Mit halber ­Fachkraft voraus:

Neue Wege gegen Personalmangel

Vitamin-C-Mangel, Heißmangel, mangelhaft. Wörter mit der Buchstabenfolge „mangel“ sorgten schon immer für Angst und Schrecken. Jetzt hat sich der Fachkräftemangel wie ein Schatten über unsere sonnige Kitawelt gelegt, und Experten fragen sich, wie es plötzlich dazu kommen konnte. Wurden als Kinder getarnte feindliche Agenten in unsere Kitas geschleust, um durch explodierende Gruppengrößen für Chaos zu sorgen? Haben Ideologen unseren Frauen ausgeredet, in Jobs zu arbeiten, in denen man knappe Gehälter durch üppiges freiwilliges Engagement kompensieren kann? Egal, jetzt ist das Kind in den – wegen Fachkräftemangel schlecht beaufsichtigten – Brunnen gefallen und kann auch nicht mehr herausgeholt werden. Also zählen technologieoffene Lösungen wie die folgenden aus verschiedenen deutschen Bundesländern.

Hier gibt es den Artikel als PDF: Fachkraft Satire_#4_2023

 

Auf Erziehungstour durchs Erzgebirge

Im überalterten und dünn besiedelten Landkreis Ohrenhau kann man auf erprobte Lösungen aus der Seniorenbetreuung zurückgreifen: „Dybisch füo ünzre Reckjön…“
– Moment, schnell den Google-Dialect-Translater anstellen – „… sind ja diese Mini-Autos vom Pflegedienst, die oft für die letzte Bewegung über Land und von Omi zu Opi sausen. Wir haben das Prinzip erweitert und sogenannte Kinderbetreuungsstützpunkte eingerichtet. Hier werden jeweils drei bis vier Kinder gesammelt, die dann mehrmals täglich vom Pflegedienst besucht werden. Manche Leistungen wie Apetito-Happen erwärmen oder kämmen ähneln den in der Altenpflege üblichen; dazu kommen neue Zusatzaufgaben wie drei Minuten Morgenkreisgespräch pro Kind und zweieinhalb Minuten Feinmotorik-Training…“

Aber reichen denn dreimal fünf Minuten Betreuungszeit für ein Kind? „Für die Durchschnittskinder schon. Kinder mit höherem Bedarf, etwa wegen schwierigem Sozialverhalten, können bis zu sechs Besuche a 10 Minuten pro Tag bekommen. Das ist fast mehr Aufmerksamkeit als in der klassischen Kita! Voraussetzung ist natürlich der ermittelte Bedarf. Wir sprechen da von den Kategorien Flegelstufe I und II…“

Moni oder Tonie?

Vanessa kommt heute nicht? Was früher für Eltern­panik und verunsicherte Kinder gesorgt hätte, wird heute in der Kita Okapigehege in Berlin-Hopsenrade souverän bewältigt: dank des Konzeptes der KI-Ki-Ta. Natürlich steht das erste KI für künstliche Intelligenz. Die Kita, Fan der Tonie-Box1, ließ für alle Kolleginnen Toniebox-­Figuren herstellen. Fehlt eine Kollegin, wird die entsprechende Figur auf die Tonieboxen der Kita gesteckt und übernimmt nun akustisch deren Aufgaben. Zwar konnte anfangs nur die für den Hortbereich zuständige Hildegard glaubwürdig ersetzt werden, deren Satzrepertoire im Wesentlichen aus „Jeh da ma’ fix runta“ und „Mütze uff, aba dalli“ bestand. Doch heute arbeitet man mit ChatGPT, was schon nach dem ersten Elterngespräch mit der Toniebox-Figur von Sonja für Begeisterung sorgt: „Im Prinzip waren es nur Floskeln – aber wunderbar beruhigend…“

Personalersatz mit Herz und Schnauze

Digitale Erzieherinnen? Nichts für uns, findet Steffi Stremel aus dem Jugendamt Warmemüde: „Kinder brauchen Erzieherinnen aus Fleisch und Blut!“ Begeistert berichtet sie vom Visionsworkshop der Gemeinde, bei dem die Teilnehmenden sich nicht von den schlechten Bedingungen herunterziehen lassen, sondern sich erst mal auf ein Bild ihrer idealen Kita-Fachkraft einigen sollten. Bald war klar: „Ein Freund für die Kinder soll sie sein, trotzdem natürliche Autorität haben, gut ausgebildet, dem Arbeitgeber treu und in hohem Maße einsatzbereit sein.“ Sofort war klar: Freie Erzieherstellen werden ab sofort durch Hunde besetzt, natürlich mit Hundeschulausbildung. „Sie können sich nicht vorstellen, wie das flutscht“, strahlt Steffi Stremel. „Wenn Erzieherin Gabi beim Morgenkreis was vorsingt und die Kinder reinquatschen, dann knurrt Kollege Bello kurz, und schon sind alle mucksmäus­chenstill. Corona hatte für einen Mangel an Personal und gleichzeitig für einen Überschuss an Haustieren gesorgt. Warum nicht eins und eins zusammenzählen?“

 

Zoom für alle!

Auch Fachberaterin Margot Ahlers vom Kreisjugendamt Vorderwülbekke versucht, aus der Pandemie positive Lehren im Sinne guter Personalbesetzung zu ziehen. Insbesondere „dieses Zoomen“ hat es ihr angetan. Auf einer riesigen Monitorwand zeigt sie, wie das Anti-Personalmangel-Konzept des Kreises aussieht: „Von diesem ehemaligen Isolationsraum der Kita Zwergplaneten aus kann sich unsere Zoom-Erzieherin Bärbel bei Bedarf in bis zu 32 von Personalausfall betroffene Kitagruppen zuschalten, um für fachgerechte Beaufsichtigung zu sorgen. Hallo, Bärbel!“ Etwas ruckelnd grüßt die Erzieherin mit einem herzlichen „Ha-a-lllooo!“ zurück.

Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, so Margot Ahlers, sei es durchaus sinnvoll, die Kinder wieder – wie bei Corona hervorragend eingeübt – in klassischen Gruppenräumen zu versammeln. Zweitens sorge es natürlich für die Entlastung der am Bildschirm agierenden Erzieherin, wenn sie nicht 32 unterschiedliche Aktionen animieren müsse. „Um die Bildschirm-Kollegin nicht durch Überlastung auch noch zu verlieren, gibt es ein nach wissenschaftlichen Kriterien optimal ausgewähltes Standard­angebot für alle 32 Bildschirmgruppen. Heute ist das zum Beispiel, Bärbel, helfen Sie mir auf die Sprünge…“

„Sommerliches Bügelperlenbasteln!“

Schlafwache statt Strafsache

„Keine Lust auf Kita? Viele Menschen…“, erklärt Dr. Gneißlhofer vom Bayerischen Bildungsministerium gesten­reich, „… würden sofort im Kindergarten anfangen, wenn es diese hohen, allzu hohen bürokratischen Hürden nicht gäbe. Muss man zum Beispiel wirklich Kindheitspädagogik studiert haben oder eine Fachausbildung zur Erzieherin machen, um Kinder betreuen zu können? Meine Frau zum Beispiel hat unsere Großen auch ohne Ausbildung hervorragend erzogen, unseren – na, wie heißt er noch…“ Nach kurzem Stottern kommt Gneißlhofer wieder auf den Punkt und stellt sein Ausbildungskonzept vor, die sogenannte 22-Stunden-Umschulung zum Erzieherhelfer-Ersatzhelfer mit Kinderpflegerinnen-Unterstützungs-Hilfsfunktion. Weil der reguläre Arbeitsmarkt auch dafür wenig Kapazitäten bietet, hat das Land eine neue Quelle erschlossen, die der verurteilten Straftäter. Das Konzept setze, so Gneißlhofer, an persönlichen Vorerfahrungen und Kompetenzen an, die der Umzuschulende mitbringt: „Ronny zum Beispiel ist ein verurteilter Stalker – ideal geeignet für die lückenlose Beaufsichtigung und detaillierte Beobachtung von Kindern. Und wer wie Eberhard Menschen zu illegalem Glücksspiel verleiten kann, hat doch das ideale Knowhow, um Kinder für das Halmaspiel zu begeistern, oder?“ Besonders freue er sich auf die bald in großen Mengen verurteilten Mitglieder der letzten Generation, denn „wer sich mit dem Kleben auskennt, ist am Basteltisch gerade recht“.

Foto: Susann Städter / Photocase

Der Kita-Kollaps

Die Grande Dame der Frühpädagogik, Ilse Wehrmann, hat ein Buch zur Lage des Kita-Systems geschrieben. Warum? Und was sind die Kernbotschaften? Was tut not? Weiter lesen…

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Man muss sich was trauen

Über neue Wege, dem Fachkräftemangel zu trotzen

Allein in Kitas werden in diesem Jahrzehnt – je nach Quelle – 20.000 bis 100.000 Fachkräfte fehlen. Ab 2026 wird der Rechtsanspruch auf ein Ganztagsangebot diese Situation noch verschärfen.
Was kann man tun, wenn der Arbeitsmarkt leergefegt ist, aber die Kita-Qualität gesichert werden muss?
Ramona Albers, Leiterin der Kita „dSPACE Dötze“ in Paderborn, erzählt im wamiki-Gespräch, welche Wege sie mit ihrem Team beschreitet.

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Am Limit

Im Umgang mit Corona offenbaren sich seit Jahren bekannte Mängel des Kita-Systems, denen man jedoch von politischer Seite zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Schon vor der Pandemie war das System mit Fachkräftemangel, häufig nicht kindgerechten Personalschlüsseln und mangelnder (digitaler) Ausstattung am Limit.

Was tun? Die BAG BEK e. V. bezieht Stellung. Weiter lesen

Jahresvorschau 2020

Februar

Die Umsetzung des Gute-Kita-Gesetzes beginnt, und die 5,5 Milliarden werden verteilt. Während Organisationen in der Nähe der kräftig sprudelnden Geldquelle frohlocken – „Seit Tagen schwimmen wir hier in Geld! Der Keller unseres Bürohauses ist schon überflutet!“ – erwartet man weit draußen auf der sogenannten Praxisebene den Geldfluss sehnsüchtig. Leider kommt es infolge lang­anhaltender finanzieller Trockenheit unterwegs zu erheblichen Versickerungsprozessen, sodass es nur ein bis zwei Geldtröpfchen bis in die pädagogische Provinz schaffen. „Das geben wir aber nicht gleich für eine Plastikschaufel aus“, beschließt das Team der „Mäusekiste“ in Flöha einstimmig.

März

Im März eröffnet die didacta ihr Pforten, aber der Zustrom lässt nach. Offenbar fühlen sich viele Menschen durch die zahlreichen Digital-Mottos der vergangenen Messen veranlasst, einer Real-life-Veranstaltung fernzubleiben. Wahrscheinlich fürchten sie, als zu analog zu gelten. Nach kurzer Beratung beschließt das didacta-Präsidium, beim nächsten Mal Neuland zu betreten und die Messe nur noch digital stattfinden zu lassen, also per Besuch im Netz. „Eine Schlüsselrolle wird unser digitaler didacta-Assistent mit dem Namen DiDi Dackta spielen, der das Publikum durch die virtuellen Hallen geleitet“, erläutert Präsident Froschmann. Als besonderes Highlight sei eine App vorgesehen, die – vorausgesetzt, die Besucher verfügen über 3D-Drucker – das Ausdrucken der beliebten Sport-Thieme-Poolnudel erlaubt. Druckzeit: 37, 5 bis 264 Stunden, je nach Datenverbindung.

Mai

Im Elterninitiativkindergarten „Billy n’Gual…“ in Berlin-Prenzlauer Berg kommt es zu einer Massenvergiftung. Ein offenbar völlig verpeilter Vater hatte anlässlich des vierten Geburtstags seines Sohnes Jörg-Björn-Thorben einen Kuchen mitgebracht, der sowohl Milch, Eiweiß, Butter, Zucker und möglicherweise sogar Spuren von Mehl enthielt. Diese Ingredienzien lösten schwere Symptome von Glutenunverträglichkeit, Weizenallergie, laute Zöliakie-Furze und zuckerinduzierte Hyperaktivität aus. Auch Verschmutzungen auf einem hochwertigen Biofilzmarkenpulli blieben nicht aus.

Zur gleichen Zeit vertilgen 40 Kinder im benachbarten Wedding reichlich aus Amerika importierten Marshmellowfluff in rosa, pink und glow-in-the-dark-phosphor­grün. Ohne wahrnehmbare Folgen.

Juli

Neue Plagiatsvorwürfe gegen Franziska Giffey: Im Juli wird offenbar, dass die Familienministerin in ihrer Broschüre „Das Gute-Kita-Gesetz – gute Bildung gemeinsam weiterentwickeln“ zahlreiche Textstellen aus anderen Werken benutzt hat, zum Beispiel „KitaPlus: Weil gute Betreuung keine Frage der Uhrzeit ist“, „Gut ist Kita, wenn die Kleinsten eine Rolle spielen“ und „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“. Insbesondere die inflationäre Verwendung von Worten wie „gut“, „frühe Chancen“ oder von Satzbausteinen wie „Gut ist Kita, wenn sie alle stark macht“ hatte die Plagiatsjäger auf die Spur gebracht. Zu ihrer Entschuldigung verweist die Ministerin darauf, dass die Sätze – teils noch von Ursula von der Leyen stammend – nach wie vor Gültigkeit haben, denn „umgesetzt wurde ja seit cirka 1975 von all den Forderungen eh nix“.

September

Der Fachkräftemangel treibt immer schlimmere Blüten. In Siegburg gelingt es Kindern aus dem Kindergarten „Steppenstrolche“, einen den Gehweg fegenden Mitarbeiter einer Reinigungsfirma mit einem Schwungtuch zu fesseln, ins Haus zu zerren und tagelang unbemerkt als Erzieher im Bau-Raum schuften zu lassen.

Rechtskonformer ist die Idee eines der verarmten norddeutschen Bundesländer, Kinder im Vorschulalter einen „Krippi-Führerschein“ erwerben zu lassen, der sie zur Tätigkeit als Hilfserzieherlein in der Krippe berechtigt. Voraussetzung: ein mindestens Zweijähriger assistiert ihnen. Eine kleine Prüfung, die fröhlich-bunte „Ernennungsurkunde“ und ein Miniatur-Erzieherschreibtisch für die neuen U3-Pädagöglein können übrigens komplett aus Mitteln des Gute-Kita-Gesetzes finanziert werden, stellt die zuständige Ministerin in Aussicht.

November

Kitaleiter Trampe ist zurück. Der teils verschriene, teils bewunderte Pädagoge hat nach seinem Verschwinden – „wamiki“ berichtete – die Amtsgeschäfte in seinem Kindergarten urplötzlich wieder aufgenommen. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, erklärt er auf der Elternversammlung und fügt drohend hinzu: „Und Sie mir sowieso nichts!“

In den nächsten Tagen agiert Trampe wie gewohnt: Erst überrascht er den Ortsbürgermeister mit der Offerte, den S-Bahnhof und die City-Arkaden als Zusatzbauraum für 3.000 Euro Spielgeld kaufen zu wollen. Dann bietet er dem stets gehänselten Außenseiter August aus der Ameisengruppe an, ihn vor den rüden Vorschulkindern zu beschützen, falls August sich bereit erklärt, belastendes Material gegen seine Gruppenerzieherin Elke zu liefern.

Dezember

Weihnachten steht vor der Tür – und damit der mittlerweile traditionelle Vorweihnachts-Shitstorm, in dem die zünftigen AfD-Trolle wieder einmal den Untergang des christlichen Abendlandes anprangern, weil irgendeine Kita „Lichterfest“ oder „Laternenfest“ feiert. Erst nach Wochen aufgeregter TV-Diskussionen und BILD-Zeitungs-Berichte können einige Vorwürfe entkräftet werden:

Erstens hieß Berlin-Lichterfelde wirklich niemals Weihnachtsfelde.

Zweitens wurde der Dresdener Weihnachtsmarkt tatsächlich umbenannt. Aber das geschah schon um 1500, als man ihn anlässlich der Erfindung des Stollens Striezelmarkt nannte.

Drittens hatte PeKita-Leiter Rico Rätzsch aus Roitzsch tatsächlich die Bezeichnung „Weihnachtsfeier“ untersagt, aber damit wollte der des Gutmenschentums völlig unverdächtige Volkspädagoge lediglich dagegen protestieren, dass „von dieser aus dem Morgenland eingewanderten christlich-römischen Mischreligion ja unsere schöne germanische Jul-Weihe-Kultur verdrängt wurde“.

 

Illustration: Tasche