Brauchen Kindergartenkinder digitale Medien?

In dieser Rubrik diskutiert Micha Fink mit sich selbst – mit offenem Ausgang.
Wer recht hat, entscheidet der Leser. Oder die Leserin.
Die Redaktion interessiert sich für Meinungen und Erfahrungen — Stichwort: Micha vs Achim

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micha

Reichlich spät, diese Frage – nach 25 Heftseiten.

Ja, kleine Kinder haben wie große Kinder das Recht, die Dinge kennenzulernen und zu nutzen, die für das Leben der Älteren selbstverständlich sind. Es sollte uns ein pädagogischer Grundsatz sein, Kindern die ganze Welt zugänglich zu machen – statt ihnen immer nur den Teil zu zeigen, der uns in den Kram passt.

Allerdings gibt es Ausnahmen wie Autofahren, Alkohol oder Kaffee, aber im Unterschied zur Digital-Welt handelt es sich dabei um unüberwindliche Risiken für die Kinder. Gefahren liegen auch im Umgang mit Netz und Bits, doch man kann sie verringern, wenn man Kinder von klein auf dabei begleitet – genau wie beim Umgang mit Messer, Gabel, Schere und Licht. Auch für digitale Medien gilt: Man kann herrlich kreative Dinge damit machen, wenn man den richtigen Umgang gezeigt bekommt. Also: Lasst die Kinder ran ans Digitale!

  achim

„Brauchen Kindergartenkinder…“ Schon der Satz­anfang legt das Problem offen. Etwas brauchen heißt, ohne das jeweilig Gebrauchte ein unerfülltes Bedürfnis zu spüren. Man braucht was zu essen, wenn man Hunger hat.Vermissten Kinder digitale Medien bisher? Vermissten sie es, im Netz zu surfen, Online-Games zu spielen oder Roboter per App zu steuern? Wohl kaum. Nur weil es solche Dinge gibt – und es werden immer neue digitale Erfindungen auf den Markt gebracht –, müssen wir uns nicht einreden, wir oder die Kinder würden all das „brauchen“. Auch das Argument, man müsse Kindern Erfahrungen mit den Dingen ermöglichen, die nun einmal zum Leben gehören, kann man in Frage stellen. Ein Beispiel: Immer wieder äußern Pädagogen, Kinder müssten wissen, wie das Internet funktioniert und wer dahintersteckt, damit sie verstehen, dass es von Menschen gemacht ist und nicht alles, was sie im Netz finden, hundertprozentig stimmt. Klingt toll. Aber warum fordert niemand, mit Kindern Projekte zum Thema „Verlagswesen“ zu inszenieren, auf dass sie verstehen, wie Bücher und Zeitschriften gemacht werden? Ich glaube, dass wir Kindern Internet & Co. unbedingt vermitteln wollen, weil das für uns Neuland war. Für die Kinder ist es Altland. Offenbar lernen sie sowieso, wie das Zeug funktioniert. Warum damit Zeit verplempern, statt zu spielen?

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Spielzeug- und Medienschund – für Kinder ungesund?

In dieser Rubrik diskutiert Micha Fink mit sich selbst – mit offenem Ausgang.
Wer recht hat, entscheidet der Leser. Oder die Leserin.
Die Redaktion interessiert sich für Meinungen und Erfahrungen — Stichwort: Micha vs Achim

micha

Sexistische Barbiepuppen, gewaltverherrlichende Star-Wars-Figuren, dumpfe Disney-Moral oder albernes Casting-Show-Gezappel: Medialer Schund und Spielzeugindustrie-Müll dringen mehr denn je in ­Kinderzimmer, Gruppenraum oder Schulhof. „Gehört heute halt dazu, sich damit auseinanderzusetzen“, sagen manche achselzuckend. Wie bitte? Ist es ein Naturgesetz, sich mit Produkten zu befassen, die sich gewissen- und niveaulose Produzenten erdenken, um Geld damit zu machen?
Zugegeben, ich komme aus einer dieser „Gute-­Bücher-auswähl-Familien“, in denen Kästner und Lindgren, Lego oder Holzbaukästen die Kinderzimmer beherrschten. Geschadet hat’s mir nicht, sondern mich zum Nachdenken angeregt und auf kreative Ideen gebracht. Mit dem Schund, den es damals gab, hätte ich mir die Zeit auch vertreiben können – aber ohne solche Ergebnisse.
Mir tun Kinder leid, die mit Konsolenspielen, stereotypen role models und Beautytipps belästigt werden. Und ich finde es unfair, sie aus falsch verstandenem Partizipationsbemühen in diesen Schlamassel plumpsen zu lassen, statt ihnen Orientierung durch bewusstes Fernhalten von Schund zu geben. Oder, Achim?

achim

Erstens, Micha: Verdränge mal all die Schund-Spielzeuge und Müll-Medien nicht, die du mit oder ohne Billigung deiner Eltern voller Begeisterung bespielt hast. Zum Beispiel deine Sammlung von Matchbox-Angeber-Autos, die du ab und an mit Uhu gefüllt hast, um Explosionen nachzustellen, und die aufgebohrten Colts. Denk daran, wie du dir die damals als hoch­idiotisch geltende „Paulchen Panter“-Sendung ertrotzt und Mitschüler zum Comic-Tausch beschwatzt hast.
Erinnere dich zweitens, dass damals – wie heute – hinter dem Ausschließen bestimmter Medien oft auch das Bedürfnis steckte, sich von „niedrigeren Klassen“ abzugrenzen. Ganz davon abgesehen, dass es all den Maries und Adams durchaus wichtig sein könnte, mit Chantal und Justin über die gleichen Filme und Videospiele reden zu können.
Rechne drittens bitte mal zusammen, wie oft du heute Medien konsumierst, die du eigentlich viel zu seicht oder moralisch anrüchig findest – und trotzdem hast du Spaß daran.
Frag dich viertens, ob man überhaupt guten Geschmack entwickeln kann, wenn man keinen Schund erleben durfte und den Unterschied zu Dingen besserer Qualität nicht kennt.
Nein, Kinder brauchen Schund, weil er Spaß machen kann, nicht wehtut – und um ihn als solchen identifizieren zu können.