Erinnerungen
Oft wollte ich einfach nur weg! Und es gab viele dieser prägenden Erlebnisse:
Im Kindergarten musste ich gefühlt stundenlang vor meinem Teller sitzen und sollte aufessen. Die anderen Kinder spielten schon, und ich war allein.
In der 1. Klasse sagte die Lehrerin immer wieder: „Aline, komm nach vorn an die Tafel und schreib eine Vier.“ Jedes Mal rief sie dann: „Falsch! Falsch! Falsch!“ Dabei war ich kreativ, dachte mir neue Formen für die blöde Vier aus und erfuhr irgendwann, dass ich Spiegelschrift geschrieben hatte. Das hätte meine Lehrerin mir gleich sagen sollen.
8. Klasse, Ferienarbeit im Krankenhaus: Ich träumte davon, auf der Kinderstation helfen zu dürfen, aber es wurde die Geriatrie. Der Chefarzt hieß genauso wie ich, und die Verantwortlichen dachten, ich sei seine Tochter. Mir war das unangenehm, ich hatte Angst und wollte dort nicht bleiben.
Als ich jung war, konnte ich solche Situationen nicht auflösen. Heute frage ich mich: Wer war damals wirklich fehl am Platz?
Auch als junge Erwachsene hatte ich diese Fluchtimpulse. Zumeist waren es Unklarheiten und konflikthafte Auseinandersetzungen, die mir Angst machten, oder Herausforderungen, denen ich vermeintlich nicht gewachsen war. Ich hatte den Eindruck, nicht in den Rahmen zu passen.
Während meiner Studienjahre traf ich auf mir wohlgesonnene Leute, die mich ermutigten zu reflektieren: Was passiert, was fühle ich, wie verhalte ich mich? Ich durfte ausprobieren, was zu mir passt. Selbstvertrauen und Selbstbestimmung wuchsen.
Erfahrungen
Aktuell spielt die Pandemie eine entscheidende Rolle. Sehr viele meiner sonst engagierten Supervisand*innen aus Kita und Schule fühlen sich fehl am Platz, sind entmutigt und denken darüber nach, den Beruf zu wechseln. Was für eine katastrophale Situation! Der Gefühlscocktail reicht von Ausgeliefertsein, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Ärger über Wut bis zur Resignation. Die Geschäftsführer*innen kämpfen und versuchen mit ihren Kolleg*innen die sich immer wieder ändernden Beschlüsse und Vorgaben zu erklären und umzusetzen. Oft ungeschützt. Eine Erzieherin sagte, sie komme sich vor wie im Bällebad bei Ikea und ertrinke darin.
Ich appelliere an dieser Stelle dringend zu Handeln! Im Grunde musste vorgestern nachgebessert werden, um einen ganzen Berufszweig nicht den Bach runtergehen zu lassen. Ich vermute, ein solcher Schaden wird uns noch Jahre mühsamen Wiederaufbaus bescheren.
Zurück zum Thema: In mein Coaching kommen meist gut qualifizierte, leistungsbewusste Menschen, die interessante Positionen bekleiden. Fast alle haben das Gefühl, im Job „fehl am Platz“ zu sein. Das kann sehr unterschiedliche Gründe haben. Hauptthemen sind die berufliche Rolle, Kommunikation, Konflikte, Selbstverständnis, Haltung, Stressbewältigung und Resilienz. Oft gibt es einen Effekt, den ich den „BaggerVance“ nenne.
Kennen Sie den Film „Legende von Bagger Vance“? Die Geschichte spielt in den 1930er Jahren in Savannah, Georgia. Djuna, ein junger Kriegsveteran und ehemals brillanter Golfspieler wird zu einem Turnier herausgefordert. Allerdings ist er seit dem Krieg desillusioniert, traumatisiert, hat sich für das Vergessen entschieden, trinkt und spielt. Nun soll er ins Turnier. Wie aus dem Nichts taucht Bagger Vance auf, wird sein Caddy und sagt: „In jedem von uns steckt ein wahrer, authentischer Schwung. Etwas, womit wir geboren wurden, und das nur uns allein gehört. Etwas, das man nicht lehren oder lernen kann. Etwas, worauf man sich zurückbesinnen muss. Die Welt kann uns den Schwung nehmen und ihn unter all diesem Könnte, Müsste, Sollte begraben.“ Djuna hatte seinen authentischen Elan verloren. Bagger Vance unterstützt ihn mit guten Ratschlägen und weisen Tipps, seinen Schwung wiederzufinden.
Auch Frau X. hatte ihren authentischen Elan verloren, als sie zu mir ins Coaching kam. Sie war Mathematikerin und arbeitete im Controlling eines Unternehmens. Ihre berufliche Rolle war ihr fremd geworden, sie fühlte sich ausgelaugt und fehl am Platz. Gemeinsam erforschten wir ihre Bedürfnisse, Sehnsüchte, Leidenschaften. Wofür brannte sie?
Vor allem wollte sie etwas Sinnvolles tun. Über die Jahre hatte sie sich entwickelt, ihre Rolle passte nicht mehr zu ihr. Am Ende entschied sie sich, im Controlling nur noch in Teilzeit zu arbeiten. Sie suchte sich eine Stelle als Honorarkraft an einer Schule. Dort forschte sie mit Kindern und Jugendlichen zu mathematischen Themen. Diese sinnvolle und herausfordernde Tätigkeit gab ihr einen riesigen Aufschwung. Sie hatte den eigenen „Sound“ – so nannte sie es – gefunden und war auf dem für sie richtigen Platz gelandet.
Experiment
Fühlen Sie sich auch manchmal fehl am Platz? Stehen Sie an einer Wegkreuzung und sind sich nicht sicher, wohin Sie sich wenden sollen? Halten Sie an! Dafür brauchen Sie die innere Erlaubnis von sich selbst. Sie dürfen schwach sein, aus dem Leistungs- und Bewertungskarussell aussteigen. Nehmen Sie sich Zeit für sich, für die Suche nach dem eigenen „Sound“.
Unser Leben besteht aus mehreren Bereichen, zum Beispiel: die Familie, soziale Kontakte, Gesundheit, Finanzen, persönliche Weiterentwicklung, berufliche Tätigkeit, Energie, Partnerschaft. Je nach Lebenssituation ändert sich der Fokus und lässt sich individuell gewichten. Machen Sie eine Bestandsaufnahme. Dazu können Sie eine Collage anfertigen, ein Bild malen oder eine Liste schreiben. Nützliche Fragen sind:
• Wie stabil sind die einzelnen Bereiche?
• Wie zufrieden und erfüllt sind Sie?
• Gibt es Bereiche, die in letzter Zeit zu wenig Beachtung fanden?
• Wie flexibel sind Sie in den verschiedenen Bereichen? Welche Unterschiede nehmen Sie wahr?
• Was wollen und können Sie zurzeit so lassen?
• Welcher momentane Zustand geht für Sie nicht mehr?
• Auf welche Bereiche wollen Sie sich in nächster Zeit besonders konzentrieren?
• Wo wollen und können Sie Veränderungen aktiv hervorrufen?
• In welcher Reihenfolge möchten Sie Entwicklungen vorantreiben?
• Was genau wollen Sie verändern – an der Situation, an sich selbst?
• Was könnten Sie investieren oder vielleicht sogar riskieren?
• Wer ist auch davon betroffen?
• Wer kann Sie unterstützen?
• Wo bekommen Sie Informationen oder praktische Hilfe?
• Welche Art der Lösung käme für Sie nicht in Frage?
Gibt es eigentlich Bereiche, in denen Sie besonders mutig oder ängstlich sind? Bedenken Sie: Wo die Angst ist, ist der Weg. Besinnen Sie sich auf Situationen, in denen Sie Probleme lösen konnten.
Vergessen Sie nicht: Sie schlagen Ihren Weg ganz bewusst ein. Sie gestalten selbst, sind selbst verantwortlich für Ihr Tun, Ihr Verhalten, Ihre Ziele und was in Ihrem Leben jetzt gerade wichtig ist.
Kontakt: Beratungspraxis
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