Das Kinderbuch der Woche: „Ellington“

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

Was man liebt, muss man freilassen

 

Die Klavierlehrerin Frau Treuherz heißt, wie sie aussieht: treuherzig. Eines Tages begegnet ihr ein weißer Erpel, der sie Hilfe suchend anschaut, denn ihn erwartet nach dem Verkauf beim Geflügelhändler nichts anderes als ein Bratofen. Sie weiß sofort, dass der Erpel Ellington heißen muss, nach dem Jazzmusiker Duke Ellington. Sein Blick und der Name, den sie ihm gab, lassen ihr keine andere Wahl: Sie muss ihn kaufen.
Ihre kindlichen Klavierschüler sind besonders entzückt, als sie merken, dass Ellington musikalisch ist und zu allen Stücken tanzt, die mit Federvieh zu tun haben. Als die aufmüpfigen Zwillingsmädchen ihm das Lied aus „Peter und der Wolf“ vorspielen, in dem der Wolf eine Ente verschluckt, wird Ellington wütend. Er versteht die Musik also.
Zwar ist Ellington froh über seine Rettung, doch ihm fehlt die Freiheit. Schließlich nimmt Frau Treuherz ihn an die Leine und geht mit ihm in den Park, wo er sich in eine kleine braune Ente verliebt. Natürlich will er zu ihr, aber Frau Treuherz will ihn nicht an eine Ente und den See im Park verlieren. Sie sperrt ihn wieder in die Wohnung ein, woraufhin Ellington erst randaliert und dann in schwärzeste Trauer fällt.
Der erwachsene Klavierschüler Herr Straubinger, ermuntert durch den Lebensgeist, den Ellington Frau Treuherz eingehaucht hat, verliebt sich ein bisschen in die Klavierlehrerin und bringt ihr ein Ständchen. Als er „Ich wollt ich wär ein Huhn“ singt, stimmt sie ein, tanzt mit ihm, und da mischt plötzlich auch Ellington wieder mit. Das rührt Frau Treuherz so, dass sie den Enterich freilassen kann. „Ellington lächelte, so gut ein Enterich eben lächeln kann“, und Herr Straubinger geht mit zum See, um nicht zu verpassen, wie Ellington mit seinem Ententanz das Herz der Angebeteten erobert.
Schlussbild: Herr Straubinger und Frau Treuherz sitzen in einem Tretboot, dem Ellington, die kleine braune Ente und einer Schar gelb-brauner Küken folgen. Happy End.
Die Geschichte darüber, dass man aus Liebe oder Bewunderung niemandem die Freiheit rauben darf, ist ein Klassiker. Dass es diesmal um eine treuherzige Klavierlehrerin und einen Erpel geht, lässt Erwachsene zwar schmunzeln, aber die Botschaft, von Marlies Bardeli poetisch vermittelt, kommt trotzdem an. Der von mir bewunderten belgischen Illustratorin Ingrid Godon gelingt es mit wenigen gut gesetzten Strichen und sanften Farben, Gefühle, Stimmungen und Charaktere der Menschen und Tiere hinreißend und komisch zu Papier zu bringen. Selten hat jemand eine Ente so überzeugend zum Leben erweckt und tanzen lassen wie Ingrid Godon den Ellington. Ein herausragend schönes Bilderbuch, an dem Kinder ab vier Jahren ihren Spaß haben werden. Selbst jüngere werden dem Treiben des musikalischen Enterichs vergnügt folgen.
Gabriela Wenke

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