Gib Gummi!

Teuer muss nicht sein, aber kreativ! Michael Fink inspiziert Ausgesondertes, um nach Dingen zu suchen, die kaum etwas kosten.

Hier gibt es den Artikel als PDF: 1Euro_#3_2022

 

Bevorzugen Jungs andere 1-Euro-Artikel als Mädchen? Saublöde Frage, bei der FreundInnen von Geschlechterklischees zu bedenken geben: Zwar verwenden Buben die gleichen Dinge, aber vielleicht doch für andere Spiele als die Mädels?

Beim diesmaligen Billigartikel, dem Gummiband, kommt das auf den ersten Blick hin: Nutzen Mädchen Gummis – außer zum Binden von Zöpfen und für hauswirtschaftliche Zwecke – nicht für ihr ureigenes Vergnügen, den geheimnisvollen Gummitwist? Bei dem der mutigste männliche Mitschüler ein Mal in der Hofpause mitmacht, sich übel verheddert und fortan bekehrt ist? Benutzen die Jungs, von Geburt an schießsüchtig, das Gummiband nicht viel lieber zum Bau von Zwillen, um Mitschülerinnen mit Radiergummis abzuschießen? In staubigen UFA-Filmen voller Pennäler-Humor ist das so.

In der Realität schätzen Jungen wie Mädchen gleichermaßen die verschiedenen Vorteile des Gummibandes: Es ist dehnbar, hervorragend zum Verbinden von Stäben und damit zum Bauen geeignet. Zupft man einen über ein Gefäß gespannten Gummi, erklingen zarte Gitarrentöne: Lasst uns Gummi-Musik machen!

Außerdem lassen sich vom gespannten Gummi Kugeln abschießen – ideal für den Bau von Flippern. Und weil Gummis rund und bunt sind, noch dazu mit unter
1 Cent pro Stück konkurrenzlos billig, lassen sich damit auch Handwerkskünste wie Häkeln und Weben ausüben, seit Jahrtausenden Aufgabe von Männern wie Frauen.

Wer hat sich eigentlich diesen Alleskönner Gummiband ausgedacht?

Wieder einmal nennt das Patentverzeichnis einen jener deutschen, englischen oder amerikanischen Herren, der mit irgendeinem Material herumexperimentierte und aus Versehen die Idee seines Lebens hatte. In diesem Fall schnitt ein Herr Hancock eine Art Fahrradschlauch aus heute nicht mehr ermittelbaren Gründen in Streifen und merkte plötzlich, dass man die Ringe gut zum Verbinden von Dingen verwenden kann. Ein anderer Knabe namens Perry dachte sich eine klitzekleine Verbesserung aus, rannte damit zum Patentamt und rief: „Mir ist was Tolles eingefallen!“ Pech für den wahren Gummi-Erfinder! So etwas Simples wie das Gummiband war natürlich schon Jahrhunderte zuvor erfunden worden. Und zwar von südamerikanischen Mayas, die viele gute Dinge aus den „Tränen“ eines angeritzten Baums herstellten. In Maya-Sprache Cao (Baum) plus Ochu (Träne), kurz: Kautschuk. Aber weil die Mayas vor der Invasion durch Columbus & Co. nicht auf die Idee gekommen waren, ein Patentwesen aufzubauen, spielte deren Urheberrecht keine Rolle.

So gesehen, erzählt das Gummiband keine Geschichten von Geschlechtern, sondern vom Kolonialismus.

Fotos: Michael Fink

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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