Windeldienst im Märchenland

oder Was darf die Nichtfachkraft

Hier werden Rechtsfragen aus der Pädagogik verhandelt.
Diesmal geht es darum, ob eine Leiterin erfahrenen Nicht-Fachkräften ErzieherInnenaufgaben übergeben darf oder ob sie sich damit strafbar macht.

Hier gibt es den Rechthaber auch als PDF: Rechthaber_#5_2023

Weit fort von hier, im Märchenland, gab es einst zwei Kindergärten.

Der eine hieß Kita Bösehexenhausen, und wie man sich’s vorstellt, herrschte dort ein unwirsches Weiblein, die willkürliche Wiltrud geheißen, über drei Erzieherinnen. Die eine Erzieherin war die faule Fachkraft Franzi, die zweite war die muffige Kinderpflegerin Miffi, die dritte aber die hilfsbereite Helferin Hilde. Wiltrud behandelte Franzi wie ihr eigen Fleisch und Blut, ließ Miffi muffeln, aber traktierte die hilfsbereite Hilde ärger als die niederste Dienstmagd. So kam es, dass die faule Fachkraft Franzi und die muffige Miffi den lieben langen Tag im ruhigen Rollenspielraum sitzen, mit ihren Beobachtungsbögen rascheln oder mit der Gruppe zum Einhornzoo wandern durften. In Elterngesprächen prahlte Franzi, wie gut ihr doch die Förderung der Kinder nach dem Märchenländischen Bildungsplan gelänge, und Miffi nickte dazu. Derweil hörte die hilfsbereite Helferin Hilde tagein, tagaus Wiltruds herrische Befehle: „Schaff mir den Windeleimer hinaus, wisch die vom Mittagessen breiverschmierten Tischlein ab! Und bist du damit fertig, dann sortiere mir all die Bausteine der Farbe nach!“

Als der Große Personalmangel wieder einmal im Lande wütete, fasste sich Hilde ein Herz und sagte: „Schon zehn Jahre schaffe ich jetzt bei dir und habe mir manches abgeschaut. Darf ich helfen, die Kindlein zu bilden?“ Da lachte Hiltrud höhnisch: „Willst Kinder erziehen und bist nur eine elende Nichtfachkraft, eingestellt nach Paragraph Ölfundzwölfzig? Scher dich zu deinen Klötzen!“ Sprach­’s – und kramte nach dem Wochenlohn für die drei: Viele blanke Goldtaler für die faule Franzi, acht Silbertaler für Miffi und ein abgegriffener Blechpfennig für Hilde.

Als der Windeleimer einmal allzu übel roch, war’s Hilde leid. Sie sprach zu sich: „Ich gehe fort! Etwas Besseres als den Windeleimerdienst finde ich überall.“ Und machte sich auf den Weg, um neue Arbeit zu suchen.

Schon nach kurzer Zeit kam sie zum Kindergarten Gutefeenland. Dort regierte die gerechte Gerda. Die sah der hilfsbereiten Hilde nur kurz ins Gesicht und sagte sogleich: „Du kannst bei uns arbeiten.“ Umsichtig machte sich Hilde auf die Suche nach dem Windeleimer, da rief die gerechte Gerda: „Halt ein, Hilde! Bei mir gibt es keine niederen Dienste! Wenn du so ein fleißiges Mädchen bist, wie es ausschaut, dann darfst du genau die gleichen Dinge tun wie die brave Vera, unsere Kinderpflegerin, und sogar wie die gute Ute, meine Kollegin mit allerbester Ausbildung. Dir soll es keinen Deut schlechter ergehen als den beiden.“ Doch dann raunte sie: „Leider stehe auch ich unter der Fuchtel des bösen Monstrums Tarifbindung. Ist ein Blechpfennig genug für dich?“ Blanke Taler seien ihr einerlei, flunkerte Hilde, denn sie sei Erzieherin aus tiefstem Herzen.

Von nun an durfte die hilfsbereite und rechtschaffene Hilde im Rollenspielraum sitzen und Beobachtungsbögen ausfüllen, ganz allein mit der Gruppe zum Einhornzoo wandern und sich im Elterngespräch für die Umsetzung des Märchenländischen Bildungsplans von den Eltern bewundern lassen. Und wenn sie nicht in Rente gegangen ist – was sich bei einem Blechpfennig pro Woche niemals lohnt –, dann tut sie’s noch heute.

 

____ Lars Ihlenfeld — Kitarechtler, antwortet:

 

Ach, wäre es doch wenigstens im Märchenland immer so leicht, gut und böse zu identifizieren! Doch wie so oft haben die Gold- und Silbertaler oder Blechpfennige auch im Märchenland (mindestens) zwei Seiten, und bei genauerem Hinsehen haben die scheinbar guten und gebeutelten Menschen ihren Anteil am eigenen Schicksal.

Das Monster Tarifbindung scheint auf den ersten Blick eine Ausgeburt der monströsen Bürokratie zu sein und die Faulen zu belohnen. Aber es ermöglicht auch allen gut Ausgebildeten ein höheres Lohnniveau, als sie vielleicht allein hätten erreichen können.

Und hätte Hilde nicht schon lange ihres Glückes Schmiedin sein können, wenn sie sich um eine Ausbildung bemüht hätte, vielleicht berufsbegleitend? Ausbildungsjahre sind zwar bekanntlich keine Herrenjahre, aber sicher besser als nicht enden wollende Helferinnenjahre.

Wie dem auch sei, das sogenannte Fachkräftegebot ist ein hehrer Ansatz, der jedoch selbst außerhalb des Märchenlands schon so manche Aufweichung erfuhr, sodass die Betreuung und Bildung mittlerweile ohne Menschen mit anderem beruflichen Hintergrund kaum noch denkbar ist. Mit anderen Worten: Es ist notwendig und meist auch bereichernd für Team und Kinder, wenn Menschen mit anderen Perspektiven in der Kita mitarbeiten. Übrigens äußert sich der Gesetzgeber – zumindest was die Frage, ob die Beaufsichtigung der Kinder durch Nichtfachkräfte in Ordnung ist – in Paragraf 831 BGB eindeutig: Ja, sofern sie sorgfältig ausgewählt und angeleitet werden. Auch das märchenländische Kita-Gesetz sieht nach gängiger Lesart vor, dass Nicht-Fachkräfte zwar gern gesehen sind und sogar Aufsicht führen dürfen, aus der königlichen Bildungsschatulle allerdings nicht oder so gut wie nicht finanziert werden.

Sofern sie nicht politisch aktiv werden möchte, kann ich Hilde nur empfehlen, in die gelobten Gutschein-Länder Hamburg oder Berlin weiterzuziehen, wo freie Träger mehr Spielraum bei der Verwendung ihrer Taler haben. Dort kann Hilde mit etwas Glück und Geschick zumindest ein paar Silbertaler verdienen.

 

 

 

Text: Michael Fink und Lars Ihlenfeld

Foto: Nora Philipp / Photocase

 

 

ist Jurist, dreifacher Vater, Wald­kindergarten-Gründer und Mitglied des Leitungsteams der Kita Sandvika in ­Hamburg-Altona

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