… sind Kirsten Ehrhardt und Kirsten Jakob. Beide haben Kinder mit Behinderung und sind in Elterninitiativen für Inklusion in Baden-Württemberg aktiv. So erleben und hören sie eine Menge Inklusives und weniger Inklusives. Darüber schreiben sie jede Woche auf ihrem Blog:
Schnuppern
Heute ist Schnuppertag im Kindergarten. Die Mutter ist glücklich, denn es ist eine inklusive Einrichtung. Schon einige Kinder mit Down-Syndrom waren dort. Fotos von ihnen hängen eingerahmt im Flur. Lachende lustige Kinder. Auch das mädchen ist mit dem Down-Syndrom geboren worden.
Die Erzieherin nimmt es freundlich in Empfang. Die Mutter geht nach Hause. Als sie mittags wieder kommt, sitzt das Mädchen mit einem Stück Knete in der Hand in einer Ecke. Die Erzieherin schaut nicht mehr ganz so freundlich. Sie erzählt: Das Mädchen sei ja sehr still. Sehr misstrauisch. Habe nichts mitmachen wollen. Habe um sich geschlagen, als die anderen es in den Kreis holen wollten. Habe schließlich ganz allein für sich gemalt. Allerdings nur Krickelkrakel. Und gelächelt: kein einziges Mal.
Die Mutter nickt. Sie kennt ihre Tochter schließlich gut.
„Wir haben uns hier eigentlich bei der Inklusion auf Kinder mit Down-Syndrom spezialisiert“, sagt die Erzieherin, „weil die immer so reizend sind. Aber ich spreche mal mit dem Team. Vielleicht können wir bei Ihrer Tochter auch mal eine Ausnahme machen.“
Raus
Und raus jetzt!
Widerwillig rollt er dann immer aus dem Klassenzimmer in den Raum, der „Differenzierungsraum“ heißt. Manchmal heißt er auch „Inklusionsraum“.
„Ich will hierbleiben bei meinen Freunden“, sagt
der junge heute. „Aber im kleinen Raum kannst Du Dich viel besser konzentrieren“, sagt die Sonderpädagogin, „hier ist es viel zu laut für Dich!“
„Mir ist es nicht zu laut“, murmelt er und bleibt einfach sitzen. Zwischen all den fröhlich schwatzenden Kindern.
„Aber ICH kann mich hier nicht konzentrieren!“, ruft die Sonderpädagogin laut.
Er rollt mit den Augen. Und stellt die Bremse an seinem Rollstuhl noch ein bisschen fester.
Bärchen
Heute gibt es das Diktat zurück. Alle schauen aufgeregt, welche Zensur sie bekommen haben. Sein bester Freund kommt zu ihm: „Und was hast Du?“
Er hält ihm das Blatt hin. Einen langen Text hat er nicht geschrieben. Dafür alle Namen der Klassenkameraden.
Alle richtig geschrieben. „Janis“ hatte er besonders lange geübt. Unter den Wörtern sind drei Bärchen aufgestempelt. Breit grinsende Bärchen.
„Hä“, sagt sein Freund, „was issen das für’n Scheiß?“
Er zuckt mit den Achseln. Ein anderer Junge kommt dazu.
Auch er schaut sich das Blatt an: „Du hast doch alles richtig“, sagt er, „dafür müsstest Du eine 1 bekommen.“
„Wart mal `nen Moment“, sagt sein Freund. Sie warten, bis die Lehrerin sich umdreht. Heute bringt er stolz seine erste „1“ mit nach Hause. Groß und rot steht sie unter drei grinsenden Bärchen. Mit einer ziemlich unleserlichen und krakeligen Unterschrift. Wie Unterschriften halt so aussehen.
Elternabend
„Das wäre doch schön“, sagt ein Vater beim Elternabend, „wenn sich die Inklusionseltern einmal vorstellen.“
Stille.
Niemand meldet sich.
Nicht der Vater, der von Geburt an nur eine Niere hat.
Auch nicht die Mutter, die seit langem schon in psychiatrischer Behandlung ist.
Auch nicht der Vater, der inzwischen mit einem anderen Vater zusammenlebt.
Und auch nicht die Mutter des Kindes, das nach der Trennung der Eltern wieder jede Nacht ins Bett macht.
Und auch nicht die Eltern des Jungen, der schon mit drei Jahren fließend lesen konnte.
Und auch nicht die Mutter des mädchens.
Schließlich einigt man sich.
Alle Eltern stellen sich einmal kurz vor.
Und jeder erzählt über sich und seine Familie, was er möchte.
Gruppen
Ein großer Runder Tisch.
Es geht um Inklusion in der ersten Klasse.
Die müsse man „gruppenbezogen“ umsetzen, zitiert der Schulrat aus dem Gesetz.
Auf der einen Seite sitzen die Eltern der Kinder mit Behinderung, die für die eine Gruppe in der einen ersten Klasse vorgesehen sind.
Auf der anderen Seite sitzen die Eltern der Kinder mit Behinderung, die für die andere Gruppe in der anderen ersten Klasse vorgesehen sind.
Die Eltern der Kinder ohne Behinderung sind nicht eingeladen. Sie melden ihre Kinder einfach ganz normal im Sekretariat an.
Am Ende der Sitzung nicken alle Eltern. Der Schulrat ist erleichtert.
Er hat seine „Gruppenlösungen“ unter Dach und Fach.
Die Direktorin steht auf.
„So“, sagt sie energisch und fröhlich, „heute haben wir aber das letzte Mal von irgendwelchen Gruppen gesprochen. Ich habe hier an meiner Schule nur Klassen und Kinder. Herzlich willkommen!“
Bei der Junge und das Mädchen handelt sich nicht um dieselben, sondern um verschiedene Kinder. Alle Geschichten sind wahr.