Ehrfurcht entsteht draußen

Warum Kinder Natur erleben müssen – und Erwachsene mit ihnen

Den Artikel gibt es als PDF hier: Ehrfurcht_Ansari_#3_2025

 

Viele Kinder begegnen Insekten mit Angst – und viele Erwachsene auch. Kein Wunder: Wer nie erlebt hat, wie faszinierend ein Spinnennetz oder ein Ameisenhaufen ist, lernt Natur nicht kennen, sondern meidet sie. Dieser Beitrag zeigt, warum Naturerfahrung mehr ist als Wissen über Wald und Wiese – und wie sie selbst mitten in der Stadt gelingt: durch gemeinsames Staunen, genaues Hinschauen und kleine Impulse statt großer Vorträge.

Ehrfurcht braucht Erfahrung. Doch Naturerfahrung fehlt – nicht nur Kindern, auch vielen Erwachsenen. Eine Spinne? Panik. Eine Biene? Flucht. Warum eigentlich? Weil kaum jemand zeigt, wie man auf Augenhöhe mit anderen Lebewesen lebt.

Kinder lernen durch Beobachtung. Wenn wir Natur meiden, ängstlich sind oder sie schlicht übersehen, übernehmen Kinder genau das. Wer nie im Laub gewühlt oder unter Steine geschaut hat, wird sich schwer für Moos, Käfer oder Schnecken begeistern. Wer den Wald nur aus Bilderbüchern kennt, versteht ihn nicht als Lebensraum.

Was ist Naturerfahrung?

Naturerfahrung ist mehr als Wissen über Pflanzen oder Tiere. Sie ist ein Berührt werden von einem Netzwerk, das größer ist als wir. Ein Netz aus Vielfalt, ständiger Veränderung und wechselseitiger Abhängigkeit. Naturerfahrung bedeutet nicht nur eine Erfahrung – sondern viele: individuell, situativ, immer anders.

Naturerfahrung ist Staunen und Verstehen:

Das Glitzern eines Regentropfens auf einem Blatt.

Das Summen einer Biene, die kurz darauf eine Blüte besucht.

Die Spinne, die ihr Netz baut – und das Insekt, das darin zappelt.

Ein morscher Baumstamm voller Leben.

Kröten auf Wanderschaft.

Der eigene Atem nach dem Rennen.

 

Und ja: All das und noch viel mehr ist möglich – auch mitten in den Metropolen der Welt.

Die Vielfalt der Naturphänomene ist überall erfahrbar. Nicht nur im Wald, sondern überall. Zwischen Pflasterritzen, auf dem Fensterbrett oder draußen vor der Tür.

Und sie könnte – wenn wir es wirklich wollen – noch stärker, eindringlicher und erfahrbarer gemacht werden.

 

Lernorte zum Staunen – Natur erfahrbar machen

Die Natur steckt voller Phänomene. Natur fliegt, wächst, leuchtet, riecht – und stellt Fragen. Damit Kinder diesen Wundern begegnen können, brauchen sie Orte, an denen sie in Resonanz gehen können – mit Erde, Licht, Wasser, Leben – nicht im Vorbeigehen, sondern im Verweilen, Forschen und Staunen.

Was wäre, wenn jeder Kindergarten, jede Schule ein Ort des Staunens wäre?

Hier ein paar Ideen, wie solche Erfahrungsräume aussehen könnten – gemeinsam gestaltet mit den Kindern:

• Gemüsegarten mit Beeten: säen, gießen, ernten – begreifen, woher unser Essen kommt.

• Naschgarten mit Sträuchern, Obstbäumen und Kräutern: riechen, pflücken, schmecken.

• Blüten- oder Steingarten mit Trockenmauer: Lebensräume entdecken – für Pflanzen, Käfer und Kinder­fantasie.

• Kletterfelsen und Erdhügel: eigene Kräfte spüren, Gleichgewicht finden, Herausforderungen meistern.

• Teich oder Wasserstelle: Tiere beobachten, Wasser­lebewesen erforschen – und lernen, vorsichtig zu sein.

• Vogelgarten mit Brutplätzen und Nistkästen: lauschen, notieren, vergleichen – wer wohnt denn hier?

• Wasserspiele mit Kaskaden, Wasserlauf, Becken: ideale Orte zum Experimentieren, Staunen, Matschen.

• Lichthof: Wie verändert sich Schatten? Woher kommt das Licht? Sonne erleben – ganz bewusst.

• Feuerstelle: Wärme, Sicherheit, Gemeinschaft – und viele Gespräche am flackernden Licht.

• Natur-Labor: Dinge sammeln, untersuchen, sortieren – das Staunen bekommt hier ein Zuhause.

• Mini-Planetarium: Fragen stellen, in den Himmel schauen, staunen – wie klein wir sind und wie groß das Universum.

Und was lernen Kinder dort?

Vor allem lernen sie, zu staunen. Fragen zu stellen. Phänomene zu entdecken, die im Alltag oft übersehen werden – obwohl sie direkt vor unser aller Augen liegen – das Glitzern eines Regentropfens, die Struktur eines Blattes, das Nest im Gebüsch – sind bei genauem Hinsehen voller Rätsel. Und genau dort beginnt echtes Lernen.

Wie gelingt Naturerfahrung im Alltag?

Es braucht vielleicht weniger, als wir denken. Wenn ich mit Kindern draußen bin, beginnt es meist wild: Rennen, Toben, Energie loswerden. Dann wird gesammelt. Dann wird entdeckt.

Ich ermutige die Kinder, unter einen Stein zu schauen. Einen alten Baumstamm umzudrehen. Und plötzlich: Bewegung! Käfer, Asseln, Tausendfüßler, Ameisen, Spinnen. Ein ganzer Mikrokosmos wird sichtbar. Es genügt, einen Impuls zu geben – die Fragen kommen von selbst. Milben, Schnecken, Larven. Jetzt beginnt das Lernen. Nicht durch Vortrag – durch Erlebnis.

Ebenso, wenn ich sie auf vermooste Hölzer aufmerksam mache. Was für ein Leckerbissen für Schnecken! Oder auf Laubblätter, unter denen kleine Tiere sitzen. Was sie wohl dort tun? Ich erzähle nichts vorweg – ich gebe nur einen Anlass. Die Kinder entdecken. Und stellen Fragen. Lernen durch Erfahrung.

Foto: Getty Images#

Naturerfahrung braucht Wiederholung

Damit solche Momente wirken, müssen sie wiederkehren. Sie brauchen Zeit. Tiefe. Geduld. Und Erwachsene, die bereit sind, sich selbst überraschen zu lassen. Die ihre Perspektive wechseln. Die mitgehen – im wörtlichen Sinn.

Denn Naturerfahrung lässt sich nicht vermitteln wie ein Lerninhalt. Sie muss geschehen. Am besten gemeinsam.

Nachfolgend drei Beispiele:

 

Beispiel 1
Was uns der Herbst schenkt

Wie der Herbst zum Sprachanlass, zur Lernwerkstatt und zur Galerie wird

 

Blätter erzählen Geschichten, Früchte werden zu Kunstwerken, Insekten verraten Naturgeheimnisse. Ein Projekt über das Sammeln, Staunen, Nachfragen – und das Wissen, das aus Erfahrung wächst.

Ziele: Sammeln, staunen, gestalten – und den Kreislauf der Natur verstehen … Bucheckern, Eicheln, Beeren, Nüsse, Äpfel, Hagebutten, Kastanien suchen. Eigene Erfahrungen einbringen und Vermutungen anstellen. Die Erscheinungsbilder der Bäume betrachten. Was passiert mit dem Herbstlaub? Den Vorgang des Kompostierens verstehen lernen. Wie ernähren sich die Tiere im Winter? Neu erworbene Wörter und erweitertes Wissen anwenden. Mit den Gaben des Herbstes gestalten …

Alter: Kinder zwischen 3 und 8 Jahren

Materialien: Tüten, Eimer oder Körbchen zum Sammeln

 

Es ist Herbst. Die Bäume werfen ab, was sie nicht mehr brauchen: Blätter, Früchte, Samen. Und genau das nehmen wir zum Anlass, um mit den Kindern loszuziehen.

Was wir suchen: Äpfel, Kastanien, Eicheln, Bucheckern, Nüsse, Hagebutten, Beeren.

Was wir dabei finden: jede Menge Gesprächsanlässe – und Material für Kunstwerke.

Wir benennen alle Schätze und die Kinder arrangieren ihre Funde zu Materialbildern. Sie zeigen dabei ein bemerkenswertes Gespür für Form und Farbe.

 

Nun wollen wir wissen: Was passiert mit den Blättern, wenn sie nicht mehr am Baum hängen?

Wir schauen uns die Blätter im Kita-Garten genauer an:

Das Laub auf dem Boden leuchtet in Gelb, Rot, Grün …

Warum werden sie eigentlich abgeworfen?

 

Die Kinder überlegen:

„Weil es kalt wird.“ / „Weil der Baum seine Blätter nicht mehr mag?“ / „Weil es Herbst ist.“

Wir greifen das auf: Wie ist das Blatt, wenn es grün ist – und wie verändert es sich, wenn es gelb wird?

Wie klingt es? Wie fühlt es sich an?

Die Kinder sammeln, vergleichen, fühlen, riechen – und entdecken:

– glatte grüne Blätter: Sie fühlen sich glatt und kühl an;

– zerbrechliche gelbe: Sie knirschen wie Papier, wenn man sie aneinanderreibt und

– raschelnde bunte Blätter mit drei Farben zugleich: rot, gelb und grün.

 

Dann singen wir:

Falle, falle, falle –

rotes Blatt, gelbes Blatt,

bis der Baum kein Blatt mehr hat.

Weggeflogen alle!

 

In einer anderen Kita machen wir die gleiche Entdeckung:

Die Natur ist voller Kunst. Man muss sie nur einsammeln.

Die Kinder und Erzieherinnen staunen darüber, was sie alles vor Ort finden.

Was für Schätze! Wir versuchen die Beschaffenheit der Gaben zu beschreiben und ihre Namen herauszufinden. Auch hier gestalten die Kinder frei mit dem, was sie gefunden haben:

Blätter / Nüsse / Beeren / Rindenstücke / Äste / Schalen.

 

Es entstehen auf den Steinplatten kleine Landschaften, Mandalas, Tiere, Gesichter …

Wie immer zeigen die Kinder ihre Kreativität und das ihnen innewohnende Gefühl für Formen und Schönheit. Dabei erzählen sie, was sie denken und erlebt haben. Sie üben neue Wörter ein und teilen ihr Wissen miteinander. Kunst wird Sprache – und Sprache wird Welt.

Wo kommen die Löcher in den Blättern her?

Manche Blätter von den grünen und auch von den vergilbten haben Löcher, bemerken einige Kinder. Warum? Wir schauen uns die Rückseiten genauer an – und entdecken kleine Insekten. Sie sitzen wie angeklebt auf dem Blatt. Wenn wir das Blatt gegen das Licht halten, flitzen sie auf die andere Seite. Lassen wir das Blatt los, wechseln sie sofort wieder zur Rückseite des Blattes. Merkwürdig. Wir untersuchen nun die Blätterhaufen unter dem Baum und finden noch mehr Blätter mit Insekten. Was ist hier los?

Die Kinder vermuten:

„Die Insekten fressen vom Blatt.“ / „Sie essen die Blätter im Winter.“ / „Sie mögen kein Licht.“

Die Frage, weshalb die Insekten kein Licht mögen können die Kinder nicht beantworten.

Ob sie vielleicht beobachtet haben, wie die Vöglein in dem Haufen abgefallener Blätter heftig herum­picken, bis die Blätter sich umdrehen, frage ich. Nein, keines der Kinder hatte das bemerkt.

Wir sprechen nun darüber, wovon sich die Vöglein ernähren. Fast alle meinen, dass die Vöglein Körner und Brot mögen. Nur zwei Kinder wenden ein, dass die Vöglein auch Insekten fressen. Nun erinnern sich auch andere Kinder, schon einmal beobachtet zu haben, dass die Vögel Regenwürmer fressen und auch ihren Nachwuchs mit kleinen Insekten füttern. Nach dieser Diskussion wissen alle Kinder, weshalb die Insekten kein Licht mögen: Ganz klar – sie möchten nicht von den Vöglein gesehen werden!

An einer windgeschützten Stelle stapeln wir die Herbstblätter zu einem großen Haufen und beobachten, wie er sich langsam zu Humus verwandelt.

 

Und noch ein Herbstlied:

Ein Baum kann sich nicht schütteln,

deshalb macht das ja der Wind.

Im Herbst, wenn die Blätter alle buntfarben sind.

Dann weht er durch die Äste und weht auch drum herum.

Alle Bäume sind zufrieden und summen dumdidum.

Dum dumdidum, dumdidum –

der Herbstwind, der geht um.

 

 

Beispiel 2
Sieben Kinder – drei Bäume – zehn Blätter

Blätter, die schwimmen – Gedanken, die fliegen

 

Ein grauer Herbsttag, viele Fragen – und plötzlich segeln Farben über Pfützen.

Ziele: Die Vielfalt der Natur erleben, Erscheinungsformen der Natur beobachten, sammeln, vergleichen, prüfen, vermuten, zählen, beschreiben. Mit Naturmaterialien frei gestalten.

Alter: Kinder zwischen 3 und 6 Jahren

Material: Blätter und andere Fundstücke, Farben, Pinsel

Heute zieht es uns nach draußen. Der Regen hat aufgehört, aber der Himmel hängt noch grau und schwer über uns. Vielleicht riecht die Erde deshalb so gut? Wir beginnen mit einem Rundgang über den Hof der Kita, der glücklicherweise einige Bäume vorweisen kann.

7 Kinder haben nun die Aufgabe, sich 3 Bäume auszusuchen, von denen jedes Kind jeweils 10 Blätter einsammelt.

Schon auf dem Weg zeigen sich erste Unterschiede:

Manches Blatt ist frisch gefallen, andere sind trocken und brüchig. Einige sind rund, andere spitz, manche glänzen noch vom Regen.

Zurück im Gruppenraum legen die Kinder ihre Blätter vor sich hin.

Erste Aufgabe: Nachzählen. Wie viele Blätter sind es denn nun? Habe ich tatsächlich 10 Blätter gesammelt, oder habe ich vielleicht eines unterwegs verloren?

Nein, Gott sei Dank nicht, es sind 10 bei jedem Kind. Dann kann es ja losgehen.

Ich frage: Sehen alle Blätter gleich aus?

Was seht ihr für Unterschiede, könnt ihr mir die beschreiben? Wie sehen jeweils die Blätter von den 3 Bäumen aus?

Wie unterscheiden sich die Bätter der Bäume voneinander? Auf den ersten Blick sehen sich die Blätter aller Bäume ähnlich, aber stimmt das, was ich da eben gesagt habe?

Sehen die Blätter von einem Baum verschieden aus? Könnt ihr vielleicht sogar ein Paar finden, also zwei Blätter, die gleich aussehen?

„Das eine Blatt ist viel grüner als das andere.“

„Auf dem Blatt sind mehr Spitzen als auf dem anderen. Das andere Blatt ist eher rund.“

„Hinten sind Adern“, bemerkt das Kind mit dem grüneren Blatt. „Das ist wie ein Rohr, da kommt Wasser rein und dann werden sie groß und wachsen.“

Was für eine schöne Metapher:

Das Blatt als Rohrsystem. Die Kinder denken in Bildern – und erschließen sich so die Funktionen.

Neue Fragen entstehen:

Warum wirft der Baum seine Blätter ab?

Wie sehen die Blätter aus und wie verändern sie sich? Warum eigentlich?

Antworten:

„Weil sie braun werden.“ / „Weil der Schnee kommt.“ / „Damit der Baum nicht umkippt.“

Und tatsächlich: Wer sich vorstellt, dass auf jedem einzelnen Blatt vielleicht mehrere hundert Schneeflocken sitzen, versteht, warum der Baum sie lieber abwirft. So schützt er sich vor zu großer Last – und sammelt Kraft für ein neues Blüten- und Blätterkleid im Frühling.

Jetzt wird’s bunt: Farben, Blätter, Regen

Nach so viel Denken folgt das Machen. Wir holen rote, gelbe und blaue Farbe. Die Kinder betupfen ihre Blätter – nicht bemalen, nur zart betupfen. Dann setzen wir sie auf kleine Regenpfützen.

Was passiert? Schwimmen sie oder gehen sie unter?

Wir beobachten:

Blätter mit einer nach unten gewölbter Form nehmen Wasser auf und sinken.

Blätter mit einer leichten Aufwölbung bleiben länger an der Oberfläche.

Die Farben laufen ineinander, neue Töne entstehen, manchmal leuchten sie wie kleine Gemälde gegen den grauen Himmel.

Aber Achtung: Bei diesem Experiment hat Fingerspitzengefühl oberste Priorität. Zu viel Farbe genommen und die Blätter haben nicht den Hauch einer Chance, auf der Pfütze zu reisen. Bahnt sich ein „Landunter“ an, bieten die Farben ein wunderbares Schauspiel: Sie laufen ineinander, es entstehen neue Farben, die einen aufregenden Kontrast zum grauen Himmel bilden.

Die Kinder sind fasziniert: Das Wasser verändert die Farben, die Farben das Wasser.

So wird aus einer Pfütze ein kleines Atelier – und aus einem Herbstspaziergang eine Forschungsreise mit Farben, Formen und Fragen.

 

Fotos: Markus Spiske / unsplash; Archiv Samlan Ansari

 

Beispiel 3
Honig oder Harz – Was klebt denn da am Baum?

Entdeckendes Lernen – eine Dialoggeschichte

 

Melihs Finger kleben, die Kinder sind sich sicher: Das muss Honig sein! Doch was riecht da streng? Was klebt mehr? Und warum heilt ein Baum wie wir?

Ein Forschungsprozess über Irrtümer, Unterschiede – und das Glück, gemeinsam etwas herauszufinden.

 

Der Anfang

Melih, Baran und Laris entdecken am Baum mehrere klebrige Stellen. Melih berührt das Harz – und es bleibt an seinen Fingern kleben. „Das ist Honig!“, sagen die Kinder überzeugt.

Sie zeigen die Fundstelle einer Kollegin: „Guck mal, da ist Honig!“ Die Kollegin antwortet knapp: „Das ist Harz.“

 

Beobachten, Benennen, Begreifen

Die Kinder sind anderer Meinung und laufen aufgeregt zu mir: „Andrea, da ist Honig am Baum!“

„Honig? Ihr habt Honig gefunden?“ Melih streckt mir seine Hand entgegen. „Ja – es klebt!“

„Wie fühlt sich das an? Wie riecht es?“

„Klebrig und gut!“, sagt Melih.

Burak und Max kommen dazu. Die Kinder erzählen, dass die Bienen den Honig an den Baum „geschmiert“ hätten. Es gäbe schließlich Erdbienen auf dem Gelände.

Nachdem Melih sich die Hände gewaschen hat, frage ich:

„Wie ging das ab?“ — „Schwer“, sagt er.

 

Ein Vergleich muss her

Am nächsten Tag bringe ich echten Honig mit. Die Kinder riechen, tasten, schmecken – und waschen ihn wieder ab. „Wie war das Abwaschen?“ — Melih: „Leicht.“

Ich hake nach: „Leichter als das vom Baum?“ — „Ja.“

Ein Kind ergänzt: „Der Honig vom Baum war fester klebrig – anders als der von Andreas Papa.“

Ich bereite eine Vergleichsstation vor:

Ein Glas mit Honig, eines mit Harz, Schraubgläser, Wasser, Löffel und Schälchen.

 

Erst wird geschnuppert:

Burak: „Honig. Das andere ist kein Honig.“ / Max: „Der echte Honig riecht schön. Das andere auch schön – aber nicht echt.“ / Baran: „Honig riecht richtig gut. Das andere: puh, kein Honig.“ / Gazi: „Honig riecht schön. Das vom Baum – eklig.“

 

Wir mischen Wasser hinzu, schütteln die Gläser:

Baran: „Das geht nicht weg – weiß nicht warum.“ / Melih: „Schwer weg, das wird nicht klein.“ / Burak: „Der Honig wird immer kleiner.“ / Max: „Der wird mittelklein.“

 

Ich fasse zusammen: „Noch ein Unterschied – es riecht anders und löst sich anders auf.“

Burak zieht sein Fazit: „Das vom Baum ist kein Honig.“

Fühlen, Forschen, Formulieren

Die Kinder bekommen etwas Honig auf die Hand.

„Wie fühlt sich das an?“ frage ich.

Max: „Klebrig.“ / Melih: „Meine Hände gehen nicht mehr auf.“ / Baran: „Klebrig.“ / Burak: „Fühlt sich gut an.“

Sie klatschen in die Hände.

Melih: „Das ist schön.“ / Burak zieht die Hände langsam auseinander: „Sieht aus wie ein Popo-Loch!“ /

Max: „Wie Gummi.“ / Melih: „Wie nass und wie Gold.“

 

Nach dem Händewaschen: Max: „Leicht.“ / Melih: „Leicht.“ / Baran: „Leicht.“ / Burak: „Gut.“

Jetzt das Harz. Max: „Riecht nach Entspannung.“ / Baran: „Schleimig.“ / Melih: (macht Klebegeräusche)

 

Ich frage: „Was klebt mehr?“

Burak: „Vom Baum – das klebt mehr.“ / Baran: „Ja, wirklich mehr.“

 

Nach dem Waschen: Burak: „Der Honig ging besser ab.“ / Melih: „Bei mir ist noch bisschen dran.“

Ein Kind sagt: „Das Baumhonig klebt besser – war auch Jahre im Baum drin!“

 

Von Bienen zu Baumverletzungen

Wir gehen zum Baum. Burak vermutet, dass das Harz (ich habe dieses Wort immer noch nicht genannt!) die Rinde am Baum festklebt. Er will ein Stück ablösen.

Ich halte ihn auf: Wenn ihr denkt, die Bienen haben das gebracht – müsste man sie dann nicht sehen? Seht ihr eine? — Alle: „Nein.“

Ich zeige ein Foto mit und ohne Harz. Warum ist es hier – und dort nicht? Max: „Weil da ist es zu – und da nicht.“

 

Ich zeige auf meine Armhaut: Was passiert, wenn die Haut weg ist?

Max: „Dann kommt Blut. Das ist wie eine Wunde am Baum.“

Und was macht man bei einer Wunde?

Burak: „Pflaster drauf.“

Und beim Baum?

Burak: „Holz mit Kleber drauf.“

Ich erkläre: Die Haut vom Baum heißt Rinde. Wenn die ab ist, kommt Harz.

 

Sprachlich gefestigt – praktisch erweitert

Die Kinder malen die verletzte Stelle am Baum.

Wir schauen im Buch nach, wie man Bäume behandeln kann. Einige Kinder haben immer noch Harzreste an den Fingern – das Gespräch bleibt lebendig.

Laris sagt: „Bäume leben nicht echt – die können nicht laufen.“

Zum Schluss probieren wir nochmal Honig:

Wie schmeckt er?

Burak: „Lecker.“ / Max: „Fruchtig.“ / Burak: „Süß.“ /

Laris: „Fruchtig und süß. Superduperknabberwörd!“

 

Anmerkung:

Die Gruppe war klein, die Atmosphäre entspannt, das Lernen intensiv. Fünf Kinder waren beteiligt – sie hatten am ersten Tag das vermeintliche „Honigzeug“ entdeckt.

Am Ende bestimmte Melih mit einem Baumarten-Block sogar die Baumart – und staunte: „So viele Bäume gibt es?!“

 

 

Fotos: Riley Shot / photocase; Archiv Salman Ansari

ist promovierter Chemiker mit pädagogischer Erfahrung in der Vermittlung naturwissenschaftlichen Grundwissens in Schule, Kindergarten und Erwachsenenbildung.

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