Zuhause

Bilderbuch

Das Titelbild lässt vermuten, es handle sich um ein Sachbuch über verschiedene menschliche Wohnformen. Auf den zweiten Blick sieht man, dass auch Heime von Tieren dabei sind: ein Schneckenhaus, ein Bienenkorb, ein Vogelnest und ein Spinnennetz. Je länger man in dem großformatigen Bilderbuch blättert, desto mehr fantastische und märchenhafte Elemente entdeckt man: bis in kleinste Details liebevoll erfundene Unterwasser-Meeresburgen, Paläste und Schatzhöhlen aus 1001er Nacht. All das regt an, nachzudenken: Was kann alles ein Zuhause sein? Zum Schluss stellt die Künstlerin Carson Ellis sich selbst und ihr Haus vor. „Wo wohnst du?“ fragt sie den Betrachter.

Die farbstarken, mit kräftigem Strich flächig gemalten in den Details verspielt wirkenden Bilder belegen: Carson Ellis ist eine Entdeckung auf dem Bilderbuchmarkt, die genaues Hinschauen verdient und Kindern ab 4 Jahren überall Spaß machen wird – zu Hause und in der Fremde.

wamiki-Tipp: Ellis, C.: Zuhause. Aus dem Englischen von Thomas Bodmer. NordSüd Verlag 2016, 36 Seiten, 15,99 Euro, ab 4 Jahren

Ayda, Bär und Hase

Kinderbuch zum Vorlesen

Ayda lebt im Eigelstein, einem Kölner Stadtteil, in dem viele Menschen aus der Türkei, aus Griechenland und dem Iran wohnen, aus dem auch Aydas Eltern kommen. Die Kölner, hat Ayda gelernt, sind irgendwie anders als der Rest von Deutschland. Ayda findet, ihr Bâbâ sei wegen des FC Köln in diese Stadt gezogen, obwohl der Verein immer verliert. Bâbâ hat Mâmân beim Studium kennengelernt. Traurig ist Ayda, dass all ihre Cousins und Cousinen im Iran oder in Amerika wohnen und sie immer allein ist, weil sie keine Geschwister hat. Sie geht noch in den Kindergarten, ist fünf Jahre alt und ziemlich clever. Aber sie ist sehr klein. Deshalb soll sie immer mit den Kleinen spielen. Eines Tages trifft sie zwei Freunde, von denen der jüngere sehr groß ist und der ältere noch kleiner als Ayda: Bär und Hase. Die drei merken bald, das größer oder kleiner und älter oder jünger wenig darüber aussagen, ob man sich anfreunden und viel miteinander machen kann.

Humorvoll, frech und mit großer Liebe für kleine Kinder erzählt der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Navid Kermani die Geschichte von Ayda und ihren Freunden, die von überall her stammen, sogar aus dem Tierreich, aber eine gemeinsame Heimat in Köln gefunden haben. Als Kinderbuchautor ist Kermani es wert, endlich entdeckt zu werden.

Mondkaninchen

Bilderbuch

Die Kinder spielen in ihrem Garten, als das Unheil über sie hereinbricht: Der Bruder darf nicht mehr zur Schule gehen, und Papa sagt, dass das Land kaputt gemacht wird. Die Mutter und die zwei kleinen Mädchen sollen fliehen, der Vater und der ältere Bruder wollen nachkommen. Aber die Mädchen weigern sich zu gehen. Da kommen nachts Mondkaninchen und erzählen, dass sie einst vor dem bösen Wolf fliehen mussten und seitdem glücklich auf dem Mond wohnen.

Andrea Karimé und Annette von Bodecker-Büttner haben die Begegnung verschiedener Kulturen und Mythen schon in vielen Büchern mit märchenhaften und fantastischen Elementen geschildert. In dieser Geschichte, die die Heimat der Kinder in paradiesischen Bildern darstellt und auch auf Arabisch erzählt wird, liegt die Betonung darauf, den Mut zum Gehen zu haben, obwohl man viel lieber bleiben möchte.

Krähe und Bär

Kinderbuch zum Vorlesen

Der Bär im Zoo hat zwar jeden Tag mehr als genug zu fressen, aber er muss immer die gleichen kleinen Kreise drehen, hat noch nie etwas von der Welt gesehen und sehnt sich nach einem anderen Leben. Nur der frechen Krähe, die auf sein Futter aus ist, kann er davon erzählen. Eines Tages tauschen die beiden auf magische Art ihre Körper. Doch nach dem Überlebenskampf als Krähe kehrt der Bär freiwillig in seinen Käfig zurück und teilt sein Zuhause mit der freien Krähe, die ihn oft besucht.

Aber der Tausch hat nicht nur Vorteile: Die Krähe frisst, bis sie sich nicht mehr bewegen kann, und der Bär fällt auf einen lebensgefährlichen Trick der Ratten herein. Da hilft nur noch der Rücktausch.

Dass man doch lieber in der eigenen Haut steckt – kein Wunder. Aber dass jemand den Käfig der Freiheit vorzieht, das ist ungewöhnlich in Geschichten für Kinder. Doch der Bär sagt: „Das Leben teilen ist ein Glück, Krähe … Frühstück?“ Bei dieser Teilung kommen beide auf ihre Kosten.

Die Flucht

Bilderbuch

Heimat und Fremde sind abstrakte und so komplexe Begriffe, dass sie in Geschichten für kleine Kinder nur selten vorkommen. Doch es gibt einige Bilderbücher zu diesen Themen, darunter „Die Flucht“, ein grafisches Kunstwerk, das es auf die Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2017 geschafft hat.

Die Autorin Francesca Sanna versucht, für die Heimat schöne Bilder zu finden, um den Verlust der Geflohenen zu symbolisieren. Aber sie erzählt auch, warum Menschen ihre Heimat verlassen müssen.

Respekt vor Käfern und Pflanzen

Bilderbuch

Maria Sibylla Merian war die erste Naturforscherin der Welt. Mit „Sibylla und der Tulpenraub“ setzt Benita Roth ihr ein Denkmal. Das Buch handelt von einem Mädchen, das von Insekten und Reptilien, Spinnen und Amphibien – also von dem, wovor viele sich ekeln – fasziniert ist. Sibylla beobachtet, sammelt und fertigt hinreißende Zeichnungen von Pflanzen und Tieren an. Was sie in späteren Jahren gemalt hat, verliert selbst 400 Jahre nach ihrem Tod nicht seinen Wert.

Als Kind soll Sibylla einmal beim reichen Nachbarn Tulpen geklaut haben, damals unermesslich teuer, um sie auf dem Papier zu verewigen. Als der wutschnaubende Besitzer sie und ihre Eltern ins Gefängnis werfen lassen will, lädt Sibylla ihn ein, die wunderbaren Tulpen in ihrem Garten zu bewundern und genau hinzuschauen. Er ist so entzückt von den Blumen, die für ihn bisher nur eine Geldanlage waren, und von den Bildern, die Sibylla malt, dass er ihr die Tulpen überlässt. Ein ungewöhnliches Kind mit ungewöhnlichen Interessen – das wäre Sibylla auch heute.

Die bezaubernde Bildgeschichte motiviert, genauer hinzuschauen, die pflanzliche und tierische Wunderwelt zu bestaunen, sie zu malen oder zu fotografieren. Interessierte Kinder und Erwachsene finden im Internet mehr über das Leben der malenden Wissenschaftlerin und Abenteuerin.

Schwarzweiß

Bilderbuch

Ein großes, weißes Blatt und ganz unten auf der rechten Seite ein schwarzer Punkt. Er erzählt, dass er nicht allein ist, sie sind viele. Diesen vielen Punkten geht es gut, sie haben zu essen, sie haben Häuser und Spaß. Da meldet sich auf der leeren linken Seite ein weißer Punkt zu Wort. Auch die weißen sind viele. Aber ihnen geht es nicht gut. Deswegen wollen sie hinüber zu den schwarzen. Die beraten, lassen ein paar weiße kommen, aber es drängen so viele nach, dass sie sie stoppen. Die Seite mit den schwarzen und weißen Punkten ist jetzt sehr voll. Nun wollen die schwarzen hinüber, um den weißen zu helfen, etwas für weiße und schwarze Punkte zu erschaffen. Das gelingt. Es entstehen Gebäude, Autos und Eis – hergestellt aus weißen und schwarzen Punkten. Auf der letzten Doppelseite gibt es auf der linken und der rechten Seite je einen schwarzweißen Punkt, und beide verkünden: „Hallo, ich bin ein Punkt.“

In dem großformatigen Buch besteht alles aus schwarzen und weißen Punkten – eine überzeugende Idee, etwas so Komplexes wie Ungerechtigkeit darzustellen. Man kann sie übernehmen, sie mittels Steckern oder Legosteinen umsetzen und muss dabei nicht schwarz-weiß bleiben.

Kennedy

Kinderbuch

2017 wäre John F. Kennedy 100 Jahre alt geworden. An seine Worte im durch die Mauer geteilten Berlin erinnern sich viele Menschen. Er sagte: „ Die Freiheit ist unteilbar, und wenn auch nur einer versklavt ist, dann sind nicht alle frei. …Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieser Stadt Westberlin, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Berliner.“

Die Autorin Shana Corey setzt in der als großformatiges Bilderbuch gestalteten Kurzbiographie einen Schwerpunkt auf die Bürgerrechtsbewegung in den USA und zeigt, dass Kennedy kein eindimensionaler, strahlender Held war, aber ein engagierter Präsident. Kurz: eine eindrucksvolle Bildgeschichte über einen außergewöhnlichen Mann.

Die Legende vom Schachspiel

Kinderbuch

Die Mächtigen lassen es oft an Respekt für Menschen fehlen, die ihnen untergeben sind. So beutet ein Kaiser die Menschen in seinem Land gnadenlos aus. Den armen Bauern lässt er nicht genügend Reis zum Überleben. Gierig verlangt er mehr und mehr Abgaben von ihnen. Da überlisten ihn ein weiser Mann und seine Nichte. Sie bringen ihm das eben erfundene Schachspiel und lassen ihn gewinnen. Der begeisterte Kaiser will das Spiel haben und bietet dem Mann eine reiche Belohnung. Der aber will „nur“ ein Reiskorn auf das erste der 88 Spielfelder und für jedes weitere Feld jeweils die doppelte Anzahl der Körner. Doch durch die ständige Verdoppelung entsteht eine Menge, die auch der Kaiser von China nicht aufbringen kann.

Der flächige, elegante Stil der Illus­trationen nähert sich alten chinesischen Malereien.

Klein

Kinderbuch

Lauter kleine Wusel spielen, streiten und kuscheln in der Kita. Klein hat Glück, denn die Erzieherin findet immer wieder Zeit, es hinter den Ohren zu kraulen. Aber als es von STARK abgeholt wird, ist es vorbei mit dem Wohlfühlen. Über dem Kopf von STARK dräut eine tiefschwarze Wolke. Da weiß Klein schon, wie es weitergeht. Es zieht den Kopf ein, lässt die Ohren hängen und trottet hinter STARK her. Zu Hause streiten GROSS und STARK erbittert am Abendbrottisch, so dass Klein vor Angst unter den Tisch kriecht. Später packt GROSS den Koffer und geht „wieder einmal“. Da flüchtet Klein zum Nachbarn JEMAND…

Das Buch ist so klein, dass man es leicht übersieht. Und das minimalistisch hingestrichelte Wesen auf dem Titel ist so klein, dass das Buch groß wirkt. Mit der gleichen Technik gestaltete Stina Wirsén schon ihre Nalle-­Bücher, die in Schweden Kult sind. Auch die Geschichte von Klein ist hinreißend, anrührend und geht unter die Haut.

Wenn Steine lebendig werden

Bilderbuch

“Als wir noch zu Hause wohnten, krähte jeden Morgen der Hahn”, erzählt ein Kind namens Rama von einer Zeit, als seine Welt noch in Ordnung war. Eine Geschichte, wie wir sie heute in vielen Bilderbüchern lesen können, die aber, wie so viele andere Geschichten auch, nicht so schön weiter geht, mit Vater, Mutter und Kind und dem Großvater. Ganz frei waren sie nicht, meinte der Großvater, aber sie waren zusammen und konnten leben – bis der Krieg kam und immer mehr Nachbarn und Freunde wegzogen. Schließlich gingen auch Vater, Mutter, Großvater und die beiden Kinder. Sie haben Glück im Unglück und erreichen einen Ort, wo sie leben können. Sehr einfach und schlicht ist die kleine Geschichte auf Deutsch und Arabisch erzählt. Was sie so besonders macht, sind die Bilder. Gelegt und geklebt aus vielen hundert Kieselsteinen in allen Farben und Größen haben sie eine ganz besondere Ausstrahlung, schwer in Worte zu fassen. Diese Steine können filigrane Blütenstengel darstellen, sie können fliegen. Sie zeigen aber auch, wie das Gepäck wie Felsen auf den Schultern lastet, wie Bomben vom Himmel fallen, wie Menschen in qualvoller Enge eingekerkert sind. Sie geben den Figuren Ausdruck. Ein alter Mann in Syrien malt so mit Steinen und eine in Kanada lebende Niederländerin hat ihn und seine Kunst im Internet entdeckt und ihn über Umwege dazu bringen können, diese Geschichte zu gestalten. Niza Ali Badr hat die Steine zum Reden gebracht, jeder der ausgewählten Steine und Steinchen zeigt, wie genau da jemand hingeschaut hat. Man sieht regelrecht, wie jemand suchte, anfasste und sortierte, schaute und in jedem Steinchen die Geschichte fand. Ein Stein für die Sonne an einem heißen Tag, ein Stein für den Mond, der den Weg weist … Ein Bilderbuch-Kunstwerk, Sie sollten es unbedingt genau anschauen.

Wazn Teez?

Bilderbuch

Auf moosigem Grund treffen neugierige Libellen auf chaotische Käfer und ein zartes Pflänzchen.Und können sie damit ein Baumhaus bauen? Die ausgezeichnete amerikanische Illustratorin Carson Ellis hat in ihrem zweiten Bilderbuch eine zauberhaft fantastische Welt erschaffen, die sie absolut charmant mit einer eigens für dieses Buch entwickelten Kunstsprache untermalt. Der bekannte deutsche Kabarettist und Autor Jess Jochimsen hat, zusammen mit der Kölner Theaterregisseurin Anja Schöne, den Text mit viel Feingefühl und Witz ins Fantasiedeutsche übertragen. Eine witzige kleine Geschichte, in einem sehr dekorativen, ästhetisch gelungenen Stil gehalten, mit jeder Menge zu entdecken: Jahreszeitenbuch einmal anders.