Die Erfindung von MINT

MINT ist kein Wort. Deswegen tut sich der Wortklauber zunächst schwer damit. MINT ist ein Akronym, also eine Abkürzung mehrerer Wörter durch deren Anfangsbuchstaben. Damit steht MINT in der Tradition des ersten Akronyms der Christenheit, nämlich INRI, der Inschrift auf dem Kreuz Jesu. INRI heißt – für alle Heiden unter der Leserschaft oder solche, die sich im Reliunterricht von anstrengenden MINT-Fächern erholten – Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum. Was übersetzt heißt: Jesus von Nazareth, König der Juden. Dass die Römer als Verfasser einen ziemlichen Abkürzungsfimmel (Aküfi) gehabt haben müssen, ist offensichtlich, sparten sie zwar Zeit beim Einritzen der Buchstaben, aber gewiss litt die Verständlichkeit: Woher wussten Spaziergänger rund um Golgatha, für was die zwei Is, das R und das N stand?

Zwar enthält INRI zwei gleiche Buchstaben wie MINT, aber das hat nichts zu bedeuten, denn MINT heißt nicht „Moderne Iesus von Nazareth-Theologie“, sondern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. MINT spart also zunächst 15 Silben ein und führt die Angewohnheit von Schülern fort, die Namen unbeliebter Fächer zu kürzen – siehe Mathe, Nawi, Sowi und Reli.

MINT ist nicht nur ein Akro- sondern auch ein Apronym. Apronyme sind nämlich – gleich fürs nächste Kneipenquiz merken! – Abkürzungen, die ein neues sinnvolles Wort ergeben. Solche Wörter gibt es nicht viele, weil der Trend zur sinnvollen Abkürzung noch neu ist.

Apronyme gelingen, wenn beim Abkürzen einer unschönen Wortsammlung ein sympathisches Wort entsteht. Aus dem holzigen European Region Action Scheme for the Mobility of University Students wurde der nette Name ERASMUS. Nicht ganz so gut klappt die Sache bei der Elektronischen Steuererklärung, denn das Apronym ELSTER lässt alle Steuerpflichtigen sogleich an Diebstahl denken, weil sie Elstern – unberechtigterweise! – für diebisch halten.

Wer hat MINT erdacht? Intensive Internet-Recherchen ergaben leider keine klaren Anhaltspunkte, höchstens Verdachtsmomente. Vermutlich waren es Bildungspolitiker, die sich um den Nachwuchs in den vier früher als Jungs-Fächer geltenden Disziplinen sorgten. Als Suchbegriff ergibt MINT zahlreiche Treffer, bei denen auch das Wort „Mädchen“ an prominenter Stelle vorkommt. Wenn’s um Jungs geht, bleibt es oft bei Mathe, Informatik, Technik und diversen Naturwissenschaften. Geht’s um Mädels, verschmilzt alles zu MINT.

Schmelzen und Mint – wer denkt da nicht an ein leckeres Eis, bei dem man aufpassen muss, es nicht auf seine mintfarbene Hose zu kleckern? Ja, unser mint in Kleinbuchstaben ist ein waschechtes Modewort und vermutlich wie die mintfarbene Hose irgendwann in der Mitte der Achtziger eingewandert. Doch niemand sagt „Mint“ zu dem verdauungsfördernden Tee. Aber wenn aus dem wuchernden Fast-Unkraut coole Kaugummis, Kaubonbons oder Schokoladenspezialitäten hergestellt werden – das ist mint. Sonderbar.

Was wissen oder ahnen wir über MINTs Entstehung? Entweder hatte, wer aus Mathe, Informatik, Technik sowie Physik, Chemie und Bio, also aus Naturwissenschaften, MINT gemixt hat, einfach Glück, weil das entstandene Wort gut funktioniert. Immerhin wäre, wenn wir wie die Briten statt Naturwissenschaften Science sagen würden, ziemlicher MIST rausgekommen…

Oder war es so, dass ein paar Herrschaften nächtelang beisammen saßen und verzweifelt grübelten: „Wir brauchen so ein echtes ­Girlie-Wort, um diese Nawi-Fächer für Mädchen interessant zu machen. Hubert, du hast eine Tochter, was interessiert Mädels so?“ „Eis, Pferde, Mode…“ Ewig buchstabierte man dann: „P wie Physik, I wie Informatik, N wie Naturwissenschaft, jetzt noch was mit K….“ „Gibt´s nicht! Besser ist R wie Rechnen, O wie Oekologie, S wie Science und A wie… “ Bis dann einer sprach: „Nehmen wir einfach MINT!“

Foto: vogt/photocase

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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