Pädagogik lebt von Ritualen, heißt es. Erzieher, Lehrer und *innen machen alles Mögliche, weil es nun mal derzeit üblich oder sogar vorgeschrieben ist. Egal, ob es Sinn hat oder nicht. Sinnvoll ist es aber auf jeden Fall, ab und zu auszumisten. Deswegen stellt diese Rubrik pädagogische Gewohnheiten aufs Tapet und fragt ganz ergebnisoffen: Ist das pädagogische Kunst, oder kann das weg?
Hier gibt es das Allerletzte als PDF: Termine_Allerletztes#3_2023
Klangschalen-Kitsch
Wäre es nicht schön, wenn Kinder nicht so wuselig, hibbelig, zerstritten oder chaotisch wären, wie sie sind? Sondern eher so wie Endfünfziger, wenn sie so wären, wie sie gerne wären: zutiefst gelassen, nach Harmonie strebend, ihr Ruhebedürfnis kennend, achtsam?
Diesen Gedanken illustriert die Klangschale. Sie begrüßt Kinder bei uns zum Morgenkreis. Und das geht so: Die Kinder setzen sich, ich schlage das Ding an, ganz sanft … und der wunderschöne Klang breitet sich im Raum aus: Pliiing…
„Hör doch mal zu! Spürt ihr nicht das sanfte Schwingen, bis der Ton verklingt? Und dann die Stille – ist das nicht herrlich?“ Aus meiner Erwachsenensicht schon irgendwie.
Kindern mag das so interessant vorkommen wie der Genuss einer besonders sensationellen Olivenpaste aus jener toskanischen Manufaktur, in der ihr uralter Besitzer immer noch… Oder wie der Besuch in jener romanischen Kapelle direkt neben der Manufaktur, in der schon Kaiser Bodo der Zwölfzigste weilte.
Nicht falsch verstehen: Klangschalen sind super, wenn man selbst draufschlagen und sie an die Stirn halten darf, um die Schwingungen zu spüren. Aber als Intro zum Versammeln sind sie auch nicht besser als der alte Elektro-Schulgong. Dem musste man wenigstens nicht andächtig lauschen. Die Klangschale hingegen gilt als erhaben, als eine Art säkularer Glockenton, den nur Ausgewählte auslösen dürfen. Dabei soll sie eigentlich nur sagen: Jetzt geht’s los.
Aber wie soll man sonst zum Kreis rufen? Na, heute mal mit der Stimme, ganz melodiös: „Wer hat Lust auf Mooorgeeenkreis?“ Morgen mit einer Pappkarton-Trommel: „Rummbummbumm!“ Und übermorgen mit Flüsterpropaganda: „Weitersagen, wir fangen jetzt an!“
Foto: Kristina Kokhanova / photocase.de