Kinderbuch der Woche: Andersrum?

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

Andersrum?

Kinder beschäftigen sich ja nur noch – wisch und weg – mit ihren Smartphones oder Handys. Aber Juri hält Frau Asperilla stolz ein nett verpacktes Geschenk vor die Nase, um es ihr zu zeigen. Sie grabscht sofort danach, reißt die Verpackung ab und stellt enttäuscht fest: „Oje, ein Buch!“ Doch Juri will es trotzdem mit ihr anschauen. Frau Asperilla nimmt das Buch in beide Hände, wartet, dass etwas passiert, und wundert sich, dass es keinen Ton von sich gibt. Geduldig erklärt Juri ihr, dass man das Buch vorlesen muss, Seite für Seite. Das findet Frau Asperilla sonderbar: Man hört nicht, wenn es klopft. Man hat keine Auswahl, wie es weitergehen soll. Man ist dem Buch auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, auch wenn die Maus das Monster frisst. Statt umgekehrt.

Genervt greift Juri schließlich selbst zu dem Buch. Zwar kann er noch nicht lesen, doch die Geschichte erschließt er sich von Bild zu Bild: Wie die furchtlose Maus das Ungeheuer frisst, das sie nicht ins Haus lassen will, und wie sie den dreiköpfigen Drachen besiegt, der sie fressen will.

All das passiert nur, weil die Maus am Morgen die falsche Abzweigung erwischt hatte und nach links statt nach rechts gegangen war. Am nächsten Tag landet sie endlich bei sich zu Hause. Als sie der Familie erzählt, dass sie falsch abgebogen war, müssen die Mäusekinder lachen, denn das Haus der Familie liegt – von der Maus aus betrachtet – links. Da stellt die Maus fest: „Das kommt darauf an, von welcher Seite man es anschaut.“

Es geht also um ein Verwirrspiel übers richtige Hinschauen und Entscheiden. Und es geht um die Perspektive, die jemand einnimmt: als Maus, als Kind, als Erwachsener. Mit einem Buch oder mit einem Smartphone. Das merkt auch Juri. „Ja: Andersrum ist´s andersrum.“

Mit ihrem krakelig wirkenden, vereinfachenden Stil betont Miriam Zedelius die Komik der verschachtelten Geschichte, die Kinder wie Erwachsene mit der Frage zurücklässt: Ja, wie rum ist es denn nun richtig? Diesen hintersinnigen Spaß in Wort und Bild empfiehlt

Kinderbuch der Woche: Wolf, Ente und Maus

Eine kurze Geschichte für kluge Kinder und Philosophen

Eines Morgens trifft eine Maus einen Wolf, der sie frisst. Damit ist die Geschichte jedoch nicht beendet, denn der Wolf hat die Maus lebend verschlungen.

Mit ihrem lauten Klagen stört die Maus eine Mitbewohnerin im Wolfsbauch, nämlich die Ente, die schlafen will. Weil die Maus erklärt, es sei draußen Morgen, bietet die Ente erst einmal Frühstück an: gedeckter Tisch, Stühle, Tischtuch, Marmelade. „Du wirst dich wundern, was man in einem Wolf so alles finden kann“, sagt die Maus zufrieden und erzählt, sie habe draußen immer Angst gehabt, von einem Wolf gefressen zu werden. Die Sorge habe sie nun nicht mehr. Das überzeugt die Maus. Höflich fragt sie, ob sie bleiben darf. Klar – und das feiern die beiden mit Wein und Leckereien, so dass dem Wolf ganz schlecht wird. Das lockt einen Jäger an, doch der schießt daneben. Aber der arme Wolf ist so fertig, dass er nicht fliehen kann. Aus seinem Maul blasen Maus und Ente zur Attacke und vertreiben den Jäger. Der dankbare Wolf will sich bei den beiden revanchieren: Sie haben einen Wunsch frei. Natürlich wünschen sie sich, im Wolfsbauch wohnen bleiben zu dürfen. Seitdem heult der Wolf nachts immer den Mond an.

Seit Jona im Bauch des Wals gelandet war, hat sich niemand jemals Gedanken darüber gemacht, wie es dem Wal damit erging. Zwar waren die Größenverhältnisse anders – doch Jona war schon ein großer Brocken für jemanden, der sonst nur Krill frisst. Aber das ist eine andere Geschichte…

Die Geschichte „Der Wolf, die Ente und die Maus“ ist vorwiegend in Brauntönen mit gebrochenem Weiß gehalten. Ein wenig Rot, Orange und Grün gibt es nur im Bauch des Wolfes. Jon Klassen braucht nicht viele Farben und auch nur wenige, sehr abstrahierende Bilder, um die Geschichten zu erzählen. Trotzdem verstehen Große und Kleine sie auf wunderbare Weise.

 

Langsam leben

Bilderbuch

Die Zeit vergeht langsam in der Bergbausiedlung am Meer, wo die Bergleute tief unter dem Meer nach der Kohle graben. Das immer Gleiche an diesem Ort ist für den Jungen etwas Beruhigendes, Verlässliches: Der Vater, der jeden Morgen das Haus verlässt, die Mutter mit dem Baby in dem sonnendurchflutetem Zimmer mit Blick aufs Meer, dessen Glitzern und Funkeln im starken Kontrast zu den rhythmisch wiederholten Doppelseiten steht, die die fast völlige Schwärze der Kohle unter dem Meer zeigen, die schwach beleuchteten Bergleute, eingezwängt unter der dunklen Last. „Und tief drunten unter dem Meer gräbt mein Vater nach Kohle.“

Zwar hat der Gedanke an den Vater dort unten im ewigen Schwarz etwas Bedrohliches, aber es liegt auch eine Sicherheit darin, weil die Kohle Arbeit gibt. Für den Jungen ist ganz klar, dass er später auch hinunter fahren wird in die Dunkelheit der Flöze.

Die einfachen Linien, in denen das Alltagsleben der kleinen Familie geschildert wird, begleiten Farben, die an Erde, Sand und Holz erinnern. Das Leben über der Kohle ist licht und erscheint leicht. Das Vergehen der Zeit zeigen die Schatten der Fensterkreuze auf den schlichten Dielen.

Lange spielt der Junge mit seinem Freund auf dem Spielplatz über dem Meer. Nachmittags geht er gemächlich den kurzen Weg zum Einkaufen in die kleine Stadt. Er berichtet von einer Welt, die in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts angesiedelt ist: realistisch, bodenständig, ohne viele äußere Reize, eingebettet in eine Landschaft, die trotz der industriellen Einsprengsel von großer, gelassener Schönheit ist.

Die vier Doppelseiten, auf denen ein riesiger, tiefschwarzer Block die drückende Macht der Kohle, die Enge der Flöze und die Tapferkeit der Menschen darstellt, die da arbeiten, stehen für die dunkle Unterwelt, den Hades, die Schwere der Arbeit, während die Oberwelt das Leben der kleinen Familie so flirrend, leicht und licht erscheinen lässt. Das Leben ist langsamer als das heutiger Kinder, gelassener, mit großen hellen Freiräumen.

Ein anrührendes Bilderbuch über eine Welt, die es so nicht mehr gibt. Aber es gibt die Möglichkeit, sich auf ruhige Einfachheit zu besinnen.

Unbedingt vorlesen!

Helfen

Bilderbuch

Das zweite Buch in der gleichen Maltechnik erschien viele Jahre zuvor in Kanada. Die Geschichte von Großmutter und Enkel ist in bräunlich-roten Herbstfarben gehalten, mit kräftigem Pinselstrich aufgetragen, und zeigt die beiden beim Hagebutten-Sammeln. In großer Gelassenheit – man meint, die Langsamkeit sehen zu können – helfen Großmutter und Enkel einander beim Überqueren eines Bachs und bei der Hagebutten-Ernte.

Wie im Band „Warten“ spielt sich die Handlung in der Gegenwart ab: Man fährt mit dem Auto in die Natur, kommt aus einer modernen Wohnung, trägt einen zeitgemäßen Rucksack und erkennbar moderne Kleidung.

Diesmal endet das Buch mit der Zubereitung eines Hagebuttentees.

 

Warten

Bilderbuch

Die kleine Geschichte kommt mit wenigen Worten aus und präsentiert sich in großformatigen, in hellen Frühlingstönen gehaltenen Gemälden auf Leinwand, deren Struktur auch im Druck noch erkennbar bleibt. Fast glaubt man, sie zu tasten…

Ein Enkel berichtet vom Ausflug mit Großmutter und Mutter in Bildern, die durch Gesten und die Mimik der drei handelnden Personen und eines verspielt herumtol­lenden Hundes in Bewegung kommen. Die Malerin Caitlin Dale Nicholson fängt sie zwar wie mit einer Kamera ein, doch sie betonen die Langsamkeit der Geschichte: „Ich warte.“ „Mama wartet.“ Großmutter geht auf der Wiese umher, der kleine Ich-Erzähler beobachtet sie aufmerksam. Dann gehen er und die Mutter auch umher. Alle drei beten, für sich und in sich versunken, bevor sie beginnen, weiße Blüten zu pflücken. Während die Sträuße des Ich-Erzählers und der Großmutter immer größer werden, bläst die Mutter Pusteblumen in die Luft, als habe sie alle Zeit der Welt. Und die hat sie auch!

Auf der letzten Seite erfahren wir anhand eines Rezeptes für die Zubereitung von Schafgarbentee, dass die drei blühende Schafgarbe gesammelt haben.

Das Buch erschien in Kanada – auf Englisch und in der Sprache der Cree, eines der indigenen Völker Nordamerikas. Diese Sprache wird in der klassischen lateinischen Schrift und in der Silbenschrift dargestellt.

Das Kinderbuch der Woche: Spielwörter und Wörterspiele

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

 

Schon im Vorwort sagt Christoph Niemann, dass Zeichnen und Schreiben für ihn eng verbunden sind. Das macht den Witz der 352 Seiten voller Wörter und Zeichnungen aus. Auf Seite 9 steht nur das Wörtchen „ich“. Darüber ein äußerst reduziertes, lächelndes Gesicht, das sich in einem Rechteck spiegelt.

Manche Zeichnungen stehen allein auf einer Seite. Zum Beispiel ein Mann. Auf der Seite gegenüber ist ein Junge zu sehen, in der gleichen Kleidung wie der Mann, aber sie ist dem Jungen viel zu groß. So interpretiert und deutet Christoph Niemann das Wort „Mann“.

Es macht Spaß, das dicke Buch durchzublättern, wenn man schon lesen und sich Seite für Seite den Zusammenhang zwischen Wort und Bild erschließen kann. Liest jemand die Wörter vor, können jüngere Kinder die Zusammenhänge beim Blättern leicht entschlüsseln und ganz nebenbei sogar ein wenig Lesen lernen: Bilder und Wörter lesen.

Je nach Temperament und Sprachgefühl werden Kinder, die die Geduld haben, verlockt, sich dicke Wälzer wirklich anzuschauen, und finden jede Menge Ideen zu Zeichnungen und Wörtern. Wer weiß, worauf sie dabei kommen…

 

Das Kinderbuch der Woche: Baby in See-Not

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

Die Geschichte vom Baby, das aus großer Gefahr gerettet wird, spielt in alten Zeiten, als an menschenleeren Stränden Jungen in langen Badeanzügen Drachen fliegen ließen. Strandhäuschen aus Stoff standen im Sand, an der Uferpromenade bildeten weiße Villen den Hintergrund – wie auf alten Postkarten.
Niemand merkt, dass ein hochrädriger Kinderwagen ins Rollen kommt. Strandhäuschen und Liegestühle sind verlassen; die Jungen laufen dem Drachen hinterher. Das Baby in seinem Wagen haben sie vergessen.
Da rollt der Wagen ins Meer und wird von den Wellen erfasst. Das Baby findet das ebenso lustig und wie die Lieblingsspielsachen, die mit an Bord sind. Sie geben dem Baby das Fläschchen.
Doch der Wind wird immer stärker! Panda und Puppe passen auf das Baby auf, der alte Hase ist seekrank. Das Meer braust, ein Sturm zieht auf. Verzweifelt versuchen Puppe, Panda und Hase, den Wagen über Wasser zu halten. Nach dem Sturm beruhigen sie sich, lassen sich trocknen, spielen und essen.
Als es Abend wird, nimmt der Wagen wieder Fahrt auf. Ein riesiger Fisch zieht ihn zum mondbeschienenen Strand. Panda und Hase trommeln alle Spielsachen des kleinen Badeortes zusammen, die den Kinderwagen mit vereinten Kräften in Sicherheit bringen.
Endlich stürmen Menschen mit Taschenlampen herbei. Unbemerkt stehen die Spielsachen in dunklen Ecken und schauen dem Treiben zu.
Wogende Wellen, lebhaft bewegte Kinder und Spielsachen in klaren Farben machen diese aufregende Geschichte zu einem bunten Abenteuer, das gut endet und wirkt, als wäre es vor 100 Jahren gemalt worden.

Das Kinderbuch der Woche: „Der Junge im Rock“

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Echte Jungs tragen keine Röcke?

Felix mag Röcke. Wo er bisher aufwuchs, störte das niemanden, er fiel nicht auf. Aber in dem neuen Kindergarten ist das anders. Die Eltern zögern lange, bevor sie ihm erlauben, seinen roten Lieblingsrock auch hier anzuziehen.
Doch es kommt so, wie die Eltern wahrscheinlich befürchtet hatten: Er wird abgelehnt, ist für die anderen „kein echter Junge“. Seinen Eltern wird vorgeworfen, sie seien schlechte Eltern, weil sie zulassen, dass er Röcke trägt.
Für Felix bricht eine Welt zusammen. Er kann nicht verstehen, warum er keine Röcke anziehen soll, die ihm gefallen, weil er sich darin frei und beweglich fühlt, besser rennen und klettern kann. Warum dürfen Mädchen Hosen anziehen, aber Jungs keine Röcke?
Felix traut sich nicht mehr in den Kindergarten. Da kauft sein Vater sich einen langen, grünen Rock. Tagelang spazieren die beiden in ihren Röcken durch die Stadt und trotzen bösen Blicken.
Schließlich traut sich Felix wieder in den Kindergarten. Papa begleitet ihn in seinem grünen Rock. „Heute darf jeder einen Rock tragen, hat dir das niemand gesagt?“ fragt Felix einen verwunderten Jungen. Als der sagt, das Jungs immer Hosen anziehen müssten, antwortet Felix nur: „Und Mädchen immer Röcke?“ Schließlich ist die Welt für Felix wieder in Ordnung: Er ist „Der Junge im Rock“ und lässt sich von der Meinung anderer Menschen nicht mehr beirren.
Diese kleine Geschichte beschäftigt sich mit einem immer noch bestehenden Tabu. Schlichte, im Comic-Stil gehaltene Illustrationen begleiten das zur Zeit einzige Bilderbuch zu diesem Thema, das eine Diskussionsgrundlage für alle Jungen bietet, die gerne Kleider und Röcke tragen, für ihre Freunde, die das nicht stört, und für ihre Eltern.
Halt! Ein Bilderbuch über einen Jungen, der gerne Kleider trägt, gab es schon. Die in Wort und Bild kunstvoll erzählte Geschichte von Jens Thiele heißt „Jo im roten Kleid“ und erschien 2004 im Hammer Verlag. Leider ist das Buch nicht mehr lieferbar. Wer es noch irgendwo auftreiben kann, sollte es unbedingt lesen.
Gabriela Wenke

 

Das Kinderbuch der Woche: „Ein Hund fürs Leben“

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

 

 

Ein Hund fürs Leben

7. Klasse. Auch in den Niederlanden heißt das: eine neue Schule und neue Schulkameraden. Für Parker und Sven ist es der Neustart nach einer Katastrophe.
Seit einem Jahr kämpft Sven mit der Krankheit Epilepsie und muss die 7. Klasse wiederholen. Nach einem Überfall auf den Foto-Laden ihrer Eltern versucht Parker, wieder Fuß zu fassen.
Sven will alles daran setzen, den neuen Schulkameraden nicht als sabbernder, zuckender Freak in Erinnerung zu bleiben, sondern cool rüberzukommen. Ein Anfall gleich am ersten Tag macht das zunichte.
Parker ist verstört, weil die Eltern sich von dem Schock des Überfalls noch nicht erholt haben. Ihr Vater, der angeschossen wurde, traut sich nicht mehr aus dem Hause; die Mutter versucht mühsam, den Laden und die Familie am Laufen zu halten. Deshalb denkt Parker sich Tricks aus, um drei kleine Brüder im Zaum zu halten. Zudem hat sie ihren geliebten Hund Alaska verloren, weil einer der Brüder eine Tierhaarallergie hat.
Bei der Vorstellungsrunde in der neuen Klasse behauptet sie, dass sie „Jingle Bells“ bellen kann. Das stimmt. Sie hat es mit Alaska eingeübt. Doch der neue Junge mit den epileptischen Anfällen, Sven, verpasst Parker den Spitznamen Barger (auf Englisch: Beller), was in der Schule sofort die Runde macht.
Da taucht Parkers Hund, ein Golden Retriever, so weiß wie der Schnee in Alaska, plötzlich draußen vor der Schule auf, erkennbar gezeichnet als Assistenzhund für Sven. Ausgerechnet Sven!
Die Geschichte der Kinder und des Hundes Alaska wird abwechselnd aus der Perspektive von Parker und Sven erzählt. Im Verlauf der Handlung kommen die beiden einander zwar vorsichtig näher, haben aber noch zahlreiche Herausforderungen zu bestehen, in denen Alaska keine unwesentliche Rolle spielt.
Anna Woltz ist eine umwerfend gute Erzählerin spannender Geschichten mit dem gewissen Etwas. Das macht sie zu einer herausragenden Autorin für Kinder.
Gabriela Wenke

 

Das Kinderbuch der Woche: „Als Larson das Glück wiederfand“

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

 

Als Larson das Glück wiederfand

Eines Abends klingelt es an der Tür des alten Larson. In seinem Haus, das zugewachsen ist – nicht wie Dornröschens Schloss, sondern wie ein von Wurzeln durchzogener Tierbau –, erklang die Klingel schon lange nicht mehr. Als Larson zornig öffnet, steht ein kleiner Junge vor ihm, hält ihm einen Blumentopf mit Erde hin und bittet ihn, auf die Blume aufzupassen. Verblüfft nimmt der alte Larson den Topf entgegen.

Der Junge fährt mit seiner Familie in den Urlaub, und Larson gießt – anfangs widerstrebend – die Erde im Blumentopf. Doch das weckt Erinnerungen an seine Frau, an die Bilder, die sie gemalt hatte, und an glückliche Tage.

Nun füllen Blumen seine Träume. Larson träumt, er sei ein Samen in der Erde des Blumentopfes, aus dem zauberhafte Mohnblumen wachsen. Wie der Samen seine Triebe, entfaltet sich auch Larson wieder, holt Licht und Sauberkeit in sein Haus zurück. Während die Pflanze im Topf des Jungen wächst, fasst Larson wieder Zutrauen in sich und sein Leben. Sogar der Kater, der dieses trostlose Haus verlassen hatte, kommt zurück.

Auf einer Doppelseite sieht man Larsson mit einer Laterne inmitten eines wild wuchernden Dschungels unter der Knospe einer Mohnblume stehen, die gerade aufplatzt, und nach dieser Traumsequenz entfaltet die Blüte sich Seite für Seite.

Als der Junge seinen Blumentopf mit der schönen Blüte nach dem Urlaub abholt, lädt er Larson ein, im Haus der Eltern ein Glas Wein zu trinken. Larson nimmt die Einladung an.

Emilia Dziubak hat traumhaft schöne Bilder für die Gefühle und Stimmungen des alten Mannes geschaffen. In seinem verwahrlosten, in Brauntönen gehaltenen Haus scheint er in der Erde zu versinken, umgeben von Wurzelwerk und vertrockneten Pflanzen. Licht spenden nur Erinnerungen, besonders die an seine Frau, die – jung geblieben und in Sonnenlicht getaucht – durch seine Gedanken tanzt. Doch der kleine Junge vor der Tür ist überzeugt, dass Larson sich um den Blumentopf kümmert. Dass die erblühende Pflanze den alten Mann wieder ins Leben holt, ahnt der Junge nicht.

Dieses Aufblühen hat Emilia Dziubak mit symbolischen wie realistischen Darstellungen gestaltet und ein Kunstwerk mit Tiefgang geschaffen, das die Betrachter berührt. Unbedingt anschauen – am besten mit Kindern!

 

Das Kinderbuch der Woche: „Malen für verkannte Künstler“

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

Pinsel- und Farbspiele
Mal-Buch

Man nehme das Buch, den bekannten Kasten mit sechs Wasser- oder Deckfarben – und lege los. Das ist ganz leicht und deshalb besonders geeignet für Menschen, die beim Malen Ermutigung brauchen, aber auch für diejenigen, die Lust haben, etwas dazuzulernen. Junge Künstler brauchen nicht gleich Tipps zur Perspektive oder zum Rahmen, sondern lernen lieber, wie man durch Druck auf den Pinsel zu unterschiedlichen Linien und Punkten kommt, die sich mit ein paar Strichen aus Patschen in Krallen verwandeln lassen. Sie können direkt ins Buch hineinmalen, denn der größte Teil ist auf Aquarellpapier gedruckt, und sollten schon lesen können, damit sie alle Tipps, Ermutigungen und Informationen in ihrem eigenen Tempo verarbeiten können.
Dabei entstehen Pinselspiele, in denen ein rascher Strich zu leuchtenden Farben führt, aus gedankenverlorenen Kringeln seltsame Wesen werden und nur Schwarz gebraucht wird, um ein schwarz-weißes Bild zu malen. All das und vieles mehr wirkt selbst auf Kinder, die nur ab und zu gern malen, reizvoll und anregend. Wer diesem Ideenfeuerwerk widerstehen kann, dem ist wahrscheinlich wirklich nicht zu helfen.
Leider kann das Buch nur einen Besitzer haben, weil man es nur einmal „malen“ kann. Insofern ist es ein kostbares Geschenk, aus dem ein noch wertvolleres Gesamtkunstwerk werden kann. Denn nach den „Pinselspielen“ können spielerisch ernsthafte Ausblicke auf Perspektiven gewagt, Stillleben gemalt und ganze Bildgeschichten erzählt werden.
Das Buch erschien erstmals 1992 in den USA; die überarbeitete Neuauflage kam 2017 heraus. Dennoch ist es frisch wie am ersten Tag – und sehr zu empfehlen.

Das Kinderbuch der Woche: „Fell und Feder“

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

Ungleiche Freunde

Huhn und Hund müssen gleich auf die Bühne, ihr Stück spielen. Durch einen Spalt im Vorhang kann man schon die neugierigen Zuschauer erkennen. Der Vorhang geht auf, das Buch beginnt und damit auch das Theaterstück, die Geschichte von Hund und Huhn, von „Fell und Feder“.
In der Bilderbuch-Neuzeit ist Kathrin Schärer die beste Erzählerin von Tiergeschichten in Bildern. Und Lorenz Pauli fallen tatsächlich immer wieder kleine Geschichten ein, die eine Botschaft ohne pädagogischen Zeigefinger, aber mit raffiniert doppeltem Boden haben. Komisch sind sie auch, voller hintersinnigem Humor.
Worum es geht? Huhn sehnte sich nach der großen Freiheit und floh aus dem Hühnerhof. Es wollte Abenteuer erleben und einen Schatz finden. Als es Hund kommen hört, flüchtet es – Abenteuer hin oder her – hinter einen Busch und hört, wie Hund sich etwas wünscht: einen Freund, groß und stark und schön und… Da sagt der Busch, er sei ein Wunschbusch, und – Hund hat noch gar nicht alle Einzelheiten des gewünschten Freundes aufgezählt – da wuschelt es im Busch. „Tataa!“ Das Huhn erscheint und präsentiert sich als Wunschfreund. Hund ist ein bisschen irritiert. Er hat sich den Freund ganz anders vorgestellt. Schließlich zeichnet er, wie er sich den Freund vorstellt, und hofft, dass Huhn ihm hilft, den Freund zu finden.
Also geht Huhn auf die Suche und bringt tatsächlich einen Freund auf die Bühne, aber das ist: der Hund. Während Hund noch immer nach dem idealen Freund sucht, hat Huhn schon einen Freund gefunden: den Hund. Da begreift auch Hund, worauf es wirklich ankommt und dass Huhn der beste Freund ist, den man sich vorstellen kann. Denn ein Freund, der anders ist als man selbst, ist wirklich ein Abenteuer. Nach der Theatervorstellung gehen Hund und Huhn zusammen nach Hause. „Zu dir oder zu mir?“
Eine augenzwinkernd erzählte Geschichte von einem, der auf der Suche nach dem idealen Freund ist, und dem schlauen Huhn, das Abenteuer sucht. Huhn kapiert schnell, dass es mit Hund Abenteuer erleben wird, und Hund versteht schließlich, dass seine Suche nach dem idealen Freund von falschen Voraussetzungen ausgeht.
Die Theateraufführung, in der die beiden ihre Geschichte erzählen, beweist Darstellern, Zuschauern im Saal und den Kindern, denen das Buch vorgelesen wird, dass Freunde nicht immer so aussehen müssen wie man selbst und einen anderen Charakter haben sollten, damit es nicht langweilig wird.
Ein wunderbares Buch zum Vorlesen, Anschauen und Reden. Es basiert auf der gleichnamigen Kinderoper, die Lorenz Pauli (Libretto), Randolphe Schacher und Charlotte Perrey (Musik) im Auftrag von „argovia philharmonic“ geschrieben haben.
Gabriela Wenke