Besondere ­Momente im Alltag mit den jüngsten Kindern

Wie kann man lernen diese wahrzunehmen?

 

Wiebke Wüstenberg ist Diplom-Pädagogin,
ausgebildet in systemischer Therapie/Beratung,
und war Professorin an der Fachhochschule
Frankfurt am Main

Die Gute Frage gibt es hier als PDF: Gute Frage_#3_2025

Eigentlich können Erzieherinnen aus jeder Alltags-Situation etwas Besonderes oder Bedeutsames machen. Ein bezeichnendes Beispiel fand ich in einem Beitrag von Suallyn Mitchelmore, Sheila Degotardi und Alma Fleet1: Eltern hatten ihren Kindern, etwa anderthalb Jahre alt, selbst Lätzchen gemacht, aus welchem Grund auch immer. Diese Lätzchen wurden vor dem Mittagessen in der Kita ausgeteilt – ein von den Kindern geliebtes Ritual. Sie guckten sich die Lätzchen gern an, weil Bilder darauf waren. Nun hätte die Erzieherin sagen können: „Jetzt binde ich euch mal schnell die Lätzchen um, damit ihr essen könnt.“ Es war aber anders.

Auf dem Lätzchen eines Mädchens war das Bild eines Hundes. Natürlich konnte das Kind noch nicht viel sprechen, sondern machte nur „Wau, wau!“ „Ah“, sagte die Erzieherin, die wusste, dass es bei dem Mädchen zu Hause einen Hund gibt, „du hast deinen Hund auf dem Lätzchen gesehen, und der macht wau, wau.“ Da fingen die anderen Kinder, die alle zugehört hatten, auch an zu bellen.

Die Erzieherin hatte also von dem erzählt, was sie von dem Mädchen und seinem Zuhause wusste. Sofort hatten alle anderen Kinder etwas zu der Erzählung beigetragen – je nachdem, was sie an Lauten oder Bewegungen schon beherrschten.

Der Hund, das ist ja ein Thema, zu dem viele kleine Kinder etwas sagen, vokalisieren oder auf andere Weise ausdrücken können. Wenn so ein Thema in die Runde geht, wird ein Ereignis daraus, ein besonderer Moment. Hat man dafür ein Gespür, kann man an einem Kita-Tag fast jederzeit dafür sorgen, dass solche Ereignisse stattfinden. Aber man muss bereit sein, hinzugucken, mit den Kindern mitdenken, muss darauf achten, was in der Kindergruppe entsteht, sich darauf einlassen, vielleicht auch selbst etwas dazu beitragen – und schon steht etwas ganz Wichtiges im Mittelpunkt, ohne dass man es hat planen müssen.

Die Frage ist also: Lässt man sich die Zeit dafür? Oder klammert man sich an die vorgegebene Struktur und lässt sich nicht darauf ein, was im Moment entsteht. Wenn man davon ausgeht, dann und dann ist Mittagessen, dann und dann müssen die Kinder fertig sein, wäre so etwas wie mit dem Lätzchen gar nicht möglich.

In der beschriebenen Situation geht es ja nicht um eine Bilderbuchbetrachtung, sondern um ein Bild, auf das ein Kind reagiert. Die Erzieherin lässt sich darauf ein, guckt, was passiert, und so ergibt sich eine kleine Geschichte. Kinder, die noch kaum über Wortsprache verfügen, können viel dazu sagen – mit Händen und Füßen, Mimik und Gestik, mit Aufstehen und Hopsen. Aber man muss ihnen die Zeit dazu geben, ihnen Aufmerksamkeit schenken und bereit sein, sich auf die Kinder einzulassen, auf die Dynamik, die dann entsteht. Wenn es heißt: Jetzt wird gegessen, dann Händewaschen und Mittagsschlaf, weil das immer so ist, dann klappt das nicht. Also muss man sich entscheiden: Ist mir die Struktur wichtig oder sind mir die Kinder wichtig?

Foto: Xavi Cabrera, unsplash

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