In dieser Rubrik stellen wir in jeder Ausgabe eine Situation vor, die Du aus verschiedenen Perspektiven betrachten kannst. Was sind Deine Perspektiven und die Deines Teams?
Hier gibt es den Artikel als PDF: dilemmata_#5_2022
SCHADENFREUDE, SCHÖNSTE FREUDE?
„Das muss doch wirklich nicht sein!“ Große Aufregung in der Kita „Regenbogen“, in der Du Erzieher*in bist. Folgendes passierte heute: Sigrid hatte ein Buch mitgebracht, das bei den Kindern gut ankommt. „Alle Kinder – ein ABC der Schadenfreude“ mit vielen Sprüchen wie „Alle Kinder gehen zum Friedhof. Nur Hagen wird getragen.“
Die Kinder haben inzwischen Lieblingsseiten. „Lies noch mal Berta vor!“
„Ja, die vom Sprungturm springt, und dann auf die Kacheln plumpst, und tot ist sie!“
Alle Kinder lachen und imitieren auf dem Boden aufschlagende Bertas. Finn fällt ein: „Unsere Katze ist früher mal aus dem Fenster gesprungen, und dann war die sooo platt wie…“
Die Kinder reden aufgekratzt durcheinander: „Und dann fährst du so mit dem Rad drüber, und die wird immer platter!“ Lustvoll malen sich die Kinder Geschichten von Fehlsprüngen aus.
Geht gar nicht, sagt Margit.
Das war ja klar, dass die Sache ausartet. So lustig die Kinder dieses Buch finden: Es ist einfach falsch, ihnen damit zu signalisieren, dass Schadenfreude ok sei. Wie sollen Kinder Empathie entwickeln, wenn Erwachsene und Kinderbücher es erlauben, dass man über den Schmerz anderer Menschen lacht? Was wäre, wenn Finns Geschichte mit der Katze stimmt?
Wir diskutieren heute viel darüber, wie man Menschen jeder Couleur mit Respekt begegnet. Und dann lachen wir über Menschen in Lebensgefahr?
Lachen zu verbieten ist verboten, findet Vera.
Ich glaube, die Kinder finden krasse Geschichten und Bilderbücher so toll, weil da was zur Sprache kommt, das ihnen Angst macht. Viele hören ja dauernd, was man alles nicht tun darf, um sich nicht in Gefahr zu bringen. Klar ist es da ein Bedürfnis, über so etwas zu kichern.
Auch wenn die Spaßbremse der Vorname von Pädagogin zu sein scheint – was hinterlässt das eigentlich für einen Eindruck, wenn immer dann, wenn es etwas zum Lachen gibt, ein Großer sagt: Dein Gefühl, dass du das lustig findest, ist nicht in Ordnung? Das ist genauso falsch, wie die Kinder zum Schlafen, Essen oder Jacke-Anziehen zu zwingen. Abgesehen davon glaube ich nicht, dass Kinder durch Bücher über Schadenfreude einen schlechten Charakter bekommen. Erwachsene werden ja auch nicht zu Verbrechern, nur weil sie dauernd Krimis gucken.
Lass uns reden, schlägt Lasse vor.
Ich versuche einen Kompromiss: Natürlich dürfen die Kinder lachen, wenn ihnen danach ist. Ich sage dann, dass ich es nicht lustig finde, weil mir Kinder wie der Klaus im brennenden Haus leidtun. Aber solche Bücher und mancher schlimme Witz liefern uns eine Basis, um über Themen wie Empathie ins Gespräch zu kommen. Ich frage dann zum Beispiel: „Wie, meinst du, ist es für Berta, auf die Schwimmbadkacheln zu fallen? Tut das doll weh, kann man dabei vielleicht sogar sterben?“ Mein Ziel ist, dass die Kinder irgendwann von selbst merken: Ich möchte nicht darüber lachen. Nicht weil mir Erwachsene das verboten haben, sondern weil mir die betroffenen Kinder leidtun.
Was denkst Du
Wie würdet Ihr handeln?