Sounds of Heimat

Ufftata, firallala! „Heimat“, das Thema dieser wamiki-Ausgabe, verdient es,
singend und schunkelnd erklaubt zu werden. Lasst uns Heimatlieder hören – und erfahren, wie wir zu dem kamen, was heute „Heimat“ heißt.

„Nun ade, du mein
lieb’ Heimatland“

So uralt uns der Begriff „Heimat“ vorkommen mag – mit der heute bekannten Bedeutung wird er erst seit 150 Jahren verwendet und besungen. Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnete der Begriff ganz prosaisch den Wohn- oder Geburtsort eines Menschen – von starken Emotionen keine Spur. Erst mit der Industrialisierung drückte der Deutsche mit „Heimat“ tiefe Verbundenheit zum Ort der eigenen Herkunft aus. Oft meinte er das ambivalent: Wird zunächst der Heimat mit „Gott weiß, zu dir steht stets mein Sinn“ gehuldigt, heißt es im nächsten Satz treulos: „Doch jetzt zur Ferne zieht’s mich hin: Lieb Heimatland, ade!“

„Dor is mine Heimat,
dor bün ick to Hus“

Um 1900 ehrte man artig das Vaterland, liebte die Heimat und pries sie in unendlich vielen Liedern. Keine Region ohne Heimatlied, schien die Devise gewesen zu sein, was zu plumpen Plagiaten führte: So dichtete die Vorpommerin Martha Müller-Grählert das oben zitierte Lied „Wo die Ostseewellen“, und kaum dass ein pfiffiger Schweizer die allseits bekannte Melodie komponiert hatte, benannte ein späterer Obernazidichter es in „Wo die Nordseewellen“ um und wird bis heute dafür gefeiert, während die Urheberin verarmte. Merke: Die richtige Menge Pathos macht das Heimatlied aus – der Inhalt ist quasi austauschbar.

„Heimat, deine Sterne…“

… tönte es ab 1941 in deutschen Lichtspielhäusern und Wehrmachtskinos fern der Heimat, wenn der Nazi-Film „Quax, der Bruchpilot“ gezeigt wurde. Ja, die Sterne: „Sie strahlen mir auch am fernen Ort. Was sie sagen, deute ich ja so gerne als der Liebe zärtliches Losungswort.“ Wie schon im ersten Weltkrieg diente der Heimat-Begriff als Motivator für Soldaten, die am Vaterland womöglich zweifelten, nicht aber an der Heimat, in der die Geliebte wartet, um den Einsatz zu belohnen. Das zitierte Lied legt allerdings die Schwächen des Konzeptes „Heimat“ offen: Die Sterne der Heimat blinken auch anderswo…

„Kehr ich einst zur Heimat wieder…“

In den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts erklang dieses Lied häufig in westdeutschen Mehrzweckhallen, wenn sich heimatvertriebene Schlesier versammelten, um Trost in den Worten „Wir seh’n uns wieder, mein Heimatland“ zu finden. Für die West-Gesellschaft war es keine leichte Aufgabe, all den Vertriebenen eine „neue Heimat“ zu bieten. Deshalb war Traditionspflege so heilig, dass niemand an braunen Wurzeln wie denen des besagten Liedes, das ab 1931 in zahllosen SA- und NSDAP-Liederbüchern zu finden war, Anstoß nahm. Typisch Westen? Nein, auch in der DDR übersah man düstere Herkünfte gern, wenn das Unschulds-Wort „Heimat“ erklang. Im vermeintlichen DDR-Weihnachtslied „Guten Abend, schön Abend“ geben „die Lichter am Kranze“ schon seit 1931 „der Heimat einen helllichten Schein“ – damals erdachte ein ultrarechter „Artalane“ den Text, um christliche Weihnachtslieder durch national-völkisches Brauchtum zu ersetzen. Wohl um die Herkunft zu verschleiern, sicherte sich das DDR-Vorzeige-Komponistenpaar Naumilkat nicht ganz korrekt die Urheberrechte für den Text.

„Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer…“

… beginnt ein 1951 vom besagten Herrn Naumilkat komponierter DDR-Evergreen. „Und wir lieben die Heimat, die schöne, und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört…“ So endet der Song und belegt – wie das Lied „Bau auf“ –, dass das Wort „Heimat“ als Synonym für „sozialistischer Staat“ eingesetzt wurde. Es ging um die Akzeptanz des neuen Systems und wohl auch um ein Gegengewicht zum Konzept der „Internationalität“.

„Wo ich die Liebe fand,
da liegt
mein Heimatland…“

…sang Freddy Quinn dem aus der Gefangenschaft heimgekehrten Landser in den 1950ern aus der geschundenen Seele. Doch die Sache mit der Heimat schien im westlichen Nachkriegsdeutschland bald langweilig zu werden – vielleicht, um die Kriegsschuld zu vergessen. Exotik war Trumpf. „Seemann, deine Heimat ist das Meer“, beneidet man um 1960 beruflich Fernreisende, verstand nicht, warum „zwei kleine Italiener“ von Napoli träumen und maulte 1975 gar: „Wir kennen in der Heimat jeden Strauch und jeden Baum.“ Da lag es nahe, sich mit „Paloma Blanka“ in die Ferne zu fantasieren, auf die viel versprechende Insel „Santa Maria“ oder nach „Mendocino“, während Mutti die Reisekataloge studierte und nach Schnäppchen fahndete.

„Lieder, so schön
wie die Heimat…“

… erklingen ab Mitte der 1980er Jahre und lassen Heimatgefühle wieder erwachen. Allerdings bietet der banale Text-Mix lediglich Postkarten-Poesie und wenig Stoff zum Träumen: „Grenzenlos weit wie das Meer… Lieder von Wiesen und Wäldern und den hohen Bergen ringsum her.“

„Keine Heimat“ hält zwar von West-Berlin aus dagegen. Aber die breite Masse hält sich an Kohls „blühende Landschaften“, mit denen das Aufwachsen zwischen Wendehammer und „Neue-Heimat“-Blocks – so hieß das gewerkschaftseigene Plattenbau-Unternehmen im Westen – nicht standhalten kann.

„Meine Heimat,
bei dir
muss ich sein!“

Wir nähern uns mit eiligen Schritten unserer zeitlichen Heimat, dem Jahr 2017 nämlich, in dem neue Heimatliedersänger wie Andreas Gabalier zusammenfassen, was eine gute Heimat ausmacht: „Da, wo reine Wasser fließen und wo Blumenwiesen sprießen…, wo’s im Winter schneit, in der koltn Jahreszeit… Wo man Freunde hat fürs Leben und uns uns’re Mädchen lieben. Weil sie wissen, was wir für Männer sind… Mein Ursprung, meine Wurzeln, mein Daheim. Meine Heimat, bei dir muss ich sein.“

Heimat – das ist in einer Zeit, in der die einen auf Retro-Chic stehen, die anderen hingegen die Welt ihrer Vor-68-Jugend zurückhaben wollen, eine Welt der Klarheit, ohne lästige Zwischentöne: Klar definierte Jahreszeiten, Geschlechterrollen und als Kitt ein bisschen Wurzel-Gesäusel. Die AfD-Leute wissen das und nehmen in ihrem Kampflied „Wir geben nicht auf“ kein Blatt vor den Mund: „Hier kommt die Wende, hier kommt euer sicheres Ende. Wir bringen das Glück in die Heimat zurück!“

Geben wir lieber Herbert Grönemeyer das Wort, der seiner trachten-, see- und meerfreien Heimat Bochum einst ein Lied widmete: „Ich komm aus dir“. In seinem „Heimatlied“ stellte er so lakonisch wie treffend fest: „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl!“

Foto: Nowyn / photocase.de

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

Einen Kommentar schreiben

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.