Aus aktuellem Anlass: Langjährige wamiki-Leser:innen kennen ihn schon: Kitaleiter Trampe, der 2016 die Leitung der Kita „Schneckenhaus“ übernahm, den Kindergarten „wieder großartig“ machen wollte und am Ende kleinlaut von dannen schlich…
Und dann war Trampe wieder da. Nicht plötzlich, er lungerte schon monatelang vor der Kita herum und quatschte täglich die Eltern an, wenn sie ihre Kinder brachten. Ob sie ihn nicht vermissen, fragte er scheinheilig. Wenn die dann mit ihrem Keine-Zeit-Blick an ihm vorbei zogen, polterte er oft hinterher: „Das bleibt mein Haus, ich lasse es mir nicht stehlen!“
Bei den jährlichen Elterngesprächen gab er sich als Pate von Miri und Jerri aus. Er bestand darauf, dabei zu sein, auch wenn die Eltern nichts von dieser Patenschaft wissen wollten. Und auf jeder Elternabend-Einladung stand plötzlich mit krakeliger Edding-Schrift: „Punkt 1a: Wiedereinsetzung des rechtmäßigen Kitaleiters Trampe“.
Das war so ein Stress, dass jemand vom Träger sich mit der Elternvertretung ins Benehmen setzte und fragte, was man denn da machen könne. Um Ruhe reinzukriegen, beschloss der Trägerausschuss schließlich schweren Herzens, Trampe die Kita wieder leiten zu lassen. Dagmar, die bisherige Leiterin, war eh durch das Theater im Burnout gelandet. „Vielleicht hilft es“, sagte Prälat Knödler vom Gemeindeausschuss schließlich salbungsvoll, „wenn man solche Leute und ihre Anhänger nicht ausgrenzt, sondern ihnen eine Chance gibt, sich zu beweisen.“
Nun zog Trampe also mit großem Pomp wieder in sein Büro ein und wollte erst mal alles umkrempeln. Dem Raum sah man das schnell an, denn Ordnung konnte Trampe nicht.
Danach kam die Kita dran. Hedda und Hernandez flogen am ersten Tag aus dem Team und wurden durch Trampes Nachbarin Käthe und deren Tochter ersetzt, die er als Babysitter seiner Kinder während eines Kinobesuchs Anfang der Neunziger zu schätzen gelernt hatte. Seine Tochter Imelda setzte er als Erzieherin der Schildkröten-Gruppe ein, mit zusätzlicher Fachberatungs- und Überwachungsfunktion für die Elefanten-Gruppe, denn das seien „ganz unsichere Kantonisten“.
In den ersten Tagen waren die Kinder völlig durch den Wind und ließen sich kaum beruhigen. Imelda kiffte draußen hinterm Klettergerüst, und Trampe versuchte, uns mit markigen Sprüchen zu motivieren.
Eines Tages entdeckte er das Thema Pädagogik und ließ alle Bücherkisten durchforsten: Erst kamen Bilderbücher weg, in denen freche Mädchen die Hauptrollen spielten. Trampe ersetzte sie durch Enid-Blyton-Bücher aus den Fünfzigern. Als wir sagten, dass die Kinder doch noch keine Romane lesen, fragte er patzig: „Soll ich Ihnen Ihren Job erklären?“ Über ein Bilderbuch regte er sich besonders auf: „Ist die jetzt ein Mädchen oder eine Junge? Und wieso verwandelt die sich in einen regenbogenfarbigen Schmetterling? Weg mit der woken Raupe Nimmersatt!“ Wir mussten Abbitte leisten und zur Läuterung mit unseren Gruppen im Morgenkreis tagelang alle Strophen von „Drei Chinesen“ singen. Mit Umlauten und Ypsilon!
Manches kannten wir schon von früher. Wie bei Corona gab es wieder geschlossene Gruppen, die sich nur trafen, wenn sie bei den „Kitajugend-Spielen“ wöchentlich gegeneinander antraten, um den Wettbewerb zu stärken. Auf einem riesigen Display konnte man lesen, dass die „Kampfbereiten Bussarde“ gerade gegen die „Mächtigen Adler“ – scheiß neue Gruppennamen! – mit 256 Punkten führten. Wenn man denn lesen konnte…
Die Kinder waren verwirrt. Zwar gab es keine Verbote mehr, aber sie verstießen dauernd gegen irgendwelche Regeln. Doch manche checkten schnell, dass das neue System neue Möglichkeiten bot: Zum Beispiel konnte man als Gruppenführer der „Mächtigen Adler“ nicht nur über die Gruppenmitglieder bestimmen, sondern sich beim Essen auch die besten Stücke rausfischen und den Tischspruch auswählen: „Zickezacke Kinderkacke!“
Zunehmend wurde es ungemütlich bei uns. Ewige Bauarbeiten nach dem unbedachten Abriss tragender Wände unter der Turnhalle, und trotz „strengster Haushaltssperre“ wurden täglich neue Möbel angeschafft, die dann unausgepackt die Räume füllten.
Der neu installierte „Stabsstellenleiter für die pädagogische Koordination“, vorher als Gemeindearbeiter Fritz bekannt, nervte uns mit unklaren Anweisungen, die er am nächsten Tag auf Befehl von Trampe wieder zurücknahm und angeblich nie geäußert hatte. Schuld waren immer wir, erfuhren wir in täglichen Personalgesprächen, in denen es nicht nur zu Abmahnungen kam, sondern auch zu Spontan-Entlassungen ganzer Gruppen-Teams, die Trampe kurz darauf aufhob und höchstselbst ins Telefon flötete: „Könnten Sie sich vorstellen, trotz Ihrer Entlassung wieder für uns tätig zu werden?“
Aber es war nicht alles schlecht. Als unsere Kita den Kitapreis bekam, waren die Eltern und Kinder überglücklich. Obwohl ein bisschen Schmu dabei war. Wegen des Turnhalleneinsturzes mussten wir das Bewerbungsvideo im Nachbarkindergarten drehen.
Doch dann, das muss man sich mal vorstellen, stürzte unser Chef über seinen eigenen Erfolg. Das war der Tag, an dem Trampe uns befahl, alle Kapla-Steine wegzuwerfen, weil der Bruder seines Schwagers uns selbsterfundene dreieckige Legosteine aus der Insolvenzmasse seiner Firma verkauft hatte. Für 65.000 Euro! Aber Trampe hatte nicht bedacht, dass die Gruppenführer der „Mächtigen Adler“ ihre gewaltigen Verteidigungsburgen ausschließlich aus Kapla-Steinen bauten. Als Trampe in den Bauraum kam und die Steine von seinem „Stabsstellenleiter“ Fritz wegkarren lassen wollte, attackierten ihn die Kinder mit scharfen Kapla-Schüssen. Seit der Abschaffung des Waffenverbots in der Kita bauten sie nämlich immer bessere Zwillen.
Trampe griff sich schmerzerfüllt ans Ohr und brüllte: „Kämpft, kämpft!“ Das verstanden zwei Mädchen als Aufforderung und warfen ihm das Buch „Nesthäkchens Backfischzeit“ in den Nacken. Trampe ging hinter Fritz in Deckung und jaulte: „Mit euch spiel ich nie wieder!“ Danach drehte er sich um und rannte davon, immer weiter weg, bis man nur noch ganz hinten ein orangerotes Pünktchen erkennen konnte. Seitdem ist Ruhe.
Fotos: : t a g s t i l e s . c o m / P h o t o c a s e