Yoga fürs Kita-Personal

Der Beruf ErzieherIn gibt uns unendlich viel: Dieser dankbare Blick aus Kinderaugen! Dieses liebevoll verpackte Wellness-Set mit den Teesorten „Hol dir Kraft“ und „Die Ruhe selbst“, für das jedes Elternpaar einen Euro beigesteuert hat! Diese herzliche Anerkennung durch den Träger, die man nicht mit Gold aufwiegen kann – schon gar nicht mit dem mickrigen Tabellengehalt der Gruppe E8a.

Trotzdem brauchen auch ErzieherInnen Zeit, um wieder zu sich zu kommen. wamiki, das Kümmer-­Magazin für geschundene PädagogInnenseelen, lädt hiermit zum gemeinsamen LeserInnen-Yoga ein!

Hier gibt es den Artikel als PDF: Yoga_Satire_#3_2023

 

Stell dir säuselnde Musik vor, zu der ein Plätschern ertönt. Und höre eine unglaublich zarte Stimme, die eindringlich zu dir spricht: Liegst du entspannt? Wir begeben uns jetzt auf eine Yoga-Reise für PädagogInnen. Wir atmen ganz ruhig und tief und denken an gar nichts – nicht einmal daran, Carlos Mutter unbedingt Bescheid sagen zu müssen, die 4 Euro für den Zooausflug bitte spätestens übermorgen mitzubringen.

Wir beginnen unsere Reise mit dem Begrüßungs­ritual, dem Sonnengruß. Unsere Sonne, die uns Kraft und Energie verschafft, könnte zum Beispiel die kleine Lydia sein. Spüren wir, wie sie uns anstrahlt.

Wir begrüßen jetzt die Kraftquelle, die die kleine Lydia erschaffen hat, nämlich ihre Mutter. Dafür nehmen wir die Position „Aufschauender Elterngruß“ ein: Wir deuten einen Buckel an, lächeln sanft und machen uns empfangsbereit für all die weisen Wünsche und unverbindlichen Ratschläge der großen Mutter der kleinen Lydia. Während wir den Wünschen nach besonderer Aufsicht über die mitgeführte Käthe-Kruse-Puppe heute beim auf maximal 34 Minuten begrenzten, aber verpflichtenden Mittagsschlaf lauschen, spüren wir nach, wie die Worte in unser rechtes Ohr hineinwandern – und aus dem linken wieder heraus. Nicht die Augenbrauen dabei heben!

Nun wechseln wir aus dieser aufschauenden Haltung in die „Große Verneigung“ vor dem Vater von Elias – „Eliasvataarschkriechasana“ genannt. Dabei machen wir unsere Arme ganz lang, bis zu den Zehenspitzen, und bücken uns, so tief wir können, denn Elias Vater ist Anwalt, mit dem Bürgermeister befreundet und noch dazu Elternvereins­vizevorsitzender. Wir atmen also tief ein und aus und versuchen, jedes negative Gefühl von uns abfallen zu lassen.

Langsam wechseln wir nun in die nächste Position. Wir sitzen, ziehen Knie und Oberschenkel eng an den Bauch, falten den ganzen Körper zusammen und atmen, auch wenn uns das schwerfällt. Schon sind wir in der Position der „Im-Stühlchen-klemmenden-Krippenerzieherin“.

Wer sich von dieser anfangs schmerzhaften Stellung erholen möchte, wechselt jetzt in die „Phlegmatische Praktikantin“: Dafür stellen wir uns in die Ecke des Raums und verschränken die Arme. Ganz fest machen wir uns, vermeiden jede Bewegung, atmen tief und immer tiefer, bis unser Atem den Weg in jede Fingerspitze findet, zu unseren prächtigen, teuren, durch Aktivitäten jeder Art gefährdeten Gelnägel­aufsätzen.

Jetzt folgen mehrere Positionen im schnellen Wechsel: Wir legen uns beim „Abgenutzten Bauteppich“ flach auf den Boden und stellen uns vor, wie Kaskaden von Bausteinen auf uns niederprasseln. Herausfordernder wird es bei der „Einzig anwesenden Angelika“, auch „Unruhig umherschauende Ulrike“ genannt: Mit kreisenden Kopfbewegungen versuchen wir, die Aktivitäten von 74 Kindern, deren Erzieherinnen heute verhindert sind, gleichzeitig zu erfassen. Als „Auskellende Essensaufsicht“ lassen wir nun einen Arm kreisen wie in schöpfender Bewegung und arbeiten danach besonders intensiv mit den Gesichtsmuskeln: Im „Verwunderten Topf­kucker“ öffnen wir die Augen weit, senken nach dem „Überspielten ­Appetito-Ekel“ – nicht die Stirn kräuseln, Würg­reflex unterdrücken! – die Brauen genießerisch und atmen mit einem Mantra die Luft aus: „Oooh, das sieht sooo guuut aus!“

Es folgen einige ruhigere Übungen: Wir liegen flach auf der weichen Matte und lassen in der Position der „Schluffi-Schlafwache“, auch „Fauler Paul“ genannt, unser Gewicht in den Boden sinken. Dazu summen wir erst das „Sandmännchen-Lied“ – nicht zu melodisch, bitte! – und geben dann unserem Schlafbedürfnis nach.

Noch wach? Dann folgt jetzt die „Wickelnde Verena“: Arme anheben, als trügen wir etwas sehr Schweres, komplett ausatmen, Luft anhalten, ein imaginäres weiches, warmes Geschenkpaket öffnen und Mutter Erde dafür danken, dass sich alles Leben im Kreislauf vollzieht – auch das der Pastinakensuppe.

Der nächste Übungskreis widmet sich der sogenannten „Teamsitzung“. Für die „Teilnahmslose Tabea“ sitzen wir still da und atmen unauffällig. Wenn ich sage: „Wer übernimmt morgen den Spätdienst?“, dann versuchen wir, unsere Gedanken auszuschalten und uns unsichtbar zu machen. Bei der Übung „Unabänderliche Personal­situation“ stöhnen wir tief, um dann kräftig die Schultern anzuspannen und sie kurz zucken zu lassen. Danach stoßen wir die eingesaugte Luft mit einem kräftigen „Pfff!“ aus und sprechen lautlos die folgende Affirmation: „Ich bin dankbar, dass ich mein Berufsfeld und seine schlechten Rahmenbedingungen immer besser akzeptieren kann.“

Zwei Übungen runden unsere Yoga-Stunde ab: Wer mag, legt sich bei der Position „Übliche Abholsituation“ flach auf den Boden, streckt die Arme lang aus und versucht, einen imaginären rechten Socken unter einem imaginären Spielpodest hervorzuziehen. Dabei kann das Entschuldigungsmantra helfen: „Ich akzeptiere den Wert jeder DM-Wollsocke wie meinen eigenen.“ Als Alternative empfiehlt sich die Position des „Klo-Schluss-Sitzes“: Im Sitzen Arme und Beine verschränken, ins Ferne meditieren und verharren, bis das sogenannte Feierabendglöckchen bimmelt.

Pling!

 

Foto: Markus Spiske / Photocase

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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