In Hamburg soll jede dritte evangelische Kirche in den kommenden zehn Jahren geschlossen werden. Die Leute bleiben weg. Und auch die Euros aus der Kirchensteuer. Sinkende Einnahmen wegen sinkender Nachfrage. Also, sagte jetzt die Synode: Kapazitätsabbau. So platt würde keine Geschäftsleitung von Supermärkten und Drogeriemärkten reagieren. Sie würde um Kunden werben.
Wie der „dm-drogerie markt“. Dort wurden die Abstände zwischen den Regalen nicht verkleinert, sondern vergrößert. Die Räume wurden heller, offener, einladender. Die Kunden sollen sich wohl- und willkommen fühlen. Auszubildende in den dm Märkten spielen Theater. „Abenteuer Kultur“ ist ein wichtiger Teil ihrer Ausbildung. Die Lernlinge, so heißen die Azubis dort, sollen dadurch selbstbewusster und gestaltungsfreudiger werden. Sie sollen sogar lernen Nein zu sagen. Nicht zu den Kunden. Zu den Oberen.
Mit diesen Ideen des dm Gründers Götz Werner, der heute vor allem mit seinem Plädoyer für das bedingungslose Grundeinkommen unterwegs ist, wurde dm Marktführer. Es wurden keine Filialen geschlossen. Es werden dauernd welche eröffnet.
Man hört den Sound von Planwirtschaft
Wie die Kirchen sollen in Hamburg auch die Schulen schrumpfen. Solche mit überflüssigen Quadratmetern gemäß der Bemessungsnorm, die „Musterflächenprogramm“ heißt. Man hört den Sound von Planwirtschaft, die letzte verbliebene, die Bildungsplanwirtschaft. 12 Quadratmeter stehen einem Schüler zu. Flure, Fachräume, auch Turnhallen sind mit gerechnet. Bereits 34 Hamburger Schulen mussten Flächen abgeben. Jetzt trifft es weitere 17 . Die Finanzverwaltung vermietet oder verkauft dann die Gebäude. Einzelne Klassenräume werden „abgemietet“. Das trifft jetzt auch die Grundschule „Moorflagen“. Sie ist „Schwerpunktschule für Inklusion“. Aber für Inklusion bekommt sie keinen zusätzlichen Platz. Das fordert den Widerspruch der Eltern heraus. Behinderte Kinder brauchen mehr Raum. Für die drei Autisten sollte es Platz für Auszeiten geben. Kinder mit Orthesen, brauchen Ecken mit Teppichen um zwischendurch auf dem Boden zu krabbeln. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Ist es aber nicht.
Schulen sollten die Kathedralen unserer Zukunft werden
Als die Eltern jetzt Krach schlugen, bekamen sie zu hören, die Räume seinen bereits „abgemietet“ und dass es auch möglich sei, „mit weniger Raum den Ansprüchen der Inklusion gerecht zu werden.“ Vielleicht den Ansprüchen der Inklusion, aber nicht denen der Kinder. Immer wieder diese Camouflage in der Funktionärssprache. Sie reden zum Beispiel von den „Schwierigkeiten der Schulen im Umgang mit Heterogenität“. Nein, die Schulen haben Schwierigkeiten mit den Kindern, die alle verschieden (heterogen) sind. Aber die Heterogenität? Wer hat sie je gesehen außer in den Texten aus Behörden und anderen Ideologiefabriken.
Es geht darum dieser Sprache und dieser wirklichkeitsabgewandten Haltung eine andere Haltung und konkrete Vorstellungen entgegen zu setzen. Die Kinder zu sehen, wie sie sind und wer sie sind, und sie nicht auf Abstraktionen wie Heterogenität, Inklusion und Co. zu reduzieren. Nicht auf die Quadratmeter in „Musterflächenprogrammen“ zu starren, sondern zu überlegen wie die Räume Welt öffnen können. Wie wäre es denn, wenn es in Schulen Ateliers gäbe, in denen Erwachsene ihren Passionen nachgehen und Kinder dafür interessieren und damit anstecken? Zum Beispiel für Schriftsetzer eine ausgemusterte Druckerei? Ateliers für Künstler? Werkstätten für Handwerker? Übungsräume für Bands? Eine Küche für die Poeten der neuen Kochkompositionen? Und ähnliches. Wir brauchen Raum für die wunderbare analoge Welt, in der und mit der man so viel machen kann. Nur so lässt sich dem Fastfood aus den Simulationen, die auf den Handys landen, etwas entgegen setzen! Nichts gegen die Computer, diese Universalmaschinen, wenn wir lernen sie als Werkzeuge zu benutzen. Auch dafür brauchen wir Labore in Schulen.
Wie wäre es denn, wenn es in Schulen Ateliers gäbe?
Also viele verschiedene produktive Räume. Räume zur Produktion! Räume für viele Stoffe und für verschiedenes Material! Für passende Techniken und Künste, um aus dem Material was zu machen. Dafür brauchen wir in Schulen noch viel mehr Räume.
Auch die arbeitslos gewordenen Kirchen könnte man dafür gut nutzen. Ihre Chance wäre so etwas zu werden wie die Kathedralen im Hochmittelalter. Darin gab es Märkte. Da wurde Karneval gefeiert. Selbst Prostitution war in diesen Räumen der großen Inklusion geduldet. Man lese das große Buch von Georg Duby, Die Zeit der Kathedralen – Kunst und Gesellschaft 980 bis 1420 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1011).
Ja, vor allem die Schulen sollten die Kathedralen unserer Zukunft werden. Orte, die verkörpern was uns gut und wichtig ist. Was auch ein bisschen größer ist als ein noch so schönes Privatleben. Die Kirchengebäude bieten dafür natürlich in vielen Fällen bessere Voraussetzungen als die kleinteilige und engherzige Schularchitektur vergangener Tage und neuerlicher Sparprogramme.
Aber wer soll das bezahlen?
Machen wir nicht gleich den Staat haftbar, klagen wir ihn nicht an, dass er sollte und müsste und überhaupt. Da wird nichts draus. Bilden wir Bündnisse zur Finanzierung einiger Kathedralen. Bilden wir Bündnisse für Bildung. Und dazu gehört erst mal das building, der jeweils besondere Ort. Ein zugleich öffentlicher und doch geschützter Ort. Verschwenderisch und schön! Mit Werkstätten, Übungsräumen, Ateliers, Laboren, Räumen der Stille und zum Toben, mit Unterrichtsräumen und Lernbüros. Ein ganz und gar diesseitiger Tempel für erwachsen gewordene Erwachsene und für Kinder voller Neulust!
Übrigens: Götz Werner, der dm – Gründer, sagte auf dem letzten Kongress des Netzwerks Archiv der Zukunft in Bregenz, jedes Unternehmen, das voran kommen will, braucht Leute, die ab und zu einen Schreikrampf bekommen, wenn die Verhältnisse einzufrieren drohen. Und er fasste sein Plädoyer für das bedingungslose Grundeinkommen in diesem Satz zusammen: Damit jeder die Freiheit hat, Nein zu sagen.
Illustrationen: Valentin und Max