Von Hochbeeten, Geburtstagkisten und dem Mut, Dinge zu verändern: Erzieherin Anne Siebart erzählt im Gespräch mit Lena von wamiki, wie Nachhaltigkeit
in ihrer Kita Wurzeln schlägt – Tag für Tag.
Hier gibt es das Interview als PDF: BNE-Brille_#3_2025
Lena: Wie kam es dazu, dass ihr euch mit Bildung für nachhaltige Entwicklung, kurz BNE, intensiver beschäftigt habt?
Anne: Ich bin sehr naturverbunden – und habe es wohl geschafft, die Kinder mit meiner Begeisterung anzustecken. Wir haben uns zum Beispiel gefragt, warum Äpfel aus dem Supermarkt keine Würmer haben, die aus unserem Garten aber schon. Schmecken die Äpfel mit den Würmern besser? Was sind das überhaupt für Tiere? Wo kommen die her? Und was daran soll eigentlich schlimm sein? Solche Fragen führen mitten ins Forschen – und in die Haltung dahinter: Staunen, Aushalten, Zusammenhänge entdecken.
Während des Zertifizierungsprozesses zur Naturpark-Kita in Kooperation mit dem Natur- und Geopark TERRA.vita rückte das Thema BNE stärker in den Fokus. Wir haben genau hingeschaut und gemerkt: Vieles machen wir schon intuitiv – aber wir wollten BNE bewusster gestalten.
Lena: Was genau bedeutet denn Naturpark-Kita?
Anne: Naturparks weisen regionale Besonderheiten auf – in unserem Fall bspw. die Saurierspuren in Bad Essen. Die Parks leisten Beiträge zur Regionalentwicklung und Umweltbildung. Wir als Kita profitieren von den Experten und Bildungsnetzwerken, Kinder lernen dadurch Natur- und Kulturzusammenhänge kennen, erleben ihr Umfeld neu. Im Gegenzug bringen wir die Perspektive der Familien und Kinder ein: Was brauchen sie, um solche Angebote zu nutzen? Welche Barrieren gibt es? Ein Beispiel: Es gibt inzwischen Führungen in Gebärdensprache – angestoßen durch unsere Kita, weil wir gebärdenunterstützte Kommunikation im Alltag nutzen.
Lena: Wie habt ihr BNE konkret ins Team gebracht?
Anne: Ich habe während meines Studiums Soziale Arbeit die Zertifizierung zur Naturpark-Kita begleitet. Niemand wusste so richtig, was BNE eigentlich ist. Also haben wir gemeinsam angefangen – mit einem Bewegungsspiel zu den 17 Nachhaltigkeitszielen: Wer ein Ziel wichtig fand, ging einen Schritt vor, wer zweifelte, blieb stehen oder trat zurück.
Plötzlich standen wir uns im Weg – ein starkes Bild dafür, wie unterschiedliche Perspektiven Bewegung, Stillstand oder Kompromisse erzeugen.
Danach haben wir unseren Alltag durch die „BNE-Brille“ betrachtet: Hausschuhe, Geburtstagsfeste, Geschenke – kleine Dinge, die große Fragen aufwerfen.
Zum Beispiel: Müssen Kinder materielle Geschenke bekommen? Oder kann gemeinsame Zeit das Geschenk sein? Wie gehen wir mit kulturellen Unterschieden um?
So entstanden neue Sichtweisen – und manchmal ganz einfache Lösungen.
Wir haben gemerkt: Wir machen schon viel. Aber BNE hilft, anders hinzuschauen – oder, wie ich sage, „die Brille mal wieder zu putzen“. Wir lernen, Alltagssituationen neu bzw. ganzheitlicher zu sehen.
Lena: Wie hält euer Team diesen Prozess lebendig?
Anne: Wir versuchen, BNE als festen Punkt in der Dienstbesprechung zu verankern. Natürlich gibt es Begeisterte und Skeptikerinnen. Manche sehen BNE als Zusatzbelastung. Ich sage dann: „BNE ist kein Zusatztopf – es ist der Topf.“ Alles, was wir tun, gehört hinein. Es geht darum, was wir hineingeben – damit das, was wir kochen, am Ende auch schmeckt. Kurz: Bildung für nachhaltige Entwicklung ist keine Extra-Aufgabe, sondern eine Haltung!
Wenn Themen aufkommen, hole ich gern die Karten vom BNE-Lernspiel „Am Riff“ hervor. Sie helfen, Diskussionen zu strukturieren und Perspektiven zu wechseln. So haben wir etwa überlegt, wie wir bestimmte Kita-Strukturen nachhaltiger gestalten können – mit Trinkwasserspendern statt Plastikflaschen, waschbaren Handtuchrollen, Hochbeeten und einem hochwertigen regional und saisonal orientiertem Catering.
Lena: Haben sich die Kinder verändert?
Anne: Ja, sie übernehmen mehr Verantwortung. Wir haben Hochbeete angelegt, Gemüse angebaut, gepflegt, geerntet, daraus Suppe gekocht und beim Laternenfest verkauft. Der „magische Obstkorb“ wird von den Kindern gepflegt, geerntet und bewacht – niemand darf einfach etwas mitnehmen. Sie sagen: „Das ist unsere Zucchini!“
Sie denken über Gerechtigkeit nach – beim Essen, bei Geschenken, beim Tauschtisch, wo sie Spielsachen tauschen oder verschenken. Sie sehen, dass sie etwas bewirken können. Und sie sprechen darüber – selbstbewusst, ernsthaft und mitreißend.
Lena: Was rätst du Teams, die gerade anfangen?
Anne: Mit Begeisterung starten. Begeisterung steckt an – Kinder, Eltern, Kolleginnen und Kollegen. Dann dranbleiben, neugierig bleiben, nicht belehren, sondern gemeinsam lernen. Netzwerke nutzen, Menschen mit unterschiedlichem Wissen einbeziehen.
Auf dem Treffen des Partnernetzwerkes in Chemnitz habe ich erlebt, wie inspirierend der Austausch ist. Wir planen nun zum Beispiel, mit Tischlereien zu kooperieren, um Holzreste für Projekte zu nutzen – ein kleines Beispiel dafür, wie BNE in den Sozialraum hineinwachsen kann.
Lena: Was hat dich persönlich am meisten verändert?
Anne: Ich habe gelernt, geduldiger zu sein – mit mir, mit dem Team, mit den Prozessen. BNE ist kein Sprint. Es geht um Haltungen, die wachsen dürfen.
Wir begegnen Kindern mit Offenheit, Fehlerfreundlichkeit und Geduld. Dasselbe gilt für uns Erwachsene. Auch ein langsames Tempo ist ein Tempo.
Ich wünsche mir, dass wir das tatsächlich leben: Unterschiede anerkennen, Stärken entdecken, Fehler als Lernmomente sehen. So wie bei den Kindern – jeder Mensch hat seinen Schatz. Manchmal muss man ihn nur suchen, am besten gemeinsam.
Anne Siebart arbeitet in einem Kindergarten in Melle, Niedersachsen – mit 120 Kindern, zwei Integrationsgruppen, zwei Krippengruppen und
zwei Regelgruppen im Ganztag.
Gemeinsam mit ihrem Team hat sie das Lernspiel „Am Riff“ ausprobiert, um Nachhaltigkeit in der Kita lebendig zu verankern.
TIPPS
BNE-was? Worum geht es überhaupt?
Und was können wir tun?
Eine Zusammenfassung gibt es hier: wamiki.de/article/macht-ernst/
BNE-Brille: wamiki empfiehlt den BNE-Fokussator von Dorothee Jacobs.
So geht’s: Das Thema in die Mitte schreiben – es in allen vier Nachhaltigkeitsdimensionen ergründen – Stichworte im jeweiligen Fenster notieren.
Kostenlos herunterzuladen unter: https://kurzlinks.de/5wan
Am Riff – Das Lernspiel für Teams
Wie lässt sich Bildung für nachhaltige Entwicklung lebendig ins Team bringen? Das Lernspiel „Am Riff“, entwickelt von wamiki mit Partnerinnen aus dem Forum und dem Partnerwerk Frühkindliche Bildung, übersetzt den Referenzrahmen für die frühkindliche Bildung direkt in die Praxis von Kitas, Horten und Schulen. So geht’s: Jede Woche spielen Teams eine neue Etappe, beleben ihr eigenes „Riff“ mit Fischen und reflektieren Veränderungen im Alltag. Untätigkeit hat Folgen – jede Woche „stirbt“ ein Fisch. Das Spiel macht spürbar: Handeln zählt.
Ziel: BNE erlebbar machen, Entscheidungsfähigkeit stärken und nachhaltiges Denken im Sinne des Whole-Institution-Approach verankern. Material: DIN-A1-Poster als Spielbrett, Fisch-Post-its, Start- und Aktionskarten. Entstanden in einem Co-Design-Prozess mit Fachkräften aus der Praxis.
Bezug: Das Spiel ist kostenfrei bestellbar.
Poster, Karten und Anleitung gibt’s auch als Download – damit jedes Team sein eigenes Riff wachsen lassen kann. —>
Der Referenzrahmen für die frühkindliche Bildung
Das Arbeitsmaterial unterstützt Kitas und Träger dabei, BNE als Haltung und Struktur in ihrer Einrichtung zu verankern – Schritt für Schritt, gemeinsam, dauerhaft.
Bezug: https://kurzlinks.de/c9vi
Fotos: Getty Images , suschaa / Photocase


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