„Wir lieben Kinder und Familien!“

Ein Besuch auf den Seiten des Kinder- und Jugendmarketings

Viele Pädagogen sehnen sich danach, Kinder zu prägen, und hoffen im Stillen, lebenslang in Erinnerung zu bleiben. Das können andere Leute viel besser – die Kinder- und Jugendmarketingprofis nämlich. Sie bestimmen, so meine These, die Entwicklung von Kindern stärker mit, als es uns Pädagogen und Eltern bewusst ist. Gut, dass sie im Netz freimütig – und nur an manchen Stellen ein wenig verhalten – berichten, wie sie das tun. Solche Netzfunde habe ich gesammelt und geordnet, auf dass die Leserschaft sich ein Bild mache: Wie und wo spricht das Kindermarketing Kinder an?


Wann sollte ich mit dem Kindermarketing beginnen? So früh wie möglich: „Je früher Marketingpräferenzen entstehen, desto stabiler und länger wird die Beziehung zu einer Marke oder einem Produkt anhalten.“ Ok.
Wie komme ich an kleine Kinder heran, um ihnen Markenprodukte und deren Vorteile zu präsentieren? Ich mache „Werbung in Kindergärten – denn die Kleinen entscheiden mit. Sie haben Mitspracherecht beim Kauf von Produkten und Lebensmitteln im Supermarkt, bei der Auswahl von Einrichtungsgegenständen oder der eigenen Kleidung.“ Ach so, ich kann in der Kita Produkte vorstellen, die zu kaufen Kinder dann ihre Eltern zwingen? Na klar, denn: „Schon längst sind Kinder die heimlichen Oberhäupter in ihren Familien und bestimmen, wo es lang geht!“

Aber wie werbe ich im Kindergarten? „Ob Malbücher, Zahnbürsten, Comics oder Backzutaten: Kindergartenmarketing mit edukativem Charakter lässt sich bestens in den Kindergartenalltag integrieren.“ Wie bitte? Edukative Backzutaten? Macht Dr. Oetker neuerdings Zupfkuchen-Projekte? Wahrscheinlich, denn er weiß, Kinder „sind besonders empfänglich für Informationen und Inhalte, die in spannende und aufregende Aufgaben und Aktionen eingearbeitet sind“. Aber immer schön aufpassen: „Durch die Organisation und Betreuung von projektbezogenen Erlebnistagen erreichen wir die junge Zielgruppe überzeugend, ohne einen werblichen Eindruck zu hinterlassen.“

Checken denn die pädagogischen Fachkräfte nichts? „Erzieher, die zwar pädagogisches, nicht aber betriebswirtschaftliches und organisationsgesteuertes Knowhow besitzen, unterstützen wir durch die Einführung von medialen Partnerschaften.“ Aha, verstehe: Du zwar lieb, aber nix gutes Projekt hinkrieg. Wir von Puddingfabrik dir helfen: „Gemeinsam entwickeln wir Informations- und Aufklärungsplakate für Eltern und beraten sie bei der Organisation von internen und externen Veranstaltungen in ihrem Kindergarten oder der Kindertagesstätte.“ Vielleicht so: Liebe Eltern, herzlich willkommen zum Elternabend powered by Kaufhalle, hier in unserem gemütlichen Zewawischundweg-Raum!

Na gut, in der Kita mag das klappen – schon angesichts des Personalmangels. Aber in der altehrwürdigen Schule ist das unmöglich, oder? Denkste! „Werbung an Grundschulen ist möglich, wenn man die gesetzlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt und vor allem immer den pädagogischen Nutzwert für die Schülerinnen und Schüler im Auge behält.“ Außerdem: „Mittlerweile verfügen selbst junge Schüler zwischen 6 und 7 Jahren immer noch über mehrere hundert Euro Sparvermögen.“ Allein an der Grundschule gibt es laut Agenturseite 2 708 752 potenzielle Sparbuchbesitzer.
Und worin besteht der besagte pädagogische Nutzwert? Zum Beispiel in fix und fertig gelieferten Unterrichtseinheiten, die „Lehrer/innen entlasten und bereichern mit lehrplankonformem, hochwertigem Unterrichtsmaterial zum Thema Hör- und Sprachkompetenz“. Worum geht es genau? Zum Beispiel darum, „das Image der Serie ‚Fünf Freunde‘ und die Stärken des ‚Kulturguts‘ Hörspiel als edukatives Instrument in den Fokus zu rücken“. Pfiffige Idee, wenn auch etwas abgehoben formuliert. Überzeugender wirkt: Kinder, heute möchte ich mit euch das Kulturgut Paprika-Chips mit drei tollen Geschmäckern besprechen. Jemand Bock auf Pombär?

Auch außerhalb des Unterrichts ist die Zielgruppe Kind gut erreichbar. „Grundschüler lieben bunte Farben, tolle Muster und lustige Testimonials.“ Hä? Was ist das denn? Egal, weiter: „Nutzen Sie dieses Wissen und versuchen Sie, kreativ zu sein. Malhefte bieten sich in Grundschulen besonders an, da eine Interaktion erfolgt, das Produkt mit nach Hause genommen wird und die Schüler sich über einen längeren Zeitraum damit beschäftigen.“ Klingt klebrig. Gut, dass die gleiche Agentur zwei Absätze zuvor erklärte: „Es wäre moralisch also kaum zu vertreten, diesen Kindern auch noch Produkte anpreisen zu wollen. Tipp: Versuchen Sie den Weg lieber direkt über die Eltern als Influencer.“

Und wie kommt man an die werte Elternschaft heran? Zum Beispiel durch Veranstaltungen wie „Schulrocktour, Wissensquiz oder eine Roadshow“. Da bleibt nicht nur bei den Kids was hängen: „Ihre Werbebotschaft wird dank unserer maßgeschneiderten Konzeption spielerisch von den Schülern aufgenommen. Event und Botschaft bleiben fest und positiv im Gedächtnis verankert“, auch bei den Erwachsenen: „Hier wird Kindern etwas geboten, und Eltern erfahren sogar eine Entlastung. So können sich Unternehmen über die Wertschätzung der Kinder positiv bei den Eltern präsentieren und emotionale Verbindungen auch in ansonsten sehr sachlichen Umfeldern aufbauen.“ Donnerlittchen!

Aber womit kriegt man die Eltern am besten? Zunächst, indem man sie anflirtet: „Wir lieben Kinder und Familien!“ Das wirkt wie Balsam auf die Seelen von Muttis und Vatis, „verächtlich Helikopter-Eltern“ genannt, weil sie sich so intensiv bemühen, „ihren Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Sie sind stolz auf ihre Kinder, manchmal aber auch unsicher in Erziehungsfragen und durch Beruf und Familie stark belastet.“ Gerade darum „freuen sich die meisten Eltern, wenn ihren Kindern Wertschätzung entgegengebracht wird, zum Beispiel durch ein kleines Geschenk, durch Aktionen und Kinder- oder Familien-Events, Sponsoring von Schul- oder Vereinsaktivitäten oder ähnliches.“ Zusätzlich brauchen sie Beratung – durch die lieben Kleinen selbst. „Insbesondere in Technik- und Modefragen sind sie ihren Eltern oft voraus und werden als Berater geschätzt.“ Gut, dass das Marketing diese Nachwuchsberater vorab schult.

Das hört auch nicht auf, wenn die Kinder groß werden – ganz im Gegenteil: „Die Jugendphase dehnt sich nach vorn und hinten aus, Grundschulkinder wie auch Erwachsene orientieren sich an den Teenagern und Young Adults, die in so vielen Bereichen voraus sind, neue Technologien scheinbar spielerisch beherrschen, Geschmack und Stil nicht nur ihrer Generation, sondern der gesamten Gesellschaft prägen.“ Oder, ein Fingerzeig für CDU-Innenminister: „Jugendlichkeit hat sich von der Zwischenphase zur Leitkultur der Gesellschaft entwickelt.“
Was gehört zur Jugendlichkeit? Zum Beispiel gute Freunde, deren Namen ältere Herrschaften zusammenzucken lässt: die Influencer. „Mit YouTube ziehen diese Influencer nun auch direkt in die Zimmer der Jugendlichen ein.“
Was machen sie da? „Insbesondere für junge Nutzer bringen Influencer neben Authentizität und Glaubwürdigkeit viel Inspiration für neue Marken und Produkte in den Werbemix.“ Das geht so: „Mit sehr durchdachten und klugen Kampagnen und Themen schaffen es Unternehmen, Jugendliche für ihre Produkte zu begeistern. Dabei dienen Produkt-Tests oder das sogenannte Product-Placement als wichtige Hilfsmittel. Jugendliche werden gezielt mit Informationen zu den Produkten versorgt und erkennen diese Werbung manchmal nicht.“
Ist das nicht verboten? Ja, das wissen die Profis natürlich und warnen deshalb: „Schleichwerbung ist ein großes Problem in den digitalen Medien und wird von seriösen Agenturen auch nicht eingesetzt.“ Viel wichtiger ist nämlich Folgendes: „Die Nutzer schätzen vor allem das Gefühl, durch Influencer persönlich angesprochen zu werden (29 Prozent). Ferner wurden die überzeugenden Erklärungen der Vor- und Nachteile (28 Prozent) genannt sowie, durch ihre Empfehlungen leichter entscheiden zu können (28 Prozent).“

Wehe mir, seufzt da der Oldie, der sich Sneaker und HotPants mühsam über den welken Leib zerrt, weil er auch zur Leitkultur gehören möchte: Nimmt mich das Marketing überhaupt noch wahr?
Keine Angst, es hat sogar einen schönen Namen parat: „Als ‚Silver Ager‘ oder ‚Grampies‘ (growing retired active moneyed people in an excellent state) wurde die Generation 50+“ vor rund zehn Jahren als neue Zielgruppe der Werbetreibenden identifiziert. Sie gilt als „einkommensstark und markenaffin, konsum- und lebenserfahren.“ Na, bitte!
„Für das Kinder- und Familienmarketing sind die über 50-Jährigen noch aus einem anderen Grund relevant.“ Sie sind nämlich „Schenker“, „Ermöglicher“ oder „Verwöhner“. Und: „Für die Großeltern bedeuten Kinder nicht Alltag, sondern Auszeit. In dieser Auszeit schaffen sie eine eigene Welt mit kleinen und großen Geschenken. Das Beste ist für sie gerade gut genug, gerne darf dann preislich upgegradet werden.“ „Preislich upgraden“ – das ist reine Werbepoesie!

Was sagen eigentlich die Kinder dazu? Geben wir Oskar, 12 Jahre, das Wort, der als Berater-Kid in der Imagebroschüre einer Marketingfirma zitiert wird: „Aber in der Werbung sieht man immer die neuesten Sachen, die man vorher noch nicht kannte, und man wird echt gut informiert. Das ist ein bisschen so wie Nachrichten. Dann weiß ich, was es in der Kinderwelt Neues gibt. Und es ist gut, wenn man was Neues entdeckt, dann kann man sich freuen und hoffen, dass man genug Geld hat.“
Danke, Oskar. Das war ein schönes Schlusswort.

Anmerkung:
Alle in Anführungszeichen gesetzten Sätze und Satzteile sind Webseiten von Kinder- und Jugendmarketingagenturen entnommen. (Micha Fink)

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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