Tür auf. Tür zu. Kinder rein. Kinder raus. Öffnen – aber sicher? 16 Bundesländer – 16 Variationen? Eine Gesamtstrategie fehlt? Derweil bekommen Mutanten einen Raketenantrieb. Uns bleibt der gesunde Menschenverstand. Was tun?
Hier gibts den Artikel als PDF: dritte welle_#1_2021
Nicht nur die Helmholtz-Expertin Melanie Brinkmann warnt inzwischen vor einer dritten Welle, wenn die aktuellen Einschränkungen (vom Februar 2021) nicht noch verschärft werden. Melanie Brinkmann beklagt in einem Spiegel-Interview vom 5.2.20211 das zögerliche Handeln der Politik gegen das mutierte Coronavirus. Brinkmann vertritt die „No-Covid“-Strategie mit dem Ziel, die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner auf unter 10 zu drücken. Die Virologin fordert eine konsequente Eindämmungsstrategie, um einen Dauer-Shutdown zu vermeiden. Die bisherige Corona-Politik nennt sie ein „Larifari“, das zu einem Dauer-Lockdown führt, „aus dem man nur zwischendurch mal kurz auftauchen und nach Luft schnappen kann“. Brinkmann gehört zur „No Covid“-Gruppe, begründet von 13 Wissenschaftlern aus mehreren Disziplinen. Die Gruppe belegt, wie fatal es wäre, zu hoffen, wir könnten die Maßnahmen mit einer Inzidenz von knapp unter 50 lockern und dabei das Virus im Zaum halten. Sie empfiehlt stattdessen eine konsequent durchgesetzte Kontaktvermeidungsstrategie, um die Zahlen sehr schnell zu senken. „Damit ließe sich die Sieben-Tage-Inzidenz zügig unter 10 drücken. Die Gesundheitsämter könnten wirklich wieder Infektionsketten nachverfolgen, und wir alle bekämen unser Leben zurück. Zumindest ein Leben, so ähnlich wie im Sommer 2020. „No Covid“ sei eine Gesamtstrategie, die Pandemie besser zu managen. Für Virologen sei es nur noch eine Frage von wenigen Wochen, bis sich auch in Deutschland die Mutanten durchgesetzt haben. „Die Mutante aus Großbritannien und andere werden uns überrennen, das Virus hat einen Raketenantrieb bekommen. Es geht nur noch darum: Können wir den Siegeszug der Varianten hinauszögern, Zeit gewinnen?“ Brinkmann will der Politik nicht vorwerfen, dass sie nicht ihr Bestes gibt. Viele seien wirklich bemüht, aber es gäbe Teilnehmer in den Runden der Ministerpräsident*innen, die sind nicht richtig im Thema. Das größte Problem sei, dass einige aus der Politik zuerst mal sehen wollen, ob es wirklich so schlimm komme wie vorhergesagt. Klimaforscher erlebten das auch: Offensichtlich müssten manche Leute erst mit der Realität konfrontiert werden, bis sie es begreifen.
Die Idee von „No Covid“ ist, dass sie als Strategie von unten funktioniert: Einzelne Landkreise oder Gemeinden nehmen sich vor, möglichst schnell zur grünen Zone zu werden. Dazu müssen sie nicht ganz runter auf null, 10 ist das Zwischenziel.
Dann können erste Lockerungen folgen. Zum Beispiel in Kita und Schule! Die 50er-Inzidenz für Öffnungen weiterhin als Richtschnur zu deklarieren lässt in der Konsequenz die Zahl der Neuinfektionen und Toten in die Höhe schießen. Dazu müsse man nur in andere Länder blicken, die bei Inzidenzen um die 50 geöffnet haben. Prompt seien die Zahlen wieder hochgegangen. Zudem: „Wir kriegen niemals genügend Menschen geimpft, bevor die Mutanten durchschlagen… Alles andere entspringe Wunschdenken, genährt von falschen Versprechungen einiger Politiker. Der Impfstoff ist zwar da, die Produktion läuft, aber es wird dauern, bis alle ihn bekommen…Spätestens an Ostern, wenn die über 80-Jährigen hoffentlich geimpft sind, werde der Ruf nach Lockerungen so laut werden, dass möglicherweise wieder geöffnet wird. Und dann würde das Virus durch die jüngeren, bis dahin noch nicht geimpften Altersgruppen rauschen, die keine Immunität haben – und das mit einer Wucht, die man sich gar nicht vorstellen kann. Weil die Mutanten noch infektiöser sind. Nicht zu vergessen das Risiko, dass Varianten auftauchen könnten, gegen die Impfstoffe schlechter wirken. Die Gefahr, dass das passiert, steigt mit der Zahl der Infizierten. Dann fangen wir noch mal ganz von vorn an. Fazit: „Je später man anfängt, auf die Null zuzusteuern, desto mehr Tote haben wir, desto größer ist der wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Schaden. Und desto länger dauert es.“
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1 „Der Wettlauf ist längst verloren. Es wird kommen wie in England“ Ein Interview von Jürgen Dahlkamp und Rafaela von Bredow, Der Spiegel vom 5.2.2021
Das Ende von Corona
Ein wissenschaftlicher Ausblick auf das Ende der Pandemie – und das Leben danach.
Von der mehrfach ausgezeichneten MaiThi-Nguyen-Kim, Wissenschaftsjournalistin, You-Tuberin und Mitglied im Senat der Max-Planck-Gesellschaft
—> https://youtu.be/pGJEVXvOcRY
Die No-Covid-Gruppe entwickelt sogenannte Toolboxes, Werkzeugkästen, in denen sie smarte Methoden zusammentragen, um die Fallzahlen zu senken und niedrig zu halten:
1. Testen
Ziel: jederzeit Kontrolle über das Infektionsgeschehen,
Vorbeugung exponentieller Infektionsdynamiken
· Schutztests: vor jedem Besuch vulnerabler Personen, nicht nur in Altersheimen · niedrigschwelliges Testen: etwa durch massenhafte Schnelltests bei Clusterausbrüchen Frühwarnsystem: Abwasserscreening · Ausbruchsmanagement: mobile Testteams, PCR-Massentests
2. Kontaktnachverfolgung, Isolierung/Quarantäne
Ziel: effizienter neue Fälle entdecken – und eindämmen
· Software: einheitliche Lösung im öffentlichen Gesundheitsdienst · Prozesse optimieren: Verkürzung der Dauer bis zur Quarantäneanordnung · Infektionsketten: vollständige Nachverfolgung · Quarantäne/Isolation: konsequente Durchführung
3. Grüne Zonen
Ziel: Leben ohne Restriktionen, Schutz vor Eintragungen
aus roten Zonen
· Pendlerverkehr: Mobilität messen und Entwicklung umfassender Schutzkonzepte für notwendigen Pendlerreiseverkehr · Kontrollen: stichprobenartig, Bußgelder bei Nichtbeachtung
Quelle: No-Covid-Group
Wer wird zur grünen Zone?
Für die Initiative „No Covid“ lässt sich die Pandemie-Eindämmung bei allem Ernst der Lage auch spielerisch angehen. Wer schafft es zum Beispiel von den ewigen Konkurrenten Köln und Düsseldorf eher, die Infektionszahlen so erfolgreich in Schach zu halten wie Rostock? Als Belohnung winkten dann regional immer mehr Freiheiten für alle. Voraussetzung aber auch hier: Der Lockdown bleibt noch ein paar Wochen. Später dürften Besucher*innen aus roten Zonen mit hoher Inzidenz dann nur aus gutem Grund auf die nahezu covid-freien grünen Inseln, so die Ideen der Initiative. Länder wie Australien und Finnland hätten dieses Prinzip erfolgreich durchgezogen, berichtet Hallek. Mit Überzeugung statt mit Zwang. Die deutsche Politik ist bei solchen Ideen bisher noch zurückhaltend. Aber auch für sie gilt das Motto: So weit runter mit den Inzidenzen wie möglich.
Neu auf wamiki.de: Initiativen, Studien, Beispiele, Strategien
Über Öffnungen von Schulen wird seit Monaten intensiv diskutiert und gestritten. Wer darf wann zurückkehren, wie gravierend ist die Belastung für Familien und Schüler*innen, wenn sie weiterhin zu Hause bleiben?
Still dagegen war und ist es immer noch, wenn es um Kitas, Kinder, Erzieher*innen, Familien geht. Als AOK und Barmer kurz vor Weihnachten in einer Studie nachwiesen, dass die Berufsgruppe der Erzieher* noch vor medizinischem und Pflegepersonal besonders häufig coronabedingt krankgeschrieben wurde, war es die nächsten Wochen in der öffentlichen Diskussion dazu geradezu mucksmäuschenstill. Dass dies nicht so blieb, ist u.a. Erzieher*innen wie zum Beispiel Jasmin Lachmann oder Cem Erkisi zu verdanken.
wamiki findet, dass es eine Menge von möglichen Lösungen im Interesse von Erzieher*innen, Kindern und ihren Familien gibt.
Wir sammeln, was sich wie ändern kann und muss. Deshalb stellen wir fortlaufend Initiativen, wissenschaftliche Studien, Beispiele, Strategien vor:
—> https://wamiki.de/vor-der-dritten-welle/
Foto: kallejipp; Photocase