Immer mehr Kindergärten und Schulen bekommen tierischen Besuch: Bauern leihen ihnen Hühner für ein paar Wochen – klingt gut, oder? Was aber sagen die Beschäftigten dazu? Wer bedenkt schon, dass sich unter dem Sammelbegriff Haushuhn sensible, individuelle Zuchtrassen wie der Bergische Schlotterkamm, das Deutsche Reichshuhn, das Eulenbarthuhn, der Westfälische Totleger oder das Zwergsachsenhuhn verbergen?
Lassen wir die Betroffenen zu Wort kommen – quasi als Beitrag zur Me-Too(-hn)-Debatte!
Hier gibts den Artikel als PDF: Miet Huhn_#2_2021
Der Traum jedes Huhns: Ich mach was mit Kindern!
„Ich bin Klara und habe schon lange eine Vision. Nach so vielen Jahren im Stall, mit nichts als Fressen und Eier-Legen, möchte ich endlich etwas Sinnvolles tun. Etwas, das Bedeutung hat. Etwas Nachhaltiges für alle.
Für mich kam das Angebot, Miethuhn zu werden, genau zur rechten Zeit. Ich wusste sofort: Das ist es! Das will ich machen! So kann ich etwas für die Welt tun, für andere Hühner und sogar für die Menschen. Ich kann eine Pionierin sein, die das Leben der Hühner, die Bedeutung der Eier für den Menschen und die Umwelt in den Mittelpunkt der Pädagogik rückt. Ja!
Nächste Woche geht es los. Ich bin schon ganz aufgeregt und freue mich darauf, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Miethuhn for future!“
„Eileen ist mein Name, meines Zeischens Lejehenne aus Brann’nburch. In unsere Lejebattarie passierte sowat von nüscht, da dachtick mir: Wirste lieba Miethuhn, da biste unter Leute, statt hier vor dir hinzubrüten… Wat sollick saren, dit jefällt ma jut hier: Jedet Kind hat ’n janzen Quadratmeter Spielfläche für sich – dit is ja mehr Platz wie inne Bodenhaltung, dit ist Freiland! Mit die Erzieharinnen binick ooch schnell warm jeworden, die sind uns ähnlicha als jedacht: Uffjeplusterte Fijur, riesenlange Krallen an die Finger, den janzen Tach am Zaun stehen und gackern… Herrlich is dit!“
Große Erwartungen, große Enttäuschungen: Der Miethuhn-Alltag
„Henny heiße ich. Meine Erwartung an den Job war, im Team mit den Pädagogogogooogen – Entschuldigung, das
ist so drin bei uns Hennen – auf gleicher Ebene zu agieren. Stattdessen waren wir für die ausgebildeten Pädagogen einfach nur die Chicks vom Hühnerhof, rangierten noch unter den Zusatzkräften ohne Ausbildung und Sozialassistentinnen. Gut für spektakuläre Brüt-Szenen, aber zu blöd, um beim Elterngespräch oder in der Teamsitzung zu Wort zu kommen. Dabei kann ich alle wichtigen Pädagogik-Wörter fehlerfrei aussprechen, sogar in Huhn-Sprache: Koooko-, Koookoooo-, Kooo-Koonstruktion!“
„Ich bin Roseanna, aus der Familie der Jersey Giants. Als Angehörige einer bedeutenden Fleischhuhnrasse liebe ich Fressen über alles. Deswegen fand ich meinen ersten Job-Auftrag total sympathisch: ‚Kita Regenwürmer ‘ mit ‚Schneckengruppe ‘ klang einfach yummy! Aber dann stellten sich die Regenwürmer und Schnecken als kleine Menschen heraus. Nicht zum Verzehr geeignet.
Genervt fragte ich die Leiterin, was es denn hier im Futtertrog gäbe. Da las die aus ihrem Prospekt vor: ‚Hühner sind Allesfresser, genau wie Menschen. Deswegen freuen sie sich auch über allerlei Essensreste, und davon gibt’s hier genug.‘ ‚Essen Sie Ihre Essensreste selber ‘, gackerte ich empört. ‚Ich verzichte auf Ihr sogenanntes Appetito-Menü!‘“
Lernziel Empathie – aber nicht für flatterhafte Mitarbeiter
„Trude ist mein Name. Schon beim Kennenlernen konnte ich meinen großen Schnabel nicht halten, als unsere zuständige Erzieherin sagte: ‚Unser Ziel ist es, Kindern den Umgang mit Tieren zu ermöglichen, damit sie Verantwortung und Achtung gegenüber anderen Lebewesen entwickeln.‘ Ich fragte: ‚Was heißt das?‘ Sie antwortete: ‚Das heißt, dass die Kinder an euch erfahren können, wie man andere Lebewesen behandeln sollte. Zum Beispiel merken sie, dass ihr leidet, wenn sie vergessen, euch zu füttern oder den Stall zu reinigen. Sie erkennen an eurer Reaktion, dass Zärtlichkeit nicht heißt, sich ein Huhn zu krallen und es ganz doll zu drücken.‘ Da gackerte ich los, pickte nach ihr und fuhr meine Krallen aus, um mit der Dame per tiergestützter Pädagogik an ihrem Empathie-Defizit zu arbeiten. Eine Stunde später konnte ich mir im Büro die Kündigung und meine Tierseuchenkassen-Unbedenklichkeitsbescheinigung abholen.“
Typisch Quereinflatterer: Hohe Abbrecher-Quoten
„Bei mir – ich bin die Coco – ging der Stress schon bei der Einweisung durch die Kitaleitung los. Die erklärte: ‚Viele Kinder denken heute, die Eier kämen aus dem Supermarkt. Euer Job ist es, den Kindern zu zeigen, woher die Eier kommen.‘ Also haben wir den Kindern erst mal stolz unsere Kloake präsentiert – und alle so: ‚Iiiih, das Eierloch!‘ ‚Ich esse keine Eier mehr, wenn die ausgekackt werden ‘, heulte ein Kleiner, ‚ich esse nur noch die vom Lidl!‘
Eine ältere Erzieherin laberte sofort was von Salmonellen und gesundheitlich indizierter Arbeitsfreistellung, zog Handschuhe an und entsorgte mein Ei-Baby. Ich war schockiert und konnte drei Tage lang überhaupt nix mehr legen.
Ein paar Tage später flüsterte Roseanna mir zu, sie habe gehört, dass eine Erzieherin die Leiterin fragte: ‚Ist es nicht auch wichtig für die Kinder zu erfahren, woher die leckeren Brathähnchen kommen?‘ Stehenden Hühnerfußes sind wir über den Drahtzaun geflattert, auf Nimmerwiedersehen!“
Von wegen stabile Teams: Miethuhn-Tätigkeit als Burn-Out-Faktor
„Ich heiße Isi. Ich bin vollkommen fertig. Vier Mieteinrichtungen habe ich nun hinter mir!
Am Anfang war es schlimm. Fremde Umgebung. Keine anderen Hühner. So viele Menschen. Vor allem die Kleinen! Ziemlich unberechenbar waren die. Griffen mich an, waren laut, verstanden mich nicht, ließen mir keine Ruhe. Nachts habe ich kein Auge zumachen können, weil ich Angst vorm nächsten Tag hatte.
Aber mit der Zeit wurde es besser. Ich gewöhnte mich daran, dass immer wieder jemand an die Box kam, und die Menschen waren netter zu mir. Sie redeten nicht mehr so laut, achteten darauf, wie ich mich verhalte, und merkten, wann mir der Trubel zu viel wurde. Ich hätte mir fast vorstellen können, in der Einrichtung zu bleiben.
Aber dann: Vorbei! Ich wurde abgeholt, in die nächste Kita gebracht, und alles ging wieder von vorn los. Nur noch schlimmer! Noch mehr Kleine und hässliche Große, die immer aus der Ferne nach den Kindern schrien. Trotzdem hatte ich mich irgendwann eingewöhnt.
Eines Tages wurde der ‚Hühnerdienst ‘ eingeführt. Das waren drei kleine Menschen, die sich tagsüber um mich kümmerten. Sie fütterten mich, holten die Eier und sprachen mit mir. Das war schön.
Aber plötzlich musste ich wieder weg und kam in die dritte Einrichtung. Von da an ging nichts mehr. Ich schlief kaum noch, saß nur in meiner Ecke und wartete, bis Ruhe einzog. Weil ich keine Eier mehr legte, beschwerten sie sich über mich, sagten, ich sei kaputt und sie hätten gerne ein richtiges Huhn. Eins mit Eiern, das gackert. Naja. Jetzt warte ich auf meine Rehabilitationsmaßnahme, und dann kommt hoffentlich bald was Neues. Vielleicht eine Karriere im Wiesenhof?“
Als Mann im Frauenjob: Wenn der Hahn Hohn erntet
„Hey, ich bin der Chricky! Genauer gesagt: Chricky Kery, der schönste Hahn von Hanau! Mir als Miethahn versprach man anfangs große Chancen: ‚Mach das, Chricky, da bist du voll der Hahn im Korb!‘ und ‚Die Jungs in der Kita brauchen männliche Rollenvorbilder.‘
Kaum drei Tage machte ich meinen Job, schon ging das Gemecker bei den Kitatanten los: ‚Die Hennen sind ja sooo toll, wenn die ihre Eier legen. Die Kinder liiieben das! Aber der Chricky, der kann ja gaaar nichts, nur arrogant rumstolzieren.‘
Es kam noch schlimmer: Meine kräftigen Weckrufe wurden mir als ‚typisches Gockelgehabe ‘ untersagt, meine Kompetenzen als prämierter Zuchthahn sollte ich aus Rücksicht auf die Psyche der Kinder nicht einbringen, und für das Brüten fehlt mir das Sitzfleisch.
‚Was soll ich üüüberhaupt machen!‘ krähte ich wütend. Da schlug eine Erzieherin mir scheißfreundlich vor, Fußball zu spielen oder mit den Jungs aus Holzresten und Nägeln Gewehrattrappen zu bauen, das sei der Job von Männern in der Kita.
Abends sagte der Mietesel zu mir: ‚Komm mit, Alter, etwas Besseres als tiergestützte Pädagogik finden wir überall.‘ Sofort bin ich mit ihm, einem Assistenzhund mit geheiltem Helfersyndrom und der Therapiekatze aus dem Seniorenstift geflüchtet. Nach Bremen.“
Text: Michael Fink und Katharina Ochsenhirt
Foto: Tom Ungerer / unsplash