Pädagogik aufräumen:
Pädagogik lebt von Ritualen, heißt es. Erzieher, Lehrer und *innen machen alles Mögliche, weil es nun mal derzeit üblich oder sogar vorgeschrieben ist. Egal, ob es Sinn hat oder nicht. Sinnvoll ist es aber auf jeden Fall, ab und zu auszumisten. Deswegen stellt diese Rubrik pädagogische Gewohnheiten aufs Tapet und fragt ganz ergebnisoffen: Ist das pädagogische Kunst, oder kann das weg?
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Wenigstens probieren lassen
„Bei uns muss niemand essen“, antworten heute die allermeisten Erzieherinnen auf die Frage, wie sie es mit der Entscheidungsfreiheit bei ungeliebten Speisenbestandteilen halten. Leider entkräften sie diese löbliche Klarstellung durch den folgenden Nachsatz: „Wir laden die Kinder nur jedes Mal dazu ein, wenigstens zu probieren.“
Probieren die „eingeladenen“ Kinder den grünlich schimmernden Brokkoli? „Nein, aber wir erinnern sie wenigstens, dass sie das mal tun könnten“, berichten die einen, während andere stolz verkünden, dass manche Kinder ihnen zuliebe den gekochten Kohlrabi schon mal testeten: „Schmeckt ok, aber jetzt will ich das doch nicht.“
Als Erwachsene essen die meisten Menschen zwar Speisen, die sie als Kinder verabscheuten, aber vermutlich spielt das Drängen einer Erzieherin dabei keine große Rolle. Im Gegenteil, viele Erwachsene essen alle Speisen außer denen, zu deren Verzehr sie in Kita und Hort genötigt wurden. Man denke nur an Milchnudeln, Kochfisch mit Dill und glibberige Hähnchenkeulen…
„Einladen, etwas wenigstens probieren“ funktioniert nicht. Man stelle sich nur mal vor, wie es wäre, würde diese Technik im Erwachsenen-Miteinander angewendet, etwa im Restaurant. „Ich weiß, Sie mögen keinen Thunfisch, aber wollen Sie ihn mir zuliebe nicht wenigstens mal probieren?“ Och, nö. Wer seinem Gegenüber zeigen will, dass er es für voll nimmt, akzeptiert ein Nein ohne Ja, aber.
Foto: Julia Beatty/Photocase