Zwölf ängstliche Fragen

Woher kommt die Angst?

Von Enge. Es wird eng, enger, engst – oder eben: Angst. Engst gibt es selten – nur beim Leben auf engsten Raume, im engsten Familien- oder Freundeskreis. Kein Wunder, dass man da gleich an Angst denkt.

Ist Angst typisch deutsch, siehe „german Angst“?

Zumindest benutzen Deutsche und nördlichere Germanennachfahren das Wort exklusiv. Im Vergleich zum knuffigen „Timor“ der Römer oder dem englischen „Fear“ klingt unser Wort besonders lautmalerisch: Immerhin schnürt sich einem für die Aussprache der vier Konsonanten automatisch der Hals zu, als müsse man sich durch diesen engen Gang aus n, g, s und t quetschen.

Was ist Furcht?

Furcht ist Angst, bei der man weiß, wovor man sich ängstigt. Furcht mag man vorm Tod haben. Früher hatte man Gott, den Kaiser oder den gestrengen Vater zu fürchten. Oder nur Gott. „Wir fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt“, sagte man dann.

„Ich habe Angst vor Gott“ klingt im Grunde besser und heißt: Scheiße gebaut – und jetzt weiß ich nicht, wie er reagiert. Aber weil Furcht berechenbar ist, kann man einem Gott, den man fürchtet, trotzdem vertrauen. Wer das nicht tut, fühlt Heidenangst. Böse Christen haben eine Höllenangst, guten wird höchstens himmelangst.

Hat der Angsthase Angst?

Nein. Hasen und andere Fluchttiere stellen sich nix Gefährliches vor und handeln dann panisch, sondern gehen Gefahren ganz besonnen und präventiv aus dem Weg. Furchthase wäre vielleicht passender.

Wovor haben Menschen Angst?

Erwachsene Deutsche haben, sagt Umfrage 1 auf dem Portal Stastista, am meisten Angst, vor fremden Leuten zu sprechen. Dann folgen Höhenangst, Angst vor Geldmangel und tiefem Wasser. Erst danach kommen Spinnen und Insekten, Krankheit, Tod, Einsamkeit, Hunde, Fahrstühle und Dunkelheit.

Gibt’s auch eine Umfrage 2?

Klar, sagt Stastista. 2019 war die größte Angst der Deutschen, mit der Flüchtlingswelle überfordert zu sein. Davor war jahrelang Schiss vor den Kosten der Eurokrise angesagt. Und zwischen 2004 und 2010 war die Inflation unsere größte Angst. Ob Ängste wohl Moden unterliegen?

Ist Angst ein guter Ratgeber, schützt also vor Gefahren?

Wie man es nimmt. Tatsächlich sind nur wenige Deutsche in den letzten Jahren beim Sprechen vor fremden Leuten kollabiert, von hohen Bergen oder ins Wasser gefallen. Ob die entsprechende Angst uns vor Schlimmerem bewahrt hat, weiß man nicht.

Nicht geklappt hat Angst als Schutz­-
mechanismus vor Hunden. Davon zeugen fast 50.000 Hundebisse pro Jahr, darunter durchschnittlich 3,8 tödliche. Bedrohlich ist, dass die Angst vor dem Tod keine Schutzwirkung für fast 900.000 Deutsche jährlich hat.

Woran erkennt man Angst?

Wer Angst hat, schreibt die Hexal-Ratgeberseite, spürt Symptome wie Herzrasen, Herzklopfen oder schnellen, unregelmäßigen Herzschlag, Schweißausbrüche, fein- oder grobschlägiges Zittern, Mundtrockenheit, Atemnot, Kurzatmigkeit, Erstickungsgefühl…

Reagieren die Deutschen auf Inflation oder das Gefühl, mit der Flüchtlingskrise nicht klarzukommen, mit Mundtrockenheit und grobschlägigem Zittern? Nicht direkt, sondern gerade bei letzterem eher mit grobschlächtigem Twittern, wenn überhaupt.

Welche Ängste sollte man ernst nehmen, welche eher nicht?

Politiker haben Angst, nicht wiedergewählt zu werden, wenn sie die Ängste der Bevölkerung nicht ernst nehmen. Erzieherinnen haben Angst, Ärger zu kriegen, wenn sie die Ängste der Eltern nicht ernst nehmen, auch wenn diese nicht ernst zu nehmen sein sollten. Kinder haben manchmal Angst, sich zwischen den Ängsten der Eltern und denen der Erzieherinnen positionieren zu müssen.

Wer hat Angst vorm schwarzen Ma…?

Halt, stopp, das sagt man nicht mehr. Nicht, weil sonst der gefürchtete, schwarzgekleidete Mann kommt, der mit der Sense unterwegs ist und zu Pestzeiten als „schwarzer Tod“ seinen Auftritt hatte. Man sagt das nicht mehr und spielt es nicht mehr, weil man Angst hat, jemand könne denken, man meint jemanden, den man aufgrund besonderer Merkmale… Hat man zwar nicht gemeint, aber sicher ist: Nicht sagen und nicht spielen.

Wann geht es endlich um Sicherheit, das Gegenüber von Angst?

Jetzt. Gesichert ist, dass das Wort vom lateinischen „securus“ kommt, genau wie totsicher und sicherlich und die beliebte Antwortfloskel: „Na sicher!“

Doch was hieß das Wort ursprünglich? Etwa „frei von Gefahren“? Nein, die Römer waren viel moderner, als wir denken. „Securus“ kommt aus der Rechtssprache und bedeutet „frei von Schuld“ oder „nicht haftpflichtig“. Sicherheit hieß schon immer: frei von der Gefahr, Ärger zu kriegen.

Noch ne Frage?

Ja. Was ist Muffensausen?

Muffen sind Rohrenden. Auch unser körpereigenes Rohrsystem im unteren Baubereich hat ein Rohrende. Unter Einfluss großer Angst kann sich dort ein schneller, unkontrollierbarer Abfluss bemerkbar machen – ob man das nun Sausen nennt oder nicht. Klar?

Upps, noch ne Frage nach Redaktionsschluss: Ändert Corona alles, auch diesen Text?

Na ja. Was sich ändert: 2020 dürfte die Angst, mit der Flüchtlingskrise überfordert zu sein, vom ersten Platz in den Angst-Charts verdrängt werden. Und ob „engster Familienkreis“ und „Angst“ jetzt nicht mehr – oder jetzt erst recht – zusammengehören, muss jeder angesichts von Kontaktsperren selbst entscheiden.

Foto: knallgrün, photocase.de

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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