ins Innere aufnehmen

Preiswerter ist nur die orale Einnahme von Harmonie: „Innere Harmonie“, weiß die Firma „Yogi Tea“, „ist ein hohes Gut und dieser Tee dein Wegweiser dorthin. Der Weg beginnt mit einem Moment des Innehaltens, in dem Zitronenmelisse, Lavendelblüten und Zimt dich begleiten und dir eine gute Portion Gelassenheit mitgeben. Hast du zur Harmonie gefunden, kannst du sie teilen.“

Noch besser bringt nur ein Anbieter die Sache auf den Punkt: Wenn bei Kleinkindern das Innere nach außen dringt, bleibt es wohlverwahrt – in der Windel der Pampers-Serie „Harmonie“.

Auf Postern propagieren

Wie sieht es in unserem Bereich aus? Regelposter verraten, was Grundschule und Kindergarten unter Harmonie verstehen. Dort liest man: „Wir streiten achtsam“, „Freundliche Worte finden“, „Wir halten immer zusammen“ und „Ich freue mich, wenn es meinen Freunden gut ergeht“. Oder auch: „Unsere Trinkbecher sind nur zum Trinken da.“ Endlose Diskussionen im Chat oder TV über „Systemsprenger“, „Regelbrecher“ und die „Kleinen Paschas“ von Merz zeigen: Wir gehen immer noch davon aus, dass es Harmonie geben könnte, wenn sich endlich alle an die Regeln halten würden. Auch die, denen das immer so schwerfällt.

 

Abbildung: harmoniumnotes.blogspot.com

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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