Schon wieder Bummelletzter

Wer zu spät kommt, den bestraft vielleicht das Leben. Auf jeden Fall kann er sich etwas anhören. Zum Beispiel den Vorwurf: „Bummel nicht so!“ Was ist das eigentlich für ein Wort, dieses Bummeln?

Wer ursprünglich bummelte, der baumelte eigentlich, weiß Grimms Wörterbuch, die Lieblingsquelle des Wortklaubers. Er pendelte hin und her, wie die fromme Glocke auf dem Kirchturm, die auch das passende Geräusch dazu erzeugte, nämlich das Bimmeln. Und doch benennt schon der alte Grimm die düstere Seite des Wortes: Auch am Galgen lässt sich’s trefflich bau- oder eben bummeln. Gut, dass es daneben noch weitaus lustvollere Bedeutungen gibt: „Bummelierst du mir, so bummelier ich dir, in hohen freuden leben wir“, lautet der Text eines alten Liedes, und andernorts wird vor einem losen Gesellen gewarnt, der „dem mägdgen schöne liedergen aufgespielet und sie damit ganz bummelwitzig gemachet“. Oh, du schöne Bummelei!

Wer um 1900 bummelte, war vermutlich Student. Lange vor der Einführung von Bachelor und Master überzog der „Bummelstudent“ seine Regelstudienzeit, um sich auf Elternkosten Wein, Weib und Gesang hinzugeben. War er ein „notorischer Bummelant“, dann wurde aus ihm wohl nichts Gescheites mehr. Dafür blieb ihm das, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Mode kam: ein langer Stadtbummel. Vielleicht auch ein Schaufensterbummel, vor allem bei „Bummelliesen“ beliebt.

Wer um 1940 bummelte, galt als Feind. „Teure Bummelanten“, schimpfte der „Völkische Beobachter“, und den damit Angesprochenen wurde wehrkraftzersetzendes „Bummelantentum“ vorgeworfen, das mit Zwangs­arbeit und Einweisung ins Konzentrationslager sanktioniert wurde. Noch in den Nürnberger Prozessen verteidigten sich Obernazis wie Albert Speer, von Konzentrationslagern zwar gewusst zu haben, aber nur als sinnvolles Mittel der Umerziehung von Bummelanten.

Wer um 1955 im Osten bummelte, wurde als „Arbeitsbummelant“ erfasst und sollte die fehlende „Arbeitserziehung“ im Knast genießen. Stimmung gegen das „Arbeitsbummelantentum“ machten Filme wie „Bummel-Benno“, dessen Protagonist sich nebst seiner Kumpels der Arbeit entzog, bis der Staatsanwalt das Wort hatte. Um dem beizeiten vorzubeugen, erklangen schon im Kindergarten Lieder wie „Ich bin die Frau Hummel“, in dem das gemütliche Insekt den Besuch auf dem Rummel vorzieht und die fleißige Biene verleiten will, mitzukommen. Doch die Biene blieb fest: „Ich geh nicht mit bummeln zum Gucken und Gaffen; grad will ich mich tummeln zum Sammeln und Schaffen. Summ summserum summ…“

Wer 1968 im Westen bummelte, plante angeblich den Umsturz. Angesichts der Studentenrevolte forderten Medien und Politiker ganz pragmatische Lösungen: „Bummelanten vom Studium ausschließen!“ Dass der ­Bummelant seine vom Studium abgezweigte Zeit engagiert für das ­Demonstrieren, Diskutieren und Agitieren verwendete, passte allerdings nicht recht ins Bild des schlendernden Müßiggängers.

Seit den 1970er Jahren verlor die Dark Side des Bummelns an Bedeutung. Im Osten wollte niemand gern Bummelletzter sein, von ganz harten Fällen mal abgesehen. Und im Westen eroberte sich ausgerechnet das verdächtige Bummeln den Kernbereich jeder Marktwirtschaft – in Form des systemstabilisierenden Einkaufsbummels.

Heute hat die Bummelei es geschafft, alle düsteren Seiten abzustreifen. „Ich prokrastiniere“, verkündet man bei verspäteter Abgabe der Arbeit, und für verspätetes Erscheinen ist heute die „Verzögerung im Betriebsablauf“ zuständig. So hat der Bummelant seinen neuen Platz im Leben gefunden: Unter der bimmelnden Kirchenglocke in der Fußgängerzone betreibt er sein Bummelhobby und frönt seinen Lieblingsbeschäftigungen Schlemmen und Shoppen. Es lebe das Bummel-, Schlemmer- und Shoppantentum!

Foto: Arnd_Drifte / photocase.de

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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