Warum heißt es „arm“ und „reich“? Schon die Wortherkunft sagt, was Sache ist, denn „reich“ ist mit dem Reich verwandt. Beide Wörter stammen vom Mittelhochdeutschen rich ab, das edel, mächtig oder von vornehmer Herkunft bedeutet und wahrscheinlich auf das germanische „Rik“ zurückgeht, das wiederum vom lateinischen „Rex“ herrührt, sprich: „König“. Herrlich, als „Reicher“ der edle König vornehmer Abkunft zu sein! Fast vergisst man darüber, die Herkunft des Wortes „arm“ zu erforschen. Wiktionary sagt: Herkunft umstritten; vielleicht stand ein vergessenes Wort für „verlassen“ Pate. Man merkt: Selbst mit dem Wort mag sich niemand so recht beschäftigen.
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Arm und reich gibt es auch als Nomen. Faszinierend, dass man dafür beiden Wörtern die gleichen Buchstaben anhängt, aber in umgedrehter Reihenfolge. Arm kriegt „-mut“. Klingt mutig, kommt aber von „Gemüt“ und sagt, dass Armut eigentlich eine Art Gefühl ist. Reich erhält ein „-tum“, mit dem man auch Eigentum und Königtum bildet, den Irrtum allerdings ebenfalls. Als Nachsilbe verweist „tum“ auf Besitz, Macht oder Würde. Reichtum ist also ein uralter Euphemismus für Besitzen und Herrschen, während Armut von der Wortherkunft bedeutet, sich verlassen zu fühlen, statt handeln zu können.
Wer reich ist, hat gute Mächte an seiner Seite – Arme wurden verlassen. Für die frühen Kulturen und Religionen war deswegen klar: Reiche sind gut, denn sonst würden die Götter sie ja nicht belohnen, während Arme aufgrund ihrer Verfehlungen mit Mangel bestraft werden. Verarmten ganze Gesellschaften, war es manchmal die beste Lösung, erfolglose gegen erfolgreiche Religionen zu tauschen: „Ich wechsele jetzt zu Zeus, der zahlt besser.“ Eine andere Lösung entwickelte sich im Judentum nach der Verarmung durch die „Babylonische Gefangenschaft“: Gott ist auf der Seite der Armen, die im Jenseits reich werden. Diese Idee steckt auch hinter der biblischen Legende von Lazarus, der arm und krank vor dem Haus des reichen Mannes von dessen Speiseresten lebt. Nach dem Tod beider Männer kommt Lazarus in „Abrahams Schoß“, während der Reiche im höllenähnlichen Hades landet. Warum bloß? „Nach dem Tode wird alles umgedreht“, erklärt Abraham, „du hast ja deinen Reichtum schon gehabt, aber Lazarus nicht.“
Für die ersten Christen ist klar: Wer arm und bescheiden nach dem Vorbild des besitzlosen Jesus lebt, gefällt Gott deutlich besser als die Reichen. In seiner Bergpredigt bringt Jesus das auf die Formel: „Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes.“ Ein guter Grundsatz für eine Religion der Outlaws, aber untauglich, wenn man zu Geld gekommen ist. Im Christentum finden sich immer wieder Beispiele von Menschen, die sich bewusst der Armut verschrieben und einer immer reicher und mächtiger werdenden Religion trotzten – etwa die Bettelorden oder Franz von Assisi. Andere versuchten, die Sache mit der Armut abzumildern. Schließlich würde der Satz von den seligen Armen ja auch bedeuten, dass es Gott gefällt, wenn Armut unter den Menschen herrscht. Verstand Jesus „geistlich Arme“ nicht vielleicht als Metapher? Und ist Reichtum nach dem Reformator Calvin nicht vielleicht ein Belohnung für gottgefälliges Tun und nur dann problematisch, wenn jemand mit ihm protzt und ihn nicht teilt?
Das klingt nach uralten Diskussionen, aber die Auswirkungen sind noch heute spürbar. Die Frage, ob Arme ihr Schicksal verdienen und Reiche ihren Reichtum, wird immer wieder gestellt, nicht nur in „Neiddebatten“ oder wenn den „Armen“ fehlendes Engagement vorgeworfen wird und Erbschaftssteuern als Strafe für die Tüchtigen verteufelt werden.
Auch dem aktuell vorherrschenden Lebensstil armer und reicher Menschen merkt man die alten Diskussionen über Protz und verdientes Vermögen an: Arme beschaffen bisweilen Luxusgüter auf Pump, etwa schwarzglänzende Limousinen oder teure Smartphones, um ihren schlechten Status zu kompensieren. Reiche hingegen demonstrieren Bescheidenheit und ethisches Denken, wenn bäuerliche Olivenholz-Möbel aus der Toskana in ihren Lofts stehen, das Macbook auf strenges Design setzt und alle Lebensmittel von regionalen und gerechten Herstellern stammen.
Hat das was mit uns zu tun? Allerdings. Denn wir PädagogInnen sind besonders empfänglich für die Frage, ob es besser ist, gut zu sein als reich. Wir spielen das Spiel von den guten Armen weiter, wenn wir auf Fragen wie „Ist dir das nicht zu wenig Geld?“, „Kriegst du Überstunden bezahlt?“ oder „Ersetzt dir jemand das Materialgeld?“ antworten: „Mir geht es eh um die Kinder.“ Es wäre sinnvoll, die Bescheidenheit fallen zu lassen – schon weil manche der von uns betreuten Kinder ohne unsere Mitwirkung nicht superreich geworden wären.
Fordern wir also: „Reichtum für alle!“ Zumindest so lange, bis eines fernen Tages Jeff Bezos oder der Immobilienspekulant vom Mietshaus nebenan aus dem Hades mailen: „Damned hot here!“
Foto: knallgrün, photocase