Kurze Rede zum vermeintlichen Ende einer Fliege
Tut mir leid, meine Liebe, du wirst jetzt gleich hin sein.
Wir sind hier schließlich nicht bei Buddhistens.
Bei Buddhistens, das ist ein Kontinent weiter.
In Tibet, da lässt man sich so etwas bieten,
die würden dich, Fliege, die ganze Nacht
rumsummen lassen nach Herzenslust.
Bei Buddhistens ist das normal, die summen
ja selber rund um die Uhr ihre Oms,
ihre O mani padme hums, diese Priester.
Und wo andauernd irgendwo rumgesummt wird,
da fällt ein Gesumme mehr oder weniger
gar nicht groß auf. Doch wir sind hier bei Christens.
Da wird nicht gesummt. Da wird nachts geschlafen.
Daran hat sich auch eine Fliege zu halten.
Glaub bloß nicht, ich hätte was gegen euch Fliegen.
Normal tu ich keiner etwas zuleide.
Doch ich will jetzt schlafen, und du willst jetzt summen.
Ich hab die Patsche, und du bist der Brummer,
du oder ich, tut mir leid, meine Liebe:
Da!
Bsssss
Scheiße!
Kein Heft ohne Gedicht.
Diesmal aus: Robert Gernhardt: Gesammelte Gedichte. S. Fischer Verlag, S. 486
Ausgesucht hat es Marie Sander.
Foto: Erik Karits, unsplash