Das pädagogische Wir

Pädagogik aufräumen:

Pädagogik lebt von Ritualen, heißt es. Erzieher, Lehrer und *innen machen alles Mögliche, weil es nun mal derzeit üblich oder sogar vorgeschrieben ist. Egal, ob es Sinn hat oder nicht. Sinnvoll ist es aber auf jeden Fall, ab und zu auszumisten. Deswegen stellt diese Rubrik pädagogische Gewohnheiten aufs Tapet und fragt ganz ergebnisoffen: Ist das päda­gogische Kunst, oder kann das weg?

Das pädagogische Wir

Keine Ausdrücke verwenden! Nicht in der Garderobe toben! Warten, bis man dran ist: In jedem Kindergarten gibt wichtige Regeln und manchmal vielleicht auch ein paar unwichtige. Dass diese Regeln für alle Kinder gut sind, sagt das pädagogische Wir. Wie freundlich und selbstverständlich das klingt: „Wir verwenden keine Ausdrücke!“ „Wir toben nicht in der Garderobe!“ „Wir warten, bis wir dran sind!“

Leider hört man dieses nette Wir meist, wenn es nicht ganz stimmt, weil jemand gegen eine der Regeln verstößt: „Jara, wir verwenden keine Ausdrücke!“ Doch die Wir-Form weist eine sprachliche Doppeldeutigkeit auf. Wir heißt im Deutschen einerseits: „Ich, du und alle anderen“, andererseits aber auch „Ich und alle andern – außer dir!“ Wenn Jara gerade „Kakamann“ gesagt hat, wechselt die tadelnde Erzieherin blitzschnell von der ersten zur zweiten Bedeutung. Statt „Das machen wir nicht“ heißt es plötzlich: „WIR verwenden keine Ausdrücke. DU schon“. Das klingt wie: „Du gehörst nicht dazu.“

Ist das nur ein sprachliches Problem? Nein. Wer die Einhaltung von Regeln anmahnt, sollte vermeiden, Personen wegen eines Regelverstoßes auszugrenzen, denn das macht die Sache eher schlimmer. Außerdem suggeriert manches „Wir“ ein Einvernehmen, das es gar nicht gibt: Die meisten Kinder haben kein Problem mit dem Toben in Garderoben, die ErzieherInnen schon. Wir gegen wir.

Was kann man tun, um die Einhaltung von Regeln anzumahnen? Präzise bleiben und benennen, wer „Wir“ ist. „Wir alle mögen es nicht, mit Ausdrücken benannt zu werden. Wir Erzieherinnen finden es gefährlich, wenn ihr Kinder hier tobt.“ So können wir Erwachsene dazu beitragen, dass alle über notwendige und fragwürdige Regeln ins Gespräch kommen.

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

Einen Kommentar schreiben

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.