Was wäre, wenn der Wald unser Lehrer wäre?
Wenn Bäume, Moose und Pilze nicht bloß Kulisse, sondern Mitdenkende wären?
Hier gibt es den Artikel als PDF: Bildstrecke_#3_2025

Der Künstler Uriel Orlow stellt genau diese Frage – und rührt damit an das, was auch Pädagoginnen und Pädagogen bewegt: Wie entsteht Resonanz, Beziehung, gemeinsames Lernen?
Orlow lebt zwischen London, Lissabon und Zürich. Seine Kunst wächst an der Schnittstelle von Forschung, Ökologie und Alltag – oft im Austausch mit Wissenschaftlernnen, Gärtnern oder Menschen vor Ort. Ihn interessiert das Wissen, das in Pflanzen, Landschaften und Beziehungen verborgen liegt – und wie es unsere Sicht auf die Welt verwandeln kann.
In seinem Projekt „Forest Futurism“ erforscht er den Wald als vielstimmigen Organismus, in dem Kooperation, Anpassung und Fürsorge das Überleben sichern.
„Wenn ich es auf eine Kernbotschaft reduziere“, sagt er, „dann wäre das vegetal pedagogy – von Pflanzen lernen.“


Was poetisch klingt, beschreibt eine tiefe pädagogische Haltung: Pflanzen lehren, dass Lernen Zeit braucht, Beziehung und Verwurzelung.
Dass Wandel durch Vernetzung geschieht – und Vielfalt kein Problem, sondern eine Überlebensstrategie ist.
Ausgangspunkt für Forest Futurism war eine Begegnung mit einer Paläobotanikerin in Südtirol. Sie zeigte Orlow den ältesten Nadelwald der Erde – eine 280 Millionen Jahre alte Spur des Lebens, entstanden in einer Zeit globaler Erwärmung.
Aus dieser Erfahrung wuchs die Idee, Zukunft aus der Perspektive der Pflanzen zu denken: Wie leben sie mit Veränderung, Anpassung, Verlust? Was erzählen sie über Geduld, Dauer, Kreisläufe?
Orlows „Pädagogik der Pflanzen“ lädt ein, vom Stillen und Wilden zu lernen – vom Wurzeln, Wachsen, Teilen.
Der Wald wird zum Sinnbild einer solidarischen Zukunft: kein Besitz, keine Ressource, sondern ein Beziehungsraum. Seine Filme und Skulpturen machen dieses Denken erfahrbar. Pflanzen werden zu Erzählerinnen, Steine zu Erinnerungen, Wälder zu Archiven.
Kunst, sagt Orlow, solle nicht belehren, sondern Bewusstsein schaffen – Räume öffnen, in denen Menschen ihre Verbindung zur Umwelt neu empfinden können: als Teil eines größeren, lebendigen Ganzen. 2024 entstand der Film: „Wir haben unsere Zukunft bereits erlebt, doch wir erinnern uns nicht an sie“ –Ein Film über Erinnerung, Wandel und die Sprache der Natur.
Kinder des Waldkindergartens Birkenwald begegnen hier dem Wald – als Lernort, Klangraum und Zukunftsbühne. Über viele Monate hinweg filmte Uriel Orlow in wechselnden Jahreszeiten.
Sein Werk zeigt, wie Kinder den Wald sehen, besingen, erfinden – während Stimmen aus dem Off von Klimaveränderungen erzählen. So entsteht ein Dialog zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Ergänzend dazu präsentiert Orlow Skulpturen aus Vulkangestein – 3D-gedruckte Fossilien versteinerter Bäume, in denen Jahrmillionen eingeschrieben sind.
Zeit wird hier sichtbar, greifbar, atmend – wie eine Einladung, das Werden der Welt neu zu betrachten.

„Der Wald regt uns an, neue Weisen des Miteinanderseins zu erfinden.“ Aus dem Manifest des Waldes

Mehr Info und aktuelle Ausstellungstermine unter: urielorlow.net
Forest Times (Waldzeiten) vereint zwei zentrale neuere Projekte des Künstlers Uriel Orlow – Reading Wood (Backwards) (2022) und Forest Futurism (2024) –, in denen Pflanzen zugleich politische Akteure, Zeugen der Vergangenheit und Wegweiser für die Zukunft sind.
Uriel Orlow. Forest Times.
Edited by Nicole Schweizer 2024.
Englisch und Französisch.
ISBN: 978-3-947858-61-3, 29,– Euro.
Zu beziehen im K.Verlag unter: kverlag.com/collections/all/products/forest-times-1
Photo credit: Uriel Orlow, Forest Futurism, Installationsansicht MCBA Lausanne, Foto: Etienne Malapert,
Portrait: Florian Spring, Bundesamt für Kultur



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