Was gibt ’s da zu lachen?

Warum lacht man über Witze? Müssen Witze immer auf Kosten anderer Leute gehen? Warum lachen Kinder, obwohl sie so schlechte Witze erzählen?
Dieser Text beantwortet sieben Fragen über Witze anhand von neun Witzen.

Hier gibt es den Artikel als PDF: Wortklauber_#5_2022

Warum erzählen Menschen Witze?

Humor dient dem Stressabbau. Die kurze, knappe Erzählform des Witzes mit überraschender Pointe dient dazu, angestauten Druck frei werden zu lassen. Etwas, das lange in mir gärte, darf plötzlich raus: Erleichterungs-Effekt. Eigentlich logisch, dass sich schon der älteste überlieferte Witz der Menschheit einem passenden Thema widmete, nämlich der Flatulenz:

Was ist seit Urzeiten noch nie geschehen? Eine junge Frau sitzt auf dem Schoß ihres Mannes und pupst nicht. (Entdeckt auf einer Keilschrift der Sumerer, etwa 4000 Jahre alt.)

Ziemlich öde, der Sumerer-Witz? Liegt vermutlich daran, dass uns die Situation der jungen Frau auf dem Schoß des Mannes emotional nicht mehr recht verständlich ist.

Warum lachen Kinder über Kaka und Erwachsene über den Arztbesuch?

Richtig gut kommen Witze an, die Tabus und unterdrückte Ängste zur Sprache bringen. Je nachdem, was Menschen bedrückt, lachen sie über andere Witz-Themen: Kleine Kinder lachen gerne über Kaka-Witze, solange das Thema „Sauberkeit“ noch nicht frei von Unsicherheit ist. Jugendlichen reicht es manchmal, durch pure Ausrufe wie „Penis!“ (aktueller Tiktok-Trend) ihre Unsicherheiten in Bezug auf Sexualität in Lachen aufzulösen. Oder sie lachen bei „Deine Mutter“-Witzen, weil sie Probleme mit dem Verändern der Kinderrolle haben. Ältere Herrschaften lachen mehr über Witze, die Ängste vor Krankheit und Tod thematisieren:

„Herr Doktor“, bittet der Patient, „sagen Sie mir ehrlich, wie lange ich noch zu leben habe.“ Der Doktor antwortet zögernd: „Zehn…“ Der Patient unterbricht panisch: „Jahre oder nur Monate? Etwa Wochen?“ Der Arzt spricht weiter: „…neun, …acht, …sieben…“ (Deutschland, Alter unbekannt)

Warum lachen Menschen über Schwächere?

Anscheinend dienen Scherze auf Kosten von Marginalisierten dazu, sich von diesen Gruppen zu distanzieren, weil man Angst hat, eventuell dazuzugehören. Entsprechend unterscheiden sich gesellschaftliche Gruppen in Bezug auf Lieblingswitze voneinander: Superreiche lachen vermutlich mehr über Neureiche, Ärmere über ganz Arme.

Wenn bestimmte Milieus aus der Gesellschaft verschwinden, verlieren auch die betreffenden Witze an Schärfe. Siehe folgenden Witz, in dem es um Proletarier und die Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung aufgrund ungezügelter Sexualität geht:

Klein Erna sitzt mit Fritze auf Treppe. Kommt die Mutter und fragt: „Was macht ihr denn da?“ Sagt Fritze: „Ich zeig Klein Erna bloß, wie man Kinder macht…“ Sagt die Mutter: „Ach so, ich dachte, ihr raucht schon wieder…“ (Deutschland, vermutlich 1930er Jahre)

Warum sind Ostfriesen im Witz die Dummen?

Universell zu funktionieren scheinen Witze über vermeintlich Dümmere. Denn das gute Gefühl, nicht betroffen zu sein, stellt sich schon beim Erzählen ein: Wer andere zum Lachen bringt, ist „gewitzt“.

Typisch für Dummen-Witze ist: Die angeblich geringere Intelligenz wird gerne auf harmlose Nachbarländer oder Randregionen projiziert. Bei den folgenden Scherzen kann man problemlos „Ostfriesen“, „Sachsen“ oder „Italiener“ einsetzen, ohne dass die Witze leiden:

Was steht in Bosnien unter dem Straßenschild für Kreisverkehr? „Maximal 10 Minuten!“ (Aus Kroatien)

Wie viele Belgier braucht man, um einen Schokoladenkuchen zu machen? „16. Einen für den Teig und 15, um die Smarties zu schälen.“ (Aus Frankreich)

Wie lachen sich Nachbarländer gegenseitig aus?

Oft greifen Länder-Witze spezifische Klischeevorstellungen über die Nachbarn auf. Dabei werden Bewohner ärmerer Länder gerne als faul oder kriminell dargestellt, während Bewohnern reicherer Länder häufig zugeschrieben wird, sich vom ehrlichen, einfachen Menschen entfernt zu haben. Auch diese Witze zeigen, wovor man sich in den jeweiligen Ländern besonders fürchtet – etwa vor Eigentumsverlust im reichen Land oder Modernität im rückständigeren Land.

Woran merkt man, dass die Polen auch schon im Weltall waren? „Am Großen Wagen fehlen die Räder.“ (Aus Deutschland, 1990er Jahre)

Warum haben die Deutschen im Jahr 1410 die Schlacht bei Tannenberg gegen die Polen verloren? „Weil sie gerade zur Pride Parade mussten.“ (Aus Polen, 2010er Jahre)

Kann man mit Witzen böse Menschen bekämpfen?

Hoffentlich. Zumindest sind fiese Chef*innen oder Diktator*innen seit jeher ein Top-Thema. Oft helfen die Witze, hinter der „Größe“ des jeweiligen Herrschers die niederträchtige Seite sichtbar zu machen und Führerpersönlichkeiten der Lächerlichkeit preiszugeben.

Stalin erscheint Putin im Traum. Putin fragt, was er tun soll, um Russland zu alter Größe zu führen. Stalin sagt: „Alle Demokraten erschießen und den Kreml blau anstreichen.“ Putin: „Warum soll ich den Kreml blau anstreichen?“ Stalin: „Ich wusste, dass du mit dem ersten Teil meiner Anweisung keine Probleme haben würdest.“ (Russland, etwa 2010)

Worüber lachen Kinder in ihren Lieblingswitzen?

Überraschend oft geht es in Kinder-Lieblingswitzen darum, Erwachsene „alt“ aussehen zu lassen und Machtverhältnisse umzudrehen. Beispiele sind zahllose Schul-Witze über ausgetrickste Lehrer.

Selbst Uralt-Witze wie der folgende enthalten subversives Potenzial, wenn ein Kind, in eine typische Situation der Beschämung („Was verkehrt gemacht!“) gebracht, den Spieß umdreht und den Erwachsenen in die schwächere Position bringt:

Gehen Fritzchen und seine Oma spazieren. Findet Fritzchen einen 10-Euro-Schein und fragt: „Kann ich den aufheben?“ Sagt die Oma: „Nein, was auf dem Boden rumliegt, das darf man nicht aufheben.“ Gehen sie weiter, liegt eine Bananenschale auf dem Boden. Rutscht die Oma aus und sagt: „Fritzchen, hilf mir mal.“ Da sagt Fritzchen: „Nein, was auf dem Boden liegt, darf man nicht aufheben.“ (Deutschland, Alter unbekannt)

Wie nennt man einen Keks unter einem Sonnenschirm?

Wie man einen Keks unter einem Sonnenschirm nennt? Ein schattiges Plätzchen, haha. Ja, solche Witze enthalten wenig subversives Potenzial, und auch als Stress­löser funktionieren sie kaum. Man könnte sagen: nette Sonntagnachmittags-Scherze. Zupackender sind Witze, bei denen einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Zum Beispiel dieser:

Die Versetzung in die 2. Klasse ist fraglich. Die letzte Chance ist die Prüfung beim Direktor. Der fordert Peter auf: „Buchstabiere doch mal das Wort Vater.“ Peter: „VATER.“ Direktor: „Gut, bestanden. Susi, buchstabiere mal Mama.“ Susi: „MAMA.“ Direktor: „Gut, bestanden. Ali, buchstabiere mal Ausländerdiskriminierung.“ (Deutschland, 1980er Jahre)

 

Foto: KatrinBpunkt/photocase.de

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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