Den Artikel gibt es als PDF: Gute Frage_#2_2024
In der Kita pädagogisch zu arbeiten heißt für mich, gleichwürdig mit kleinen Menschen zusammenzuleben. Wer die Idee hat, ihnen immer etwas beibringen zu müssen, sie immer zu irgendwelchen Zielen führen zu müssen, ihre Lebenszeit in der Kita zu verplanen und das, was die Kinder wollen, geringzuschätzen, der hat verloren.
In der Kita lebe ich mit den Kindern eine Zeitlang in einem bestimmten Rahmen zusammen. Da kann mir alles passieren, was mir auch mit erwachsenen Menschen passieren kann. An Erwachsene gehe ich aber nicht mit der Vorstellung heran, ich müsse sie in eine bestimmte Richtung ziehen, und wer nicht mitzieht, kriegt einen Förderplan verpasst oder braucht eine Therapie. Eine fette Portion Gift für dieses Zusammenleben wäre es zu glauben, ich als Fachkraft wüsste es von vornherein besser als die Kinder, was sie konkret in verschiedenen Lebenssituationen brauchen.
Eigentlich erziehen die Kinder auch mich. Sie haben eine Wirkung auf mich, und ich habe eine Wirkung auf sie. In diesem Miteinander versuchte ich, mit den Kindern zusammenzuleben. Wenn dann das eine oder andere Kind zu mir sagte: „Du bist meine Freundin“, dann war das wie ein „Ritterschlag“ für mich und eine Art Gegengift.
Unser Zusammenleben verlief nicht ohne Probleme und ohne Lernprozesse auf beiden Seiten, was Glück bescheren und auch schmerzhaft sein kann. Aber es ist das A und O, wenn man beruflich mit Kindern zu tun hat. Das muss man wissen. Jedes Kind sollte sich in der Kita mindestens eine erwachsene Person auswählen können, der es sein Vertrauen schenken kann.
Ich bin dankbar dafür, dass ich junge Menschen ein Stück ihres Weges begleiten durfte.
Christiane Feuersenger
ist Erzieherin, Diplomsozialpädagogin, Kitagründerin und aktuell in der Fortbildung tätig
Foto: Kristina Kokhanova / photocase.de
„Mama guck mal, so eine kleine Oma!“, ruft das Kind begeistert und zeigt auf mich. Mama ist peinlich berührt. Weiter lesen…
Den Artikel gibt es hier als PDF: Demokratie_#1_2024
Jedenfalls nicht die Kindervollversammlung. Das würden kleine Kinder nie von selbst machen. Ihr eigentliches Thema ist, selbst zu bestimmen, was die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse anbelangt. Sie entscheiden selbst, ob sie schlafen wollen oder nicht, ob und was sie essen, ob, wann, wie lange, mit wem und wo sie spielen, wann sie zur Toilette gehen, und die Jüngsten entscheiden natürlich auch, wer sie wickeln darf. Das ist Selbstbestimmung und gehört für mich zur unmittelbaren Demokratie.
Wenn ich als Erwachsene zur Wahl gehe, entscheide ich vorher auch selbst: Gehe ich überhaupt hin oder nicht? Das heißt: Ohne Selbstbestimmung gibt es keine Demokratie. Das gehört einfach zusammen.
Selbstbestimmung, was ihre unmittelbaren Bedürfnisse betrifft, müssen Kinder im Alltag erleben. Sonst handelt es sich um Vorstellungen Erwachsener, die sie den Kindern überstülpen. Als meine Enkelin in der ersten Klasse war, hat sie mal rückblickend gesagt: „Es ist komisch. In dem einen Kindergarten mussten wir immer zum Morgenkreis gehen und Experten wählen. In dem anderen Kindergarten konnten wir immer gleich spielen. Ich glaube, in dem ersten Kindergarten haben die uns die Zeit geklaut.“
Es wäre allen Kinder zu wünschen, dass sie in der Kita erleben: Ihre Meinungen und ihr Mitmachen werden gebraucht, um Probleme zu lösen, die sie und andere Kinder gemeinsam betreffen. Im Frühdienst hatten wir zum Beispiel das Problem, dass die Kinder die obere Etage bis 8.30 Uhr nicht nutzen konnten, weil eine Kollegin im Bereich für die Jüngsten zuständig war und die andere die älteren Kinder im Erdgeschoss empfing. Aber in dieser Zeit war der Bauraum in der ersten Etage für einige Kinder der beliebteste Raum. Da haben wir mit ihnen beraten, was wir tun könnten. Die Kinder schlugen vor, ein Treppenschild aufzuhängen. Wenn das Schild hängt, sagten sie, können alle Kinder nach oben gehen, weil dann eine Erwachsene da ist. Hängt es nicht, muss das Kind, das in die erste Etage will, die Erzieherin fragen, ob es hochgehen kann. Noch am gleichen Tag wurde das Treppenschild angefertigt und aufgehängt. Alle, die die Treppe benutzten und nichts über die Funktion des Schildes wussten, wurden von den beteiligten Kindern darüber informiert.
Will ich Kinder an einer Entscheidung beteiligen, die nicht ihre unmittelbaren Bedürfnisse betrifft, kann ich das tun und muss damit leben, dass nur die Kinder mitmachen, die das interessiert. Es gibt nämlich auch ein Recht auf Nichtbeteiligung. Ich muss diesen Prozess gut vorbereiten und die Entscheidung akzeptieren, die die Kinder getroffen haben. Das kann auch eine Mehrheitsentscheidung sein. Kinder haben selten ein Problem damit, Mehrheiten zu akzeptieren, wenn sie sich selber in wechselnden Situationen als Bestimmer und als Mitbestimmer erleben. Aber darüber, ob ein Kind viel oder wenig essen will, neben wem es gerade sitzen möchte oder mit wem es spielt, kann es keine Mehrheitsentscheidung geben. Das muss klar sein.
Erwachsene bestimmen und entscheiden sowieso pausenlos. Zum Beispiel können Kinder sich nicht aussuchen, ob sie überhaupt in den Kindergarten gehen oder nicht, auf welche Kinder sie dort treffen und mit welchen Erwachsenen sie es dort zu tun haben.
Die „Höchststrafe“ für ein Kind ist doch, wenn andere Kinder sagen: „Du spielst heute nicht bei uns mit.“ Was macht das Kind nun?
Kinder müssen sich also ständig arrangieren, anpassen und kreativ sein, um mit anderen Kindern klarzukommen und zu spielen, denn das ist ja ihr „Beruf“. Diese Anpassungsleistung, die sie täglich erbringen, schätzen Erwachsene kaum. Unsere Aufgabe ist es, dafür eine beteiligungsfreundliche Atmosphäre zu schaffen und die Kinder nicht mit irgendwelchen Vorstellungen zu belasten, die nicht in die Kita gehören.
Kurz: Für mich ist Demokratie in der Kita gelebte Selbstbestimmung der Kinder über ihre unmittelbaren Bedürfnisse und Mitbestimmung über Angelegenheiten, über die sie tatsächlich mitentscheiden können. Übrigens kommt dabei meist etwas Besseres heraus, als Erwachsene manchmal annehmen.
Und: Alle Erwachsenen, die in der Kita mit den Kindern zusammenleben, müssen ihnen vorleben, wie partizipativ sie selber miteinander, im Team und mit den Eltern der Kinder umgehen. Wenn die Fachkräfte dann noch erleben, dass ihr Sachverstand von ihren Trägern gebraucht wird und sie in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, ist für mich die Demokratie in der Kita „rund“.
Text: Christiane Feuersenger. Erzieherin, Diplomsozialpädagogin, Kitagründerin und aktuell in der Fortbildung tätig.
Foto: Kita „Menschenskinder“ Berlin
Erinnerst du dich?
Kannst du dich an deinen ersten Tag erinnern?
In der Krippe? In der Kita? In der Schule? Im ersten Job?
Woran denkst du?
Was fühlst du?
Welche Erfahrung war ganz besonders für dich?
Wer aus der Gruppe, dem Team kommt dir als erstes in den Sinn?
Was würden sie/er über diese Zeit sagen?
Was war für dich in dieser Zeit besonders prägend?
Wo gab es in deinem Leben emotionale Übergänge?
Wie hast du es geschafft, diese Krisen zu überwinden?
Wer hat dir dabei geholfen? Welche Kräfte hast du mobilisiert?
Wenn du diese Zeit in einem Wort beschreiben würdest, welches wäre das?
Was hast du zurückgelassen? Was hast du mitgenommen?
Wie lang bist du unzufrieden, bevor du etwas sagst?
Wie lang brauchst du, bevor du aktiv wirst, um etwas zu verändern?
Was wünschst du dir in fünf Jahren? Für dich? Und für dein Team?
Foto: Stephen Andrews / unsplash
Marie Sander, Leiterin der Kita St. Thomas, Berlin-Kreuzberg: Weiter lesen
In 45 Heften stellte Michael Kobbeloer 895 Fragen – eine wamiki-Seite, die vielen Leserinnen und Lesern gefiel. Bevor sich Michael nun anderen beruflichen Herausforderungen zuwendet, verrät er uns, wie er 8 seiner vielen Fragen
beantworten würde.