Gedicht: Peter Huchel

Über den Jägern jagt der größre Hund

Wenn ich mit den Beuteträgern

ziehe durch den dunklen Grund,

droben über allen Jägern

jagt als Wind der größre Hund.

 

Denn im Rücken spür ich einen,

der in meinem Jagen jagt,

und mein Herzschlag ist dem seinen

wie ein Knecht nur, der sich plagt.

 

Wie ein Knecht nur, der die Beute

sich zu schwerer Bürde häuft,

der im Winde hört die Meute,

die sein Laufen überläuft.

 

Zieh ich mit den Beuteträgern

dunkel durch den alten Grund,

droben über allen Jägern

hungrig jagt der größre Hund.

 

Foto: David-W- / photocase.de

Gedicht: Sarah Kirsch

 

Wie Ölbäume schimmern die Weiden

Blaugrün und zitternd, die Pappeln

Ahmen Zypressen nach (dunkler

Dunkler! Vertieft eure Schatten!). Der Wind

Übt Fall und Flug seines Bruders Mistral

 

Foto: Kalen Emsley/unsplash

Gedicht: Joachim Ringelnatz

Abschiedsworte an Pellka

Jetzt schlägt deine schlimmste Stunde,

Du Ungleichrunde,

Du Ausgekochte, du Zeitgeschälte,

Du Vielgequälte,

Du Gipfel meines Entzückens.

Jetzt kommt der Moment des Zerdrückens

Mit der Gabel! — Sei stark!

Ich will auch Butter und Salz und Quark

Oder Kümmel, auch Leberwurst in dich stampfen.

Musst nicht so ängstlich dampfen.

Ich möchte dich doch noch einmal erfreun.

Soll ich Schnittlauch über dich streun?

Oder ist dir nach Hering zumut?

Du bist so ein rührend junges Blut.

Deshalb schmeckst du besonders gut.

Wenn das auch egoistisch klingt,

So tröste dich damit, du wundervolle

Pellka, dass du eine Edelknolle

Warst, und dass dich ein Kenner verschlingt.

 

Foto: Nonmin, Photocase

Gedicht: Dieter Mucke

Die treffende Antwort

Spricht jemand von oben
herab zu dir
Mit lauter Worten
wie aus Papier

Kannst du getrost
und unbesehen
Dir kleine Kugeln
daraus drehen.

Schnips sie zurück
und sage: Hier
Sammle doch
selber dein Altpapier!

 

Foto: NINEmade.de/photocase.de

Das Gedicht: Chetan Akhil

Konkurrenz beginnt im Samenstrang

Und in den Katakomben potentieller

Arterhaltung setzt sie sich fort.

Vom olympischen Impuls gelenkt,

tritt jeder gegen jeden an.

Applaus gilt nur dem Sieger, der

erschöpft den gläsernen Pokal

in Händen hält,

durch den sein müder Blick

wie durch die

Linse eines Objektivs auf das

Schlachtfeld

sich amüsierender Verlierer fällt.

 

Foto: vign/photocase.de

Gedicht: Mascha Kaléko

Mein schönstes Gedicht

Mein schönstes Gedicht?

Ich schrieb es nicht.

Aus tiefsten Tiefen stieg es.

Ich schwieg es.

 

 

Teaserfoto:

Gedicht: Georg Heym

Alle Landschaften

Alle Landschaften haben

Sich mit Blau erfüllt.

Alle Büsche und Bäume des Stromes,

Der weit in den Norden schwillt.

 

Leichte Geschwader, Wolken,

Weiße Segel dicht,

Die Gestade des Himmels dahinter

Zergehen in Wind und Licht.

 

Wenn die Abende sinken

Und wir schlafen ein,

Gehen die Träume, die schönen,

Mit leichten Füßen herein.

 

Zymbeln lassen sie klingen

In den Händen licht.

Manche flüstern und halten

Kerzen vor ihr Gesicht.

 

Foto Teaser: lube / photocase.de

Gedicht: Sarah Kirsch

Trauriger Tag

Ich bin ein Tiger im Regen

Wasser scheitelt mir das Fell

Tropfen tropfen in die Augen

 

Ich schlurfe langsam, schleudre die Pfoten

die Friedrichsstraße entlang

und bin im Regen abgebrannt

 

Ich hau mich durch Autos bei Rot

geh ins Café um Magenbitter

freß die Kapelle und schaukle fort

 

Ich brülle am Alex den Regen scharf

das Hochhaus wird naß, verliert seinen Gürtel

(ich knurre: man tut was man kann)

 

Aber es regnet den siebten Tag

Da bin ich bös bis in die Wimpern

 

Ich fauche mir die Straßen leer

und setz mich unter ehrliche Möwen

 

Die sehen all nach links in die Spree

 

Und wenn ich gewaltiger Tiger heule

verstehn sie: ich meine es müßte hier

noch andere Tiger geben

 

Teaserfoto: Bratscher / photocase.de

Gedicht: Thomas Rosenlöcher

Das Holz der Rede

Ich komme gleich. Ich ging nur mal hinunter
längs des sich selbst noch durch den sterbenden
Garten geschlängelt fortschleichenden Wegs,
als da der Apfelbaum im frühen Licht
zwar noch an seiner alten Stelle stand,
doch seltsam schief, ein schwarzes Bild des Todes,
und sich, als ich hinzutrat: Halte aus,
langsam vornüber neigte übers Gras
und seinen Stamm auf meine Schulter legte,
dass ich fast umsank unter seiner Last
und bei mir sprach: So ist die Welt.
Der eine fährt Auto und wundert sich nicht,
der andere stützt einen Baum,
während im Nachbargarten
die apokalyptische Säge schon schreit.
Doch jemand muss hier noch die Arbeit machen
und fröhlich sein. Das ist mein Teil.
Denn besser, gerad noch gerade zu stehn,
als gleich begraben zu sein unterm Stamm,
dachte ich in meiner aufrechten Art,
und Regen rann durch meine Hosenbeine,
wenn mich nicht Sonne dankbar dampfen ließ,
ehe du wieder Abendessen riefst
und Dunkelheit auf meinen Schultern ruhte.
So hielt der Baum mich, da ich ihn noch stützte,
und stützte mich, indem ich ihn noch hielt,
und eines Morgens spürte ich im Nacken
ein kitzliges Geschläuf von Fädchen, Spitzen.
Die Staude grünte noch. Und ich, umzwitschert,
inmitten einer Wolke kleiner Knospen,
die weiß, ein rötliches Geschipper lupfte,
glaubte zu schweben unter meiner Last,
so dass ich – als erneut dein Licht vom Haus
herüberschimmerte und sich dein Warten
verhundertfachte oben in den Zweigen –
im Schnee der Blüten schwarz verdämmernd
unter der Sterne eisigerem Schnee –
auch noch das All auf meinem Rücken trug
und nun wohl einschlief, und im Holz der Rede
vor mich hinknarrte: Ja, ich komme gleich.

Bertolt Brecht Alfabet (1934)

C

Christine hatte eine Schürze

Die war von besonderer Kürze.

Sie hing nach hinten, sozusagen

Als Matrosenkragen.

 

E

Eventuell bekommst du Eis

Heißt, dass man es noch nicht weiß.

Eventuell ist überall

Besser als auf keinen Fall.

 

F

Ford hat ein Auto gebaut

Das fährt ein wenig laut.

Es ist nicht wasserdicht

Und fährt auch manchmal nicht.

 

G

Gehorsam ist ein großes Wort.

Meistens heißt es noch: sofort.

Gern haben’s die Herrn.

Der Knecht hat’s nicht so gern.

 

L

Luise heulte immer gleich.

Der Gärtner grub einen kleinen Teich.

Da kamen alle Tränen hinein:

Ein Frosch schwamm drin
mit kühlem Bein.

 

M

Mariechen auf der Mauer stund

Sie hatte Angst vor einem Hund.

Der Hund hatte Angst vor der Marie

Weil sie immer so laut schrie.

 

P

Pfingsten

Sind die Geschenke am geringsten.

Während Geburtstag, Ostern und Weihnachten

Etwas einbrachten.

 

R

Reicher Mann und armer Mann

Standen da und sahn sich an.

Und der Arme sagte bleich:

Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.

 

S

Steff sitzt lang auf dem Abort

Denn er nimmt ein Buch nach dort.

Ist das Buch dann dick

Kommt er erst am nächsten Tag zurück.

 

X

Xanthippe sprach zu Sokrates:

„Du bist schon wieder blau?“

Er sprach: „Bist du auch sicher des?“

Er gilt noch heut als Philosoph

Und sie als böse Frau.

 

Z

Zwei Knaben stiegen auf die Leiter

Der obere war etwas gescheiter.

Der untere war etwas dumm.

Auf einmal fiel die Leiter um.

 

Kein Heft ohne Gedicht.
Aus: Bertolt Brecht: Ein Kinderbuch. Der Kinderbuchverlag, Berlin 1965, 5. Auflage 1981, S. 58 ff.
Ausgesucht hat ihre Lieblings­strophen Marie Sander.

Foto: ohneski, photocase.de

Gedicht: Christian Morgenstern

Drei Hasen
Eine groteske Ballade

Drei Hasen tanzen im Mondschein
im Wiesenwinkel am See:
Der eine ist ein Löwe,
der andre eine Möwe,
der dritte ist ein Reh.

Wer fragt, der ist gerichtet,
hier wird nicht kommentiert,
hier wird an sich gedichtet;
doch fühlst du dich verpflichtet,
erheb sie ins Geviert
und füge dazu den Purzel
von einem Purzelbaum,
und zieh aus dem Ganzen die Wurzel
und träum den Extrakt als Traum.

Dann wirst du die Hasen sehen
im Wiesenwinkel am See,
wie sie auf silbernen Zehen
im Mond sich wunderlich drehen
als Löwe, Möwe und Reh.