Leserin Nancy Laschek stellt Fragen

Wenn das Kita-Gelände keinen Zaun hätte: Wie viele Kinder würden dann bleiben?

Wenn es keinen Fachkräfte-Mangel gäbe: Wie viele Kolleg*innen (inklusive dir selbst) hätten dann noch ihren Job?

Wenn es keinen Mangel an Betreuungs-Plätzen gäbe: Wie viele Familien würden die Einrichtung wechseln?

Was fällt dir schwerer: Gehen oder gehen lassen?

Was kostet mehr Kraft: Gehen oder Bleiben?

Kriegen wir noch Gehalt oder schon Schmerzensgeld?

Beruf, Berufung oder doch nur Helfersyndrom?

Wenn du jetzt aussteigen würdest: Was würdest du vermissen? Das Kinderlachen? Das Machtgefühl? Die festen Arbeitszeiten? …?

Zu wie viel Prozent gefällt dir, was du tust?

An wie vielen Arbeitstagen in der Woche denkst du dir „Hätte ich nur Holzbearbeitung gelernt“?

Was haben dein jetziger Beruf und dein Traumberuf gemeinsam?

Gute Frage II

Wie war es, Kind in Papas Kindergartengruppe zu sein?

Josek Hilliges, Kita-Leiter in Berlin-Wedding:

Hier gibts den Artikel als PDF: gute Frage_#6_2020

Als Kind habe ich mich sehr wohl in Papas Kindergartengruppe gefühlt. Er hat mich nicht bevorzugt, er war eher ein bisschen strenger zu mir. Das ist damals den meisten Kindern in meiner Gruppe gar nicht aufgefallen. Mir schon. Als mein Papa die Kita wechselte, wechselte ich mit. Auch in der neuen Kita wurde ich von ihm aufgefangen.

Heute sehe ich diese Zeit kritischer. Ich vermute, dass Kinder ähnlich wie beim Spracherwerb Resilienz frühzeitig leichter lernen als später. Den Umgang mit größeren Umbrüchen lernte ich erst später in der Schule und im Berufsleben. Es fiel mir anfangs in der Klasse sehr viel schwerer als anderen, Veränderungen als Chance zu sehen.

Deshalb möchte ich heute nicht der Bezugserzieher für mein Kind in der Kita sein. Damit mein Kind frühzeitig seine eigenen Erfahrungen im Umgang mit neuen Menschen, neuen Situationen sammeln und diese als Bereicherung erleben kann.

Foto: behrchen/photocase.de

 

Gute Frage I

Hier gibts den Artikel als PDF: gute Frage_#6_2020

Wie sage ich Eltern ab, wenn ich ­vermute, dass sie nicht zur Kita passen?

Marie Sander, Leiterin der Kita St. Thomas in Berlin-Kreuzberg:

Mal davon abgesehen, dass ich niemandem absagen, sondern nur zusagen muss, weil es so viele Eltern gibt, die Kita-Plätze suchen – ob jemand zu uns passt oder nicht, das weiß ich erst wirklich, wenn die- oder derjenige da ist.

Wir sind bestimmt eine gute Kita, aber wir passen nicht zu jeder Familie oder zu dem, was sie braucht. Und nicht jede Familie passt zu uns. Das heißt nicht, dass jemand nicht okay ist, sondern: Es passt einfach nicht. Diese Aussage kann man auch leichter akzeptieren.

Zwar gibt es Familien, deren Ansprüche anders sind als unsere, aber wenn ihre Kinder erst mal bei uns sind, dann kündige ich ihnen doch nicht. Schwierig wird es, wenn Eltern versuchen, das Konzept zu ändern und wir der Meinung sind, das ist nicht berechtigt. Ich denke da zum Beispiel an die Diskussionen über Zucker und Ernährungsfragen. Wir finden unser Konzept gut, verteidigen es, lassen uns nicht reinreden, versuchen aber, berechtigte Kritik wahrzunehmen, was nicht so leicht ist.

Im Laufe der Zeit schleppten wir etliche Familien durch, bei denen wir das Gefühl hatten, dass die Eltern mit unserem Konzept nicht einverstanden waren. Interessanterweise waren das oft Leute, die später, als sie die Schule kennen gelernt hatten, zu uns kamen und sagten: „Bei euch war es so toll.“ Da fand ich: Wahrscheinlich hatten sie gar kein Problem mit unserem Konzept, sondern irgendein anderes Problem.

Foto: suze/ photocase.de

Was tun, wenn Kita-Nachbarn klagen?

Heidrun Mildner, Leiterin im Hamburger Kinderhaus Osteresch:

Vor neun Jahren kam ich als Leiterin ins Kinderhaus Osteresch, das in einem reinen Wohngebiet liegt. Das Ehepaar auf der einen Seite war freundlich und unkompliziert, aber die alte Dame auf der anderen Seite war mit dem Kinderhaus aneinandergeraten. In der Korrespondenz hatte ich gesehen, dass es in der Vergangenheit schon Anwaltsdrohungen gab. Gute Kommunikation war nicht mehr möglich.

Weil sich meine eigene Wohnung auch neben einer Kita befindet und ich den Lärm manchmal sehr nervig finde, hatte ich Verständnis, dass eine Kita in der Nachbarschaft als störend empfunden werden kann. Kita-Lärm ist anstrengend, ganz besonders, wenn man den ganzen Tag zu Hause ist. Und unsere Nachbarn auf beiden Seiten sind schon lange in Rente.

Mein Vorteil: Ich war die neue Leiterin, die Nachbarn kannten mich nicht. Also besuchte ich sie, stellte mich vor und ging dazu über, als Dankeschön für das Ertragen der Kita-Nachbarschaft zum Frühlingsanfang mal einen Blumenstrauß zu überreichen, eine schöne Kerze zu Weihnachten oder eine Kleinigkeit zum Geburtstag. Außerdem nahm ich mir Zeit, ging ein Mal im Monat für eine halbe Stunde zu den Nachbarn auf der einen und auf der anderen Seite, trank Kaffee mit ihnen und lud sie zum Sommerfest in der Kita ein. Als die ältere Dame ihre Töchter besuchte, aß ihr Mann bei uns zu Mittag. So versuchen wir, auch etwas zu geben, weil wir wissen: Kita ist für Nachbarn nicht immer schön. Wir machen uns zwar Gedanken über unsere Außenwirkung und überlegen, wie wir uns in unserem Flyer oder in der Presse darstellen, aber der direkte Kontakt mit den Nachbarn wird manchmal vergessen.

Noch ein Beispiel: Als ich anfing, lag unsere Garten-Werkstatt am Zaun zur Nachbarin. Bei schönem Wetter den ganzen Tag Gehämmer – dieses Angebot für die Kinder war eine Zumutung. Der Blick auf die Kinder hatte den Blick auf die Nachbarin versperrt. So eine Werkstatt gehört ins Haus, oder die Kinder werken am Wochenende mal mit den Großeltern, mit Mama oder Papa. Die Werkstatt haben wir abgebaut, und die Kinder haben verstanden, warum.

Nach dem Mittagessen dürfen die Kinder natürlich im Garten sein, rennen, sich unterhalten und spielen, aber nicht lärmen: „Ihr wisst, dass die Kleinen in der Krippe jetzt schlafen und die Nachbarn auch. Bitte seid etwas leiser.“ Danach richten sich die Kinder. Und wenn sie es im Spiel mal vergessen, erinnern wir sie daran. Das hat auch mit Respekt zu tun, mit der Achtung unterschiedlicher Bedürfnisse. Natürlich auf beiden Seiten. Auch der Nachbarin erkläre ich, wo wir ihr entgegenkommen können und wo nicht – aus diesen oder jenen Gründen. Weil sie erlebt hat, dass wir ihr etwas zuliebe tun, tut sie mittlerweile auch uns etwas zuliebe.

So wurde in neun Jahren aus einer nervigen Kita ein Kinderhaus mit einer Geräuschkulisse, die die Nachbarin nicht nur ertragen kann, sondern inzwischen mag. Als ich sie neulich traf, sagte sie: „Nein, ihr stört mich gar nicht. Es ist doch schön, die Kinder zu hören.“

Ich finde, das sollte Normalität in einer Kita sein: Sich Gedanken über den Umgang mit Menschen zu machen – seien sie jung oder alt. Sich zu fragen: Wie möchte ich behandelt werden? Wie behandle ich andere Menschen? Und Diversität hört am Gartenzaun nicht auf.

Foto: ethan sexton/unsplash