Was ist Demokratie in der Kita?

Den Artikel gibt es hier als PDF: Demokratie_#1_2024

 

Jedenfalls nicht die Kindervollversammlung. Das würden kleine Kinder nie von selbst machen. Ihr eigentliches Thema ist, selbst zu bestimmen, was die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse anbelangt. Sie entscheiden selbst, ob sie schlafen wollen oder nicht, ob und was sie essen, ob, wann, wie lange, mit wem und wo sie spielen, wann sie zur Toilette gehen, und die Jüngsten entscheiden natürlich auch, wer sie wickeln darf. Das ist Selbstbestimmung und gehört für mich zur unmittelbaren Demokratie.

Wenn ich als Erwachsene zur Wahl gehe, entscheide ich vorher auch selbst: Gehe ich überhaupt hin oder nicht? Das heißt: Ohne Selbstbestimmung gibt es keine Demokratie. Das gehört einfach zusammen.

Selbstbestimmung, was ihre unmittelbaren Bedürfnisse betrifft, müssen Kinder im Alltag erleben. Sonst handelt es sich um Vorstellungen Erwachsener, die sie den Kindern überstülpen. Als meine Enkelin in der ersten Klasse war, hat sie mal rückblickend gesagt: „Es ist komisch. In dem einen Kindergarten mussten wir immer zum Morgenkreis gehen und Experten wählen. In dem anderen Kindergarten konnten wir immer gleich spielen. Ich glaube, in dem ersten Kindergarten haben die uns die Zeit geklaut.“

Es wäre allen Kinder zu wünschen, dass sie in der Kita erleben: Ihre Meinungen und ihr Mitmachen werden gebraucht, um Probleme zu lösen, die sie und andere Kinder gemeinsam betreffen. Im Frühdienst hatten wir zum Beispiel das Problem, dass die Kinder die obere Etage bis 8.30 Uhr nicht nutzen konnten, weil eine Kollegin im Bereich für die Jüngsten zuständig war und die andere die älteren Kinder im Erdgeschoss empfing. Aber in dieser Zeit war der Bauraum in der ersten Etage für einige Kinder der beliebteste Raum. Da haben wir mit ihnen beraten, was wir tun könnten. Die Kinder schlugen vor, ein Treppenschild aufzuhängen. Wenn das Schild hängt, sagten sie, können alle Kinder nach oben gehen, weil dann eine Erwachsene da ist. Hängt es nicht, muss das Kind, das in die erste Etage will, die Erzieherin fragen, ob es hochgehen kann. Noch am gleichen Tag wurde das Treppenschild angefertigt und aufgehängt. Alle, die die Treppe benutzten und nichts über die Funktion des Schildes wussten, wurden von den beteiligten Kindern darüber informiert.

Will ich Kinder an einer Entscheidung beteiligen, die nicht ihre unmittelbaren Bedürfnisse betrifft, kann ich das tun und muss damit leben, dass nur die Kinder mitmachen, die das interessiert. Es gibt nämlich auch ein Recht auf Nichtbeteiligung. Ich muss diesen Prozess gut vorbereiten und die Entscheidung akzeptieren, die die Kinder getroffen haben. Das kann auch eine Mehrheitsentscheidung sein. Kinder haben selten ein Problem damit, Mehrheiten zu akzeptieren, wenn sie sich selber in wechselnden Situationen als Bestimmer und als Mitbestimmer erleben. Aber darüber, ob ein Kind viel oder wenig essen will, neben wem es gerade sitzen möchte oder mit wem es spielt, kann es keine Mehrheitsentscheidung geben. Das muss klar sein.

Erwachsene bestimmen und entscheiden sowieso pausenlos. Zum Beispiel können Kinder sich nicht aussuchen, ob sie überhaupt in den Kindergarten gehen oder nicht, auf welche Kinder sie dort treffen und mit welchen Erwachsenen sie es dort zu tun haben.

Die „Höchststrafe“ für ein Kind ist doch, wenn andere Kinder sagen: „Du spielst heute nicht bei uns mit.“ Was macht das Kind nun?

Kinder müssen sich also ständig arrangieren, anpassen und kreativ sein, um mit anderen Kindern klarzukommen und zu spielen, denn das ist ja ihr „Beruf“. Diese Anpassungsleistung, die sie täglich erbringen, schätzen Erwachsene kaum. Unsere Aufgabe ist es, dafür eine beteiligungsfreundliche Atmosphäre zu schaffen und die Kinder nicht mit irgendwelchen Vorstellungen zu belasten, die nicht in die Kita gehören.

Kurz: Für mich ist Demokratie in der Kita gelebte Selbstbestimmung der Kinder über ihre unmittelbaren Bedürfnisse und Mitbestimmung über Angelegenheiten, über die sie tatsächlich mitentscheiden können. Übrigens kommt dabei meist etwas Besseres heraus, als Erwachsene manchmal annehmen.

Und: Alle Erwachsenen, die in der Kita mit den Kindern zusammenleben, müssen ihnen vorleben, wie partizipativ sie selber miteinander, im Team und mit den Eltern der Kinder umgehen. Wenn die Fachkräfte dann noch erleben, dass ihr Sachverstand von ihren Trägern gebraucht wird und sie in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, ist für mich die Demokratie in der Kita „rund“.

 

Foto: Kita „Menschenskinder“ Berlin

10 Fragen

 

an Dietmar von der Forst

Wann bist du glücklich?

Wenn ich auf der Bühne rumwuseln kann.

Was regt dich auf?

Unpünktlichkeit.

Was fällt dir ein, wenn du an deine Kindheit denkst?

Drei Geschwister, viel Blick ins Grüne.

Was kannst du von Kindern lernen?

Unbeschwertheit und Spontanität.

Was schätzt du an einem Menschen am meisten?

Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit.

Was kannst du am besten?

Gute Atmosphären schaffen.

Was kannst du überhaupt nicht?

Alles, was mit Büro und Zahlen zu tun hat.

Auf welchen Gegenstand kannst du verzichten?

Auf ein Auto.

Wenn du plötzlich eine Stunde geschenkt bekämst – wofür würdest du sie nutzen?

Um auf die Bühne zu kommen.

Was wünschst du dir?

Zufriedenheit.