Mord aus Liebe (3)

So endete Teil 2: „Carina Schuh wurde nicht geliebt, so viel steht fest“, sagt Tranner später zu seinem Chef. „Ihre Ideen und ihr Führungsstil kamen nicht gut an. Aber sie deswegen gleich umbringen? Nee, Schummi, kann ich mir nicht vorstellen.“

Schuminski zuckt die Schultern. „Wir nehmen uns erst mal die Kerle vor, den Schönling und diesen Milchbubi namens Ben?“

Die beiden befragen die Männer getrennt. Schuminski lässt Toni Mittermaier ins Leitungsbüro rufen. „Wie lange kennen Sie Frau Schuh?“ „Ich kenne sie gar nicht. Ich habe nur mit ihr telefoniert. Sie hat mich für ein Teamseminar engagiert.“ Als Schuminski ein Foto der Toten auf den Tisch legt, zuckt Toni Mittermaier zusammen.

Im Personalzimmer sitzt Ben Kommissar Tranner gegenüber. „Wie lange arbeiten Sie in diesem Haus?“ „Seit einem halben Jahr.“ „Hatten Sie Konflikte mit Frau Schuh?“ „Nein. Ich fand sie ganz okay“, sagt Ben. „Bringt frischen Wind ins Team. Äh, brachte frischen…“ stammelt er und verstummt.

 

Elke ist völlig benommen. Sie weiß nicht, wie lange sie schon in diesem Polizeiauto sitzt. „Warten Sie hier“, hatte der Kommissar Schuminski gesagt. So hat Elke Zeit zum Nachdenken. Wie ein Mantra hämmert es durch ihr Hirn: Mutti und Frau Schuh… Mutti und… Die beiden kannten sich doch gar nicht! Was hatte Mutti bei Frau Schuh zu suchen? Gab es da ein Geheimnis? Hatte Mutti etwa ein Geheimnis? Nein, das konnte Elke sich beim besten Willen nicht vorstellen. Früher war Muttis Welt vor allem die Kita-Küche, und heute hockt sie am liebsten in der kleinen Einbauküche der Dreizimmerwohnung im ersten Stock, in der sie früher mit Vati zusammengelebt hatten. Daran konnte Elke sich aber nicht mehr erinnern, denn Vati war verschwunden, als sie drei Jahre alt war. Einfach abgehauen.

Hin und wieder war Mutti noch in die Kita gekommen, um Elke und die ehemaligen Kolleginnen zu besuchen. Elvira, die frühere Leiterin, hatte ihr dann immer einen Kaffee serviert. Doch seit Elvira auf Rente war und Frau Schuh ihren Posten eingenommen hatte, war Mutti zu Hause geblieben und hielt Carina Schuh für ein Monster. Elke war ihr ein und alles, und die Schuh machte ihrem Mädchen das Leben schwer. Mutti war parteiisch, ganz klar.

Aber das ist doch kein Mordmotiv, denkt Elke und ist sich sicher, dass es für Muttis Armband auf Frau Schuhs Couch eine harmlose Erklärung gibt. Dennoch: Sie wird das Armband vorsichtshalber behalten. Die Polizisten brauchen nichts davon zu erfahren. Man weiß ja, in welche Widersprüche sich unbedarfte Menschen wie Mutti im Verhör verwickeln.

Unbewusst hat Elke sich aufgerichtet. Sie schaut zur Kita hinüber. Nichts regt sich dort. Da öffnet sie die Tür, springt aus dem Wagen und geht los. Erst langsam, dann immer schneller. Sie muss mit Mutti reden.

 

Schuminski und Tranner sind mit der ersten Befragung fertig. Personalien aufnehmen, sich einen Eindruck vom Team verschaffen, viel mehr kam nicht heraus.

Tatsächlich schien Carina Schuh nicht beliebt gewesen zu sein. Ihre ungewohnten Anforderungen, die regelmäßigen Kontrollgänge durchs Haus, die Personalgespräche, in denen sie hin und wieder kritische Töne angeschlagen hatte, machten den Kolleginnen zu schaffen. Einzig Ben hatte damit wohl kein Problem. Er schien die frische, offene Art der Leiterin gemocht zu haben.

Nur der schöne Toni… Dass er zusammengezuckt war, als er das Foto der toten Leiterin sah, war Schuminski nicht entgangen. „Der Bursche ist nicht astrein“, sagt er zu Tranner. „Den knöpfen wir uns noch mal vor.“

Tranner nickt. Da klingelt sein Handy. „Interessant“, sagt er „das ging ja schnell, danke“, beendet das Gespräch und informiert seinen Chef: „Die Schuh wurde vergiftet, Schummi. Mit Schierlingskraut.“

„Wie Sokrates sah sie ja nicht gerade aus“, feixt Schuminski.

„Mann, die ist tot! Kein Anlass für coole Sprüche“, sagt Tranner.

 

Toni Mittermaier sah seiner Befragung anfangs viel entspannter entgegen als die Erzieherinnen, die bleich und nervös im Flur gewartet hatten, bis sie dran waren. Aber als er das Foto der Toten sieht, ist es vorbei mit seiner Gelassenheit. Er kennt diese Frau. Vor zwei Jahren war er auf einer Weiterbildung für Führungskräfte. Dort hatte er Carina getroffen, fand sie sympathisch und anregend. Doch näher waren sie sich nicht gekommen, und er hatte ihren Namen längst vergessen. Sie den seinen wahrscheinlich auch, sonst hätte sie was gesagt, als sie ihn wegen des Teamseminars fragte. Oder war es doch kein Zufall, dass sie gerade ihn buchte?

Tja, denkt Toni Mittermaier, das lässt sich nun wohl nicht mehr herausfinden. Gut, dass ich diesen Kleinstadt-Cops nichts davon erzählt habe. Die drehen mir womöglich noch einen Strick daraus. Schade um die flotte Carina. Dass sie so endet…

 

Mutti steht am Herd und rührt im Topf. Erbsensuppe mit Speck und Zwiebeln.

Gleich als sie gestern Abend nach Hause gekommen war, hatte sie die Erbsen eingeweicht. Es war wie eine Zwangshandlung: Sie musste etwas Sinnvolles tun. Etwas ganz Normales. Denn sinnvoll war auch ihr Tun bei Carina Schuh. Diese Frau musste weg! Das war sie ihrer Elke schuldig.

Mutti ist eine gläubige Christin. Jeden Sonntag geht sie in die Kirche. Sie hat kirchlich geheiratet, Elke taufen lassen und für sich ein christliches Begräbnis vorgesehen.

Du sollst nicht töten! Dieses Gebot hatte Mutti nie in Zweifel gezogen – bis sie das Mordgelüst überkam. Ausgelöst durch Träume von einer Kita ohne Carina Schuh, von einer Leiterin Elke, endlich anerkannt und besser bezahlt. Wenn schon ohne Mann, dann wenigstens mit Karriere!

Mutti ist überzeugt: Carina Schuh zu vergiften war richtig. Und niemand wird herausfinden, wie es geschah. Hat man schon mal gehört, dass sich diese Angeber bei der Polizei mit Kräutern auskennen? Nein. Mutti ist sich sicher: Ihr kommt keiner auf die Schliche.

 

„Mutti!“ Völlig unerwartet steht Elke in der Küche. Mittags um halb Zwei! Mutti wundert sich.

„Wie kommt dein Armband auf das Sofa von Frau Schuh?“ Mutti öffnet den Mund, sagt aber nichts. Elke greift in ihre Hosentasche und legt das Armband neben die Zwiebelschüssel. Mutti sagt immer noch nichts.

„Frau Schuh ist tot“, flüstert Elke. „Ich hab sie gefunden. Und dein Armband auch. Jetzt ist die Polizei in der Kita.“

„Kind!“ ruft Mutti da. „Dich schickt der liebe Herrgott! Dich und das Armband!“

Elke bricht in Tränen aus. Mutti geht zu ihr, streicht ihr über den Kopf und drückt sie an ihren weichen Mutti-Busen. „Kind, alles wird gut.“

 

Pädagogikstudium abgebrochen. Pflegekraft, Postbote und Friedhofsgärtner. Erste literarische Versuche, Veröffentlichungen in der Lokalpresse. Fortsetzungsroman. Seit 2004 Hausmeister im Berliner Kinderhaus „Kumpelnest“.

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