Zwölf auf einen Streich

NEUSTART für eine andere Politik
Was sich in den nächsten vier Jahren ändern muss

Noch nie in der jüngeren Geschichte war das Bewusstsein für die Systemrelevanz der Kitas größer – und noch nie waren die öffentlichen Ohrfeigen für die dort Beschäftigten schallender.1
Ist die politische Interessenvertretung des Berufsstands zu schwach, um sich ausreichend Gehör zu verschaffen? Warum gehen die Interessen der Beschäftigten (inkl. Kinder und Familien) unter?
Immer wieder und viel zu schnell?
Das fragten sich vor wenigen Monaten Erzieher*innen, Leitungen, Kinderpfleger*innen und gründeten in zwölf Bundesländern ihre eigenen Fachverbände. Weitere sind auf dem Weg dorthin.
Noch nie gab es in der Geschichte der eigenen Interessensvertretung diese versammelte Praxis-Power. Trägerunabhängig und länderübergreifend: Kitapraxis for future!

Im September 2021 legten die zwölf Verbände ihr erstes gemeinsames Positionspapier vor. Gerichtet an die Politik in Bund und Ländern in der neuen ­Legislaturperiode 2021–2025.

 

12

Forderungen
für eine gute
frühkindliche Bildung
und für eine
Stärkung der Arbeit der
pädagogischen
Fachkräfte

Die letzten Jahre haben eindrücklich gezeigt: Kitas sind gesellschaftlich sehr wichtige Bildungseinrichtungen. Deutlich wurde aber auch, dass Kita-Strukturen bestehen, die durch unzureichende Personalausstattung und nicht adäquate Räume gekennzeichnet sind. Zudem wurden auf politischer Ebene die Kindertagesstätten und insbesondere die pädagogischen Fachkräfte nicht ausreichend in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Es geht darum, diese Mängel in den nächsten Jahren zügig abzubauen.

Unterzeichnet von den Kita-Fachkräfteverbänden Baden-­Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen/Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen.

 

1

Den Personalschlüssel dringend verbessern

Gute Bildung und Betreuung von Kindern setzt voraus, dass ausreichend Personal zur Verfügung steht; gemäß der seit Jahren veröffentlichten Berichte der Bertelsmann Stiftung kann in den meisten Bundesländern keine kindgerechte Personalausstattung beobachtet werden. Es besteht deshalb dringender Handlungsbedarf für die Einführung eines bundeseinheitlichen Personalschlüssels gemäß der Sollvorgaben der Bertelsmann Stiftung und dementsprechend einer kindgerechten Fachkraft-Kind-Relation.2 Der erwartete Bedarf liegt dabei auf Basis des Kalkulationsjahres 2018 bei rd. 100.000 zusätzlichen pädagogischen Fachkräften.3

 

2

Pädagogisch sinnvolle Gruppengrößen festlegen

Viele Kinder auf zu engem Raum ist leider überwiegend die traurige Realität in Kitas. Bei 54 Prozent der Kitas findet sich – gemessen an den pädagogischen Standards – keine optimale Gruppengröße. Dabei ist bekannt, dass eine kleine Gruppengröße sich positiv auf die Entwicklungsbegleitung von Kindern sowie die Gesundheit von Kindern und Erzieher*innen auswirkt.4 Hier besteht neben der Erhöhung des Fachkraft-Kind-Schlüssels ein weiterer dringender Verbesserungsbedarf.

 

3

In den Ausbau und die Erhaltung von Kitas investieren

In den Kindertagesstätten muss jedem Kind der Raum zur Verfügung stehen, den es für seine individuelle Entwicklung benötigt. Es bedarf deshalb weiterhin einer Investitionsoffensive für Neubauten und Sanierungen. Ferner bedarf es Regelungen, dass Neu- und Ausbau von Kindertagesstätten prioritär bei der Stadtplanung berücksichtigt werden, auch unter Beachtung einer ausreichenden Außenfläche.

Die technische Ausstattung der Kitas ist oft mangelhaft. In jeder Kita müssen ausreichend Laptops zur Vorbereitung, zur digitalen Kommunikation, für Dokumentationsarbeiten und als pädagogisches Medium vorhanden sein.

 

4

Fachkräfte- und Ausbildungsoffensive starten

Der Fachkräftemangel betrifft die frühkindliche Bildung erheblich und nimmt stetig zu. Die Ausbildungsmodalitäten müssen attraktiver und endlich eine umfassende Fachkräfteoffensive gestartet werden. In vielen Bundesländern müssen die Ausbildungskapazitäten umfassend ausgebaut, vereinheitlicht und das Qualifikationsniveau mindestens beibehalten werden. Die Ausbildung muss kostenlos sein und den Auszubildenden und Studierenden eine Ausbildungsvergütung gewährt werden. Obligatorisch sollte die Bezahlung und Freistellung von Funktionsstellen, wie zum Beispiel Praxisanleitungen sein.

 

5

Die Arbeit attraktiv vergüten

Trotz der Anpassung der Gehälter von pädagogischen Fachkräften liegen die Gehälter weiterhin 15 bis 20 Prozent unter dem Durchschnitt der bundesdeutschen Verdienste.5 Für die später zu erwartende Rente bedeutet dies, dass selbst nach 40 Jahren Vollzeitbeschäftigung Altersarmut droht.

Um das Berufsfeld attraktiver zu gestalten, bedarf es einer angemessenen Bezahlung, die die Qualifikation ebenso berücksichtigt wie Aufstiegschancen durch Funktionsstellen. Zudem darf es nicht zu Rückstufungen bei einem Stellenwechsel oder bei schwankenden Belegungszahlen („Flexverträge“) kommen.

 

6

Leitung und Träger besser unterstützen

Um überall eine qualitativ gleiche Bildungs- und Betreuungssituation herzustellen, bedarf es auch eines Ausbaus an Leitungsstellen (Vollzeit) – dies entspricht rd. 20 Tsd. Leitungsstellen gem. Bertelsmann Stiftung (2018). Um gleiche hochwertige Grundvoraussetzungen zu schaffen, sollte eine ausschließliche Leitungstätigkeit von 20 Wochenstunden pro Kita, zzgl. 0,35 Wochenstunden pro ganztagsbetreutem Kind festgelegt werden; zudem sollte eine verpflichtende Stellvertretung vorgesehen werden. Außerdem sollen Trägervertreter in Personalführung, Kommunikation und Kita-Qualität geschult werden und durch Auffrischungskurse die Trägerqualität dauerhaft gesichert werden. Träger müssen verpflichtend mit pädagogischen Fachberatungen zusammenarbeiten, um die aktuellen rechtlichen Gegebenheiten sowie die Qualität zu gewährleisten.

7

Teamentwicklung und regelmäßig Fortbildung ermöglichen

Durch fehlende Vertretungskräfte und niedrige Fortbildungsbudgets finden Fort- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften oftmals nicht ausreichend statt. Hier braucht es mehr zeitliche und finanzielle Ressourcen für qualitativ hochwertige Fort- und Weiterbildung, für Teambildung, Coaching und Supervision.

 

8

Gesundheit schützen

Pädagogische Fachkräfte gehören zu den Berufsgruppen, die am stärksten von Covid-196 betroffen sind. Es ist außerdem seit langem bekannt, dass pädagogisches Fachpersonal verstärkt unter psychischen Beeinträchtigungen, Atemwegs- sowie Muskel- und Skeletterkrankungen7 leidet. Deshalb müssen Gesundheitsförderungsprogramme der Berufsgenossenschaften und Krankenkassen sowie der Förderung von gesundheitsgerechten Arbeitsbedingungen zukünftig mehr Aufmerksamkeit in Kitas gewidmet werden. Finanzielle Mittel sind ebenso bereitzustellen, wie es verpflichtender gesundheitlicher Vorgaben – zum Beispiel zum Lärmschutz oder rückengerechtem Arbeiten – bedarf. Die Kooperation mit Gesundheitseinrichtungen (Gesundheitsämtern, Sozialpädiatrische Zentren, etc.) und Kinderärzten muss deutlich verbessert werden. Hier wäre es wünschenswert, wenn Gesundheitsfachkräfte als Ansprechpartner*innen zum Beispiel in den Gesundheitsämtern oder in den Sozialpädiatrischen Zentren zur Verfügung stehen könnten.

 

9

Aus der Coronakrise lernen – sicher in den Herbst/Winter 2021/22

Für den Herbst/Winter 2021/22 ist es notwendig, alle Kitas mit Raumluftfiltern auszustatten und regelmäßig PCR-Lollipooltests o. ä. neben den bereits üblichen AHA-Regeln in allen Kitas einzuführen. Außerdem sollten pädagogische Fachkräfte für die Auffrischungsimpfung aufgrund ihres hohen arbeitsbedingten SARSCoV-2-Expositionsrisikos weiterhin eine „hohe Priorität“ bei einer Impfung haben. Die Einberufung einer Pandemie-Force für den Kitabereich unter Einbeziehung von Kommunen, Trägern und Kita-Leitungen auf Bundesebene ist erforderlich, damit deutschlandweite durchführbare Regelungen getroffen werden können.

 

10

Beschäftigte in politische Entscheidungsprozesse nachhaltig einbeziehen

Rund 650.000 pädagogische Fachkräfte arbeiten in Kindertagesstätten und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe in Deutschland. Die Berufsverbände der pädagogischen Fachkräfte haben sich deutschlandweit gegründet, um die gesellschaftliche Wahrnehmung und Interessen dieser großen und bedeutenden Berufsgruppe über die gewerkschaftliche Arbeit hinaus auch politisch stärker in den Vordergrund zu rücken. In Anhörungen und Ausschüssen werden überwiegend Vertreter*innen von Trägerverbänden und Elterninitiativen beteiligt. Die Landesverbände der pädagogischen Fachkräfte in Kitas erwarten, dass Interessenvertretungen (neben den Gewerkschaften auch die Fachkräfteverbände) der Beschäftigten in den politischen Gremien umfassend beteiligt werden.

 

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Kinderarmut und Ungleichheit bekämpfen

Die Finanzierung und damit Ausstattung von Kitas in den Bundesländern und Gemeinden ist zum Teil sehr unterschiedlich. Daraus ergeben sich ungleiche Bildungs- und Entwicklungschancen für die Kinder. Dabei sind die Kitas als frühe Bildungseinrichtungen bestens dafür geeignet, ungleiche Bildungschancen zumindest zu vermindern. Hier bedarf es einer besonderen Förderung, u. a. von Sprachförderungen, die nur mit einer guten Ausstattung in allen Bundesländern unabhängig von den wirtschaftlichen Bedingungen erfolgreich umgesetzt werden können. Wichtig ist außerdem, dass ein einfacher, kostenfreier und bedarfsgerechter Zugang für Kinder aus sog. bildungsfernen Schichten gewährleistet wird.

 

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Frühe Bildung in hoher Qualität als gemeinsame Finanzierungsaufgabe von Bund und Ländern verankern

Gute Bildung kostet Geld. Die Analyse der Bertelsmann Stiftung verdeutlicht, dass die Personalausstattung in vielen Bundesländern insgesamt mangelhaft ist und diese zudem im Vergleich der Bundesländer sehr unterschiedlich ausfällt. Um sowohl die Qualität zu verbessern als auch gleiche Verhältnisse zwischen den Bundesländern in der Betreuung der Kinder herzustellen, bedarf es dringend einer gemeinsamen finanziellen Kraftanstrengung von Bund und Ländern. Die bereitzustellenden Finanzmittel sind im Gegensatz zum sog. „Gute-KiTa-Gesetz“ ausschließlich für eine qualitative Verbesserung der Betreuung und Bildung, insbesondere für die Verbesserung des Personalschlüssels, zu verwenden.

 

 

1 Vergleiche: Stefan Spieker in Welt des Kindes, Heft 3/2021

2 Im Unterschied zum Personalschlüssel berücksichtigt die Fachkraft-Kind-Relation die reale Betreuungssituation der Kinder in der Kita unter Berücksichtigung von Krankheitszeiten, mittelbare Arbeit etc.; aufgrund fehlender statistischer Ermittlung ist die Fachkraft-Kind-Relation allerdings nicht bekannt. Der gegenwärtige Ansatz zur Ermittlung eines geeigneten Personalschlüssels beinhaltet 25 Prozent mittelbare Arbeitszeit.

3 In ihrem aktuellem Bericht geht die Bertelsmann Stiftung ebenfalls davon aus, dass der Fachkräftebedarf in Höhe von 100.000 Fachkräften ohne weitere Maßnahmen 2030 noch bestehen wird. (Bertelsmann Stiftung (2021): Fachkräfteradar für KiTa und Grundschule 2021, Gütersloh, im Internet: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/fachkraefte-radar-fuer-kita-und-grundschule-2021-all)

4 Viernickel et al (2015)

5 Destatis (2020): Verdienste und Arbeitskosten, Fachserie 16, Reihe 2.3, Wiesbaden

6 WIdO (2021): Ein Jahr Covid-19-bedingte Fehlzeiten am Arbeitsplatz: Jeder zwölfte betroffene Beschäftigte musste stationär behandelt werden, Pressemitteilung v. 22.04.2021, Berlin, im Internet: https://www.wido.de/fileadmin/Dateien/Dokumente/News/Pressemitteilungen/2021/wido_pra_pm_ein_jahr_covidbedingte_fehlzeiten_0421.pdf

7 DGUV (o. J.), Gesundheit von Erzieherinnen und Erziehern, im Internet: https://www.dguv.de/fb-bildungseinrichtungen/kita/gesundheit-erzieher/index.jsp

 

 

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