Man muss sich was trauen

Über neue Wege, dem Fachkräftemangel zu trotzen

Allein in Kitas werden in diesem Jahrzehnt – je nach Quelle – 20.000 bis 100.000 Fachkräfte fehlen. Ab 2026 wird der Rechtsanspruch auf ein Ganztagsangebot diese Situation noch verschärfen.
Was kann man tun, wenn der Arbeitsmarkt leergefegt ist, aber die Kita-Qualität gesichert werden muss?
Ramona Albers, Leiterin der Kita „dSPACE Dötze“ in Paderborn, erzählt im wamiki-Gespräch, welche Wege sie mit ihrem Team beschreitet.

Hier gibt es den Artikel als PDF: Man muss sich was trauen_wamiki_#5_2021

„dSPACE Dötze“ ist ja ein sonderbarer Name für eine Kita…

dSPACE ist der Name des Elektronik- und Software-Unter­nehmens, das mit unserem Träger „Impuls Soziales Management“ zusammenarbeitet, weil es ein familienfreundliches Unternehmen sein möchte. Und Dötze heißt Kinder – auf Westfälisch.

Was wird in dem Unternehmen eigentlich produziert?

dSPACE ist Anbieter von Lösungen für die Entwicklung von vernetzten, selbstfahrenden und elektrisch angetriebenen Fahrzeugen. Mit dem Lösungsangebot des Unternehmens entwickeln und testen vor allem Automobilhersteller und ihre Zulieferer Software- und Hardware-Komponenten ihrer neuen Fahrzeuge – lange bevor sie auf die Straße kommen –, aber auch Unternehmen der Luft- und Raumfahrt. dSPACE ist ein weltweit agierendes Unternehmen mit Standorten in den USA, Frankreich, England, Japan, China, Kroatien, Südkorea und bei uns in Paderborn. Dementsprechend ist unsere Elternschaft sehr bunt und IT-affin.

Das Unternehmen legt viel Wert auf Frühförderung und Bildung. Deshalb ist unser Personalschlüssel der Bertelsmann-Empfehlung angelehnt – wir liegen über der gesetzlichen Mindestbesetzung und haben im Haus viel Platz für die 65 Kinder, die unsere Einrichtung in vier Gruppen besuchen. Die Kita befindet sich auf dem Gelände von dSPACE und bestand anfangs aus einem Provisorium, bis 2015 der Neubau fertig war.

Wurden die Kita-Leitung und das Team bei der Planung des Neubaus einbezogen?

Unser Träger sorgte dafür, dass die Leitung und alle, die Lust hatten, ihre Erfahrungen einbringen und den Architekten zum Beispiel sagen konnten: „Das sieht zwar schön aus, aber praktikabel und für Kinder sinnvoll ist eine Turnhalle mit 12 Metern Deckenhöhe nicht.“

Warum habt ihr euch in Sachen Bilingualität auf Englisch-Deutsch festgelegt?

Das Unternehmen hat das festgelegt, weil Englisch und Deutsch die Unternehmenssprachen sind.

Wir haben gehört, dass ihr eine interessante Strategie habt, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Welche Strategie ist das?

Es ist ein MUSS, möglichst viele Strategien zu haben. Eine Strategie der letzten Jahre war, jährlich eine Auszubildende oder einen Auszubildenden aufzunehmen – in der Hoffnung, dass die Leute im Anschluss daran bei uns bleiben. Inzwischen reicht das aber nicht mehr aus. Deshalb versuchen wir, so viele junge Menschen auszubilden wie möglich, und haben in jeder unserer vier Gruppen einen Azubi. Künftig werden wir diese Kapazität eventuell verdoppeln. Außerdem wird die Möglichkeit für Quereinsteiger, die Praxisintegrierte Ausbildung bei uns zu machen, die über drei Jahre läuft, immer interessanter. Wöchentlich haben die Auszubildenden zweieinhalb Praxistage und zweieinhalb Theorietage. Das heißt: Sie können Theorie-Wissen gleich praktisch umsetzen. Das macht die Sache attraktiv.

Eine weitere Strategie sind Kooperationen, zum Beispiel mit dem Sport-Internat in Paderborn, das gleich um die Ecke liegt. Dort sind junge Sportler aus ganz Deutschland untergebracht, die Baseball, Basketball, Football oder Fußball spielen, eine internationale Sport-Karriere anstreben und deshalb Interesse an der englischen Sprache haben, aber auch sozial engagiert sind. Sie mussten sich früh aus dem Elternhaus verabschieden, können neben dem Internatsleben ein zweites Standbein gut gebrauchen, sich am Kita-Alltag beteiligen und neuen sozialen Input bekommen. Das sind überwiegend junge Männer, die Fachabitur machen, also die Fachhochschulreife für das Sozial- und Gesundheitswesen erwerben und in dieser Zeit ein Jahr bei uns arbeiten – neben der Schule. Montags, dienstags und am Mittwochnachmittag sind derzeit drei Jungs bei uns, gefühlt zwei Meter lang und breit, was die Kinder großartig finden.

Diese Kooperation entstand übrigens aus reiner Neugier…

Diese Kooperation entstand übrigens aus reiner Neugier. Vor drei Jahren wollte ich mir einfach mal angucken, was die Sportler so machen, und seitdem arbeiten wir gut zusammen. Wenn in der Urlaubszeit im Team jemand fehlt, haben wir immer die Möglichkeit, im Internat anzufragen. Anfangs hätte ich nicht gedacht, dass das so gut funktioniert. Heute sage ich: Man muss einfach neue Wege ausprobieren.

Ein neuer Weg ergab sich auch durch die Zusammenarbeit mit den Wirtschafts-Senioren, in deren Kreis ich Mitglied bin. Wir gehen in Realschulen, Gesamtschulen und Gymnasien, stellen Ausbildungsbetriebe und Berufsbilder vor – in meinem Fall die Berufsfelder der Erzieher:innen, Sozialassistent:innen und Kinderpfleger:innen, also das ganze Repertoire –, informieren über Praktika und sprechen die jungen Leute gezielt an.

Nochmal zurück zu den Sportlern und Azubis. Wer leitet sie an?

Mir ist es wichtig, dass Leute, die studieren, auch von jemandem angeleitet werden, der studiert, also nicht nur eine:n Ansprechpartner:in auf der fachlichen Ebene haben, sondern auch für ganz praktische Fragen: Wie organisiere ich meine Kursbelegung, und was ist jetzt überhaupt Sache? Wir unterstützen alle, die Praxisanleitung bei uns machen wollen, und haben Leitfäden entwickelt, in denen wir formuliert haben, was wir von den Auszubildenden erwarten und was sie von uns erwarten können. Auf dieser Basis schubsen wir jeden ins kalte Wasser. Jemand, der gerade sein Anerkennungsjahr abgeschlossen hat, kann zwei Monate später schon die Anleitung eines Tagespraktikanten übernehmen. Ich bin nämlich ein Fan des schnellen Ausprobierens, weil man dabei am besten lernt. Außerdem herrscht in unserem Team eine gesunde Fehler­kultur.

Beschreibe diese Kultur bitte mal.

Ich spreche mich nicht davon frei, Fehler zu machen, lege das offen und versuche, es zu verändern. Macht mich jemand in der Teamsitzung oder im Einzelgespräch auf einen Fehler aufmerksam, finde ich das gut, denn dann habe ich die Möglichkeit, daraus zu lernen.

So, wie ich es vorlebe, wird es weitergegeben, und darauf vertraue ich. Funktioniert das nicht, habe ich immer die Möglichkeit, an der einen oder anderen Schraube zu drehen. Schließlich trage ich die Verantwortung, und für die Konsequenzen stehe ich gerade. Das vermittle ich dem Team, und dementsprechend verhalten sich die Teammitglieder dann auch.

Sind die Kinder bei euch in Gruppen aufgeteilt? Oder arbeitet ihr offen?

Wir arbeiten teiloffen, auf zwei Etagen. In der oberen Etage bewegen sich die 43 älteren Kinder frei, unten sind die 22 Krippenkinder untergebracht und haben auch viel Spielraum.

Wir sind ganzjährig geöffnet und haben flexible Öffnungszeiten. Das heißt, die Eltern können bei uns so buchen, wie sie es brauchen – theoretisch morgens von 6:30 Uhr bis abends 19:30 Uhr. Die Regelbuchungszeiten bewegen sich in der Zeit von 7:30 Uhr bis 17:00 Uhr. Dementsprechend muss das Personal die Randzeiten abdecken. Da alle Teammitglieder 30 Urlaubstage haben und Fortbildungen besuchen, sind natürlich nie alle da – außer an den zwei pädagogischen Schließtagen. Außerdem versuchen wir, allen Fachkräften wöchentlich einen halben Tag kinderfreie Vorbereitungszeit zur Verfügung zu stellen, um nachhaltige Portfolio-Arbeit zu machen, Beobachtungsbögen vernünftig auszufüllen oder Elterngespräche vorzubereiten. Es geht ja nicht um das Prinzip „Satt, sauber und zufrieden“, sondern wir haben einen Bildungsauftrag, und den müssen wir erfüllen. Dafür brauchen wir aber Zeit – Zeit, um die Kinder wahrzunehmen, zu beobachten und den Eltern mitzuteilen, wie sie sich entwickeln.

In deinem Team arbeiten auch Leute, die hierzulande noch keine Anerkennung haben, aber das bilinguale Konzept der Einrichtung mittragen…

Ja. Derzeit sind in jeder Gruppe mindestens zwei Leute, die nur Englisch sprechen. Sie arbeiten nach der Immersions-Methode. Das heißt, sie kommen morgens herein und reden nur Englisch mit uns, den Kindern und Eltern – wie in einer bilingualen Familie: eine Person, eine Sprache. Das klappt natürlich nicht mit deutschen Muttersprachlern, die irgendwann mal Englisch in der Schule hatten. Also überlegte ich, wo man am besten klingeln oder klopfen könnte, und dachte: Wir haben in Ostwestfalen viele britische Kasernen und demzufolge britische Frauen, deren Männer hier stationiert sind. Ich fragte, wie viele Nursery Schools es bei ihnen gibt und ob Frauen Lust haben, uns mal zu besuchen. So entstanden Kontakte zu britischen Familien in Paderborn, die ihre Angehörigen, die erwachsene Tochter oder Nichte, fragten, ob sie nach Paderborn kommen und in unserer Kita arbeiten würden. Außerdem gibt es britische Familien, die es gut finden, dass ihre Kinder zwar in eine deutsche Kita gehen, aber das Englische nicht verlieren. Unsere Kinder wiederum finden es toll, Altersgefährten zu haben, die fließend Englisch sprechen. Man muss also Augen und Ohren offenhalten und sich trauen, den ersten Schritt zu tun.

Inzwischen sind die britischen Truppen abgezogen, nur ein Kern blieb noch da. Aber es gibt auch Leute, die hier Soziale Arbeit studiert haben, dann zwei Jahre in Indonesien oder Australien waren, zurückkehrten, und Teil des Teams wurden. Zwar ist ihre Muttersprache Deutsch, aber sie sprechen Englisch auf C1- oder C2-Niveau.

Solche Weltenbummler:innen haben schnell mal Lust, weiterzuziehen. Also haben wir überlegt, was wir ihnen bieten können. Vielleicht versuchen wir, uns als Kita für Erasmus Plus zertifizieren zu lassen, um als Austausch-Einrichtung angeboten zu werden. Nun hören wir uns ein bisschen um und gucken, welche Länder in Europa ein so gutes englisches Niveau haben, dass wir Personal rekrutieren könnten. Für 2022 planen wir, in Irland Ausschau nach jungen Menschen mit gutem englischem Niveau zu halten, die wir – angesichts der hohen Arbeitslosigkeit dort – vielleicht überzeugen können, nach Paderborn zu kommen. Das ist auch wieder so eine Strategie. Mal sehen, ob’s klappt.

Was ist eigentlich für dich geeignetes Personal? Was müssen das für Leute sein? Was müssen sie auf jeden Fall können?

Mein Fokus liegt immer auf den Menschen und nicht auf den Zeugnissen. Wer sich bei uns bewirbt, muss erst mal hospitieren, und ich gucke mir an, wie die Kinder diesen Menschen annehmen. Dann folgt ein Reflexionsgespräch. Da frage ich nicht nach den Stärken und Schwächen, sondern will wissen: Was sind deine Interessen, deine Talente? Was machst du gern? Kocht jemand gern, kann er bei uns die Kinderküche übernehmen und wird das besser hinkriegen als jemand, dem das aufgedrückt wurde.

Wenn ich merke, dass der Funke bei der Hospitation nicht überspringt, haben die Kinder eigentlich schon entschieden, und wir können uns das Bewerbungsgespräch sparen, selbst wenn jemand die besten Zensuren hat. Viel wichtiger ist mir, dass die Leute authentisch sind und für unseren Beruf brennen.

Das Problem in Deutschland ist, dass man für alles einen Schein in der Hand haben muss. Mal ein Beispiel: Ich habe eine Kollegin, die hier eine Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht hatte und todunglücklich in diesem Job war. Sie wanderte nach Florida aus, machte dort ein paar Trainings und leitete danach eine Tagesgruppe mit 15 Kindern. Zehn Jahre später kam sie wieder, wollte aber auf keinen Fall zurück ins Büro. Als sie mir ihre Geschichte erzählte, dachte ich: Was kann mir Besseres passieren, als so einen Menschen einzustellen? Also sagte ich: „Ja, wir nehmen dich, und es ist uns egal, was du für eine Ausbildung hast.“ Sich fortzubilden, eine Praxisintegrierte Ausbildung berufsbegleitend zu machen oder sogar nochmal zu studieren – das sind alles Möglichkeiten, die die Kollegin verwirklichen kann. Aber man muss solchen Leuten erst mal die Hand reichen. Dann sind sie motiviert, und das sieht man natürlich auch an der Arbeitsleistung.

Ihr habt es in der Kita mit Menschen – Erwachsenen und Kindern – verschiedener Kulturen und Herkünfte zu tun. Wie verbinden sie sich miteinander?

Da gibt es eigentlich nur eine Kernressource: Vertrauen. Bei unserem Träger haben wir einen Willkommens-Service entwickelt. Das heißt, es gibt Leute, die bei ganz praktischen Problemen helfen: Wie melde ich mich bei der Krankenkasse an? Wie finde ich eine Wohnung? Was muss ich in Deutschland alles beachten?

Wir haben einen Willkommens-Service entwickelt.

Jeder bekommt bei uns die Möglichkeit, über seine Kultur und seine pädagogischen Einflüsse zu sprechen. Das ist sehr bereichernd, weil wir dadurch verschiedene Perspektiven kennenlernen. Teams, die nicht so divers sind, müssen dafür viele teure Fortbildungen einkaufen.

Diversität ist ein absolutes Plus, finde ich. Alle im Team bringen ihre Geschichten mit, und es gibt immer was zu erzählen. Zum Beispiel Insider-Tipps in der Mittagspause, wenn es ums Reisen geht: Ich war mal da und da, habe das und das gemacht und kann es euch empfehlen.

Vertrauen entsteht, wenn jeder in seinem So-Sein, seiner Herkunft und mit dem, was er einzubringen hat, anerkannt wird. So hast du deinen Leitungsstil beschrieben. Er setzt auf Anerkennung.

Ja, das unterschreiben die Leute tatsächlich in ihren Arbeitsverträgen. Wir haben mit unserem Träger „Grundsätze unseres wertegeleiteten Handelns“ entwickelt, in denen es um Kinderrechte, Menschenrechte, um Toleranz und Anerkennung geht, also um die Dinge, die uns wichtig sind. Wir möchten, dass Menschen sich gesehen, wertgeschätzt und willkommen fühlen. Dazu brauchen wir natürlich entsprechende Kommunikationssysteme. Ein Mal im Monat treffen wir uns im Gesamt-Team, alle zwei Monate findet Supervision statt, und wenn die Klein-Teams weitere Supervision brauchen, ist das nach Absprache möglich. Damit gehen wir flexibel um und beharren nicht auf Terminen, wenn kein Bedarf besteht.

Darüber hinaus gibt es Gruppenleiter-Sitzungen, die der Informationsweitergabe und der Arbeit an Schwerpunkten des NRW-Bildungsplans dienen, zum Beispiel Ökologie. Weil die Kinder mit diesem Begriff nicht viel anfangen können, gibt es bei uns dafür das Wort Gartenzwerge. Die Gartenzwerge treffen sich ein Mal pro Woche und überlegen, was zu tun ist: Müssen wir jetzt Kartoffeln pflanzen oder ernten? Zwei Erwachsene begleiten sie dabei – auf Deutsch und Englisch. So etwas wird in den Gruppenleiter-Sitzungen besprochen und in den Morgenkreisen vorgeschlagen. Mitmachen können die Kinder, die Lust dazu haben. Das funktioniert eigentlich ganz gut, und die Kinder lernen, auch mal Rücksicht zu nehmen und zu sagen: „Ach, heute geht der zu den Gartenzwergen – da gehe ich eben nächste Woche.“ Ein zusätzlicher Lerneffekt.

Wer gehört bei euch eigentlich zum Kern-Team?

Im Grunde genommen gehören alle zum Kern-Team, die gerade bei uns arbeiten. Da mache ich überhaupt keinen Unterschied und trage das auch nach außen, weil Eltern oft fragen: „Oh, schon wieder jemand Neues?“ Aber das ist völlig egal – außer bei den Krippenkindern. Die älteren Kinder werden immer offener, denn sie vertrauen uns und wissen: Wir lassen niemanden herein, der etwas Schlechtes will. Und wir vermitteln: Es ist gut, offen auf Menschen zuzugehen und zu gucken, was sie uns mitgeben können.

Das Team ist dynamisch und verändert sich. Vor drei Jahren stellte ich zum Beispiel eine Kollegin aus Polen ein, eine Grundschullehrerin, die perfekt Englisch spricht. Sie wollte hier die Anerkennung machen und irgendwann wieder in ihren Beruf zurückkehren. Auch wenn uns natürlich daran gelegen ist, gute Fachkräfte nicht zu verlieren, ist unsere Haltung:: „Wir begleiten dich auf deinem Weg und unterstützen deine Anerkennung.“ Jetzt sind die drei Jahre um, sie geht, und schweren Herzens lassen wir sie ziehen. Aber ich weiß: Sie hat so viel geschafft, hat ihr Studium anerkennen lassen und weiß jetzt, was sie kann. Und in der Grundschule sind gute Leute auch gefragt. Also – warum nicht?

So zu denken, das würde ich gern an viele meiner Kolleginnen und Kollegen weitergeben. Es ist immer gut, offen mit Menschen ins Gespräch zu gehen und gemeinsam zu gucken, ob es einen anderen Weg gibt, wenn es für jemanden nicht mehr passt. Besser jedenfalls, als zu sagen: Okay, dann schmeiße ich eben die Kündigung auf den Tisch und bin in drei Monaten weg.

Außerdem passt es zu dem Satz: Was für die Kinder gilt, gilt auch für die Erwachsenen.

Wenn eure Werte-Grundsätze beschreiben, wie ihr die Entwicklung von Kindern begleiten wollt, dürft ihr die Entwicklung Erwachsener nicht behindern. Das wäre ja ein Widerspruch.

Ja, und man wird krisenresistent. Wenn sich eine Tür schließt, tut sich irgendwo eine andere Tür auf. Für die Stelle dieser Kollegin habe ich die perfekte Kandidatin oder den perfekten Kandidaten noch nicht gefunden. Nicht, weil meine Ansprüche zu hoch sind, sondern weil es einfach menschlich noch nicht gefunkt hat. Ich sitze das aus, mache mir keinen Druck, überlege aber, wo ich nochmal anklingeln könnte, damit jemand kommt. Und ich bin mir ganz sicher: Das wird passieren.

Was hast du denn für Strategien, dein Team von Weltenbummlern und Ortsansässigen zu motivieren und zusammenzuhalten?

Ich kann die Leute gut bezahlen und tolle Mitarbeitervorteile anbieten. Aber summa summarum ist es die Atmosphäre: Wer reinkommt, hat Lust, hier zu arbeiten. Auf einer Vollzeitstelle sind das 40 Stunden in der Woche, also eine Menge Lebenszeit. Das ist mir bewusst, und ich möchte, dass wir diese Zeit gut miteinander gestalten, Konflikte nicht lange mit uns rumschleppen, sondern offen auf den Tisch legen und respektvoll miteinander umgehen. Da kann es auch mal passieren, dass eine Palette Prosecco freitags ganz ungeplant im Mitarbeiterraum steht, mit der Ansage: „Schönes Wochenende! Jeder muss mir ein Selfie mit Prosecco schicken.“ Und ich nehme mir die Zeit, Veranstaltungen zu planen, zum Beispiel ein Sommerfest oder eine Weihnachtsfeier. Das liegt in meiner Hand. Die Kolleginnen und Kollegen müssen sich nicht darum kümmern, sondern können kommen und genießen.

Wenn die Leute Mittagspause machen, setze ich mich dazu und kriege mit, welche Themen sie beschäftigen, worüber sie sich austauschen, wie es ihnen geht. Diese halbe Stunde meiner Arbeitszeit ist gut investiert, weil ich ein Gefühl für die Leute und dafür kriege, wo sie gerade stehen und was sie brauchen. Dann kann ich jemanden am Nachmittag nochmal zu mir holen und fragen: „Mensch, was ist los? Magst du reden? Kann ich was für dich tun?“ Ich glaube, das sind Dinge, die wirklich wichtig sind.

Viele Leitungen sind ja nicht freigestellt und verbringen die meiste Zeit in Kita-Gruppen. Wann warst du das letzte Mal in einer Gruppe?

Heute morgen von 8:15 bis 9:00 Uhr.

Zwar bin ich bei 40 Wochenstunden zu 100 Prozent freigestellt, aber ich versuche, mich jede Woche in jeder Gruppe mindestens eine halbe Stunde aufzuhalten. Ich möchte wissen, was die Kinder wollen, welches Material eingekauft werden muss und überhaupt – das ist es, warum ich hier sitze: Unsere Kinder sollen eine gute Bildung genießen, sollen hochmotiviert, selbstständig und selbstfürsorglich mit sechs Jahren hier rausmarschieren. Dann stolpern sie in das Bildungssystem Schule. Aber das ist ein anderes Thema. Ich kann nicht die ganze Welt retten, doch wenn ich unsere Kinder hier rauslasse, sollen sie eigenständige Persönlichkeiten sein und wissen, was sie können und wollen. Dann habe ich meinen Job erfüllt.

Bitte vervollständige zum Schluss diesen Satz: Für kein Geld der Welt würde ich…

… mein soziales Engagement aufgeben.

Danke. Und bis bald!

Interview: Lena Grüber und Erika Berthold

Fotos: dSPACE Dötze

 

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