Pädagogik lebt von Ritualen, heißt es. Erzieher, Lehrer und *innen machen alles Mögliche, weil es nun mal derzeit üblich oder sogar vorgeschrieben ist. Egal, ob es Sinn hat oder nicht. Sinnvoll ist es aber auf jeden Fall, ab und zu auszumisten. Deswegen stellt diese Rubrik pädagogische Gewohnheiten aufs Tapet und fragt ganz ergebnisoffen: Ist das pädagogische Kunst, oder kann das weg?
Das Allerletzte gibt es sogar als PDF: allerletztes_#2_2023
Belohnungssystem
Allein das Wort regt mich schon auf! Dabei hat es eigentlich einen ernsthaften Hintergrund. Unter „Belohnungssystem“ versteht man ein neuronales System im Gehirn, das bei Anstrengungen großes Verlangen auslöst – und dann tiefe Befriedigung, wenn das Verlangte gewährt wird, zum Beispiel Zitronenbrause nach dem Marathonlauf in sengender Hitze…
Auch in Kindergärten, erst recht in Grundschulen, gibt es Belohnungssysteme. Ersehnte Brause aber gibt’s da nicht, sondern nur einen Smiley-Stempel für die Teilnahme am Bildungsangebot oder für Nicht-Toben in der Garderobe. Früher gab’s immerhin Heiligenbildchen.
Gerade der amtlich wirkende Stempel zeigt: Viele Belohnungssystem könnte man auch als Bestrafungssysteme titulieren. Wer sich keine Mühe gibt, kriegt zur Strafe keinen Stempel. Auch die Bildchen, Bienchen & Co vermitteln einen Grundsatz: Alle Kinder kriegen eine Belohnung – nur Heiner lobt keiner.
Solche Belohnungssysteme in der Pädagogik sind oft nur Versuche, Erwachsenenwillkür zu tarnen. Statt „So, du kriegst nix, hab ich entschieden“ ist für die fehlende Belohnung ein geheimnisvolles „System“ verantwortlich, dass in Wirklichkeit mit der PädagogIn identisch ist. So gesehen, lernen Kinder zwar, sich „an Regeln zu halten“, aber an ziemlich willkürlich festgelegte…
Genug geschimpft. Dass es toll ist, etwas Anstrengendes zu machen und sich danach was zu gönnen, verstehen Kinder hervorragend. Ganz ohne Stempelchen.
Foto: esmaqe / photocase.de