Pädagogische Märchen – aus #wamiki 3/2017

In unserem pädagogischen Fachmagazin probieren wir immer wieder neue Formen aus. Michael Fink, Fortbildner und Autor der ersten Stunde, hat deshalb für #wamiki 3/2017 „Komm heim“ mehrere Märchen geschrieben. Im Heft geht es ja vor allem um Heimat, Fremde und Identität und da passen Märchen ganz wunderbar. Wer denkt nicht bei Heimat an die Hausmärchen der Gebrüder Grimm? Märchen sind eine bedeutsame und sehr alte Textgattung, in denen von wundersamen Begebenheiten erzählt wird. Wundersame pädagogische Begebenheiten? Aber lest selbst!

Die steinerne Hortnerin

Kennt ihr den grauen Felsen, der sich hoch im Walde über der Straße nach Oberniederdorf in den Himmel reckt? Vor langer Zeit soll hier einmal ein gewaltiger Hort gestanden haben, in dem viele brave Weiber und ein einziges Männlein namens Herr Neumann auf all die kleinen Kinder aufpassten. In diesem Horte schaffte auch ein kräftiges Weib mit dem Namen Frau Kappler und folgte dem Wahlspruch: „Ick hab se noch alle rumjekricht!“

Nun gab es aber im Hort ein Kind, das alle die Unbeirrte Undine nannten. Das Mädchen sagte statt Ja und Amen immer nur Nö und Glaubichnicht.

Eines Tages rief Frau Kappler die Kinder zum Spät­hort-Aufstellen, aber die Unbeirrte Undine spielte weiter Gummihopse. „Kommste jetzt oder brauchste ne Extra­einladung?“ fragte Frau Kappler, aber die Unbeirrte Undine sagte: „Nö.“

„Pass ma uff, Frollein“, erboste sich die Hortnerin da, „ick kann warten, und wenn ick hier Wurzeln schlage!“ „Glaubichnicht!“ erwiderte die Unbeirrte Undine.

Das erzürnte Frau Kappler so sehr, dass sie auf der Stelle zum Fels erstarrte, an der sie heute immer noch steht. „Selbst Schuld“, sagte die unbeirrte Undine, hopste noch ein bisschen und vergaß die ganze Geschichte alsbald.

Das Märchen vom reichen Land ohne Erzieher

Es war einmal ein Königreich, das hatte alles, was man sich nur wünschen konnte: Güldene Kutschen, immer satte Menschen und breit grinsende Kinder in Stuben voller Unterhaltungselektronik. Alles besaßen die Menschen in diesem Königreich – nur nicht genug Erzieherinnen und Erzieher, die auf ihre wohlgenährten Kinder aufpassen.

Den König betrübte das. Er rief die klügsten Professoren, die teuersten Berater zusammen und befahl ihnen, pädagogische Fachkräfte herbeizuschaffen. Man müsse, sagte der erste Berater, die Bürstenverkäuferinnen auf dem Markt ansprechen und umschulen. Eine Image-Kampagne für viele tausend Taler sei der einzige Weg, wusste der zweite, ein eindrucksvoll bebrillter Berater.

Umherirrende Rentnerinnen anlocken und zum Arbeiten in den Kindergarten schicken, schlug ein Professor vor, ein sinisteres Männchen mit Rauschebart.

Das hörte eine Zofe, die die Kinder der hohen Herren betreute, und sagte: „Ich hätte einen Rat, mein König. Gebt den Menschen, die Kinder erziehen, einfach die anderthalb- bis zwiefache Menge Taler.“

Da schlug sich der König lachend auf die Schenkel und sprach: „Danke, dass ihr mich so erheitert habt, gute Zofe. Doch nun geht wieder zu den Kindern, ich habe Wichtiges zu bereden.“ Und die hohen Herren beratschlagten weiter – wohl bis zum jüngsten Tag.

 

Mehr pädagogische Märchen gibt es in #wamiki 3/2017

Foto: Pencake/photocase.de

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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